# taz.de -- Festival für Nachwuchsfilm: Sich durch die Rhetorik klamauken | |
> Beim Filmfestival Max Ophüls Preis herrschten Lust am Absurden und Angst | |
> vor Krieg. „Electric Fields“ von Lisa Gertsch gehörte zu den großen | |
> Gewinnern. | |
Bild: Lisa Gertsch, Gewinnerin des Max-Ophüls-Preises für ihren Film „Elect… | |
Da staunt der Elektriker Bauklötze: In sein Reparaturfachgeschäft spaziert | |
eines Abends eine Frau mit einer Glühbirne, die permanent leuchtet, selbst | |
wenn man bei der dazugehörigen Lampe den Stecker zieht. „Das darf | |
eigentlich nicht passieren“, murmelt der Mann. Doch die Glühbirne macht, | |
was sie will. Genau wie das Radio, das Tote wiederweckt: Wenn sein | |
trauernder Sohn es anknipst, öffnet der soeben verstorbene Vater die Augen. | |
In Lisa Gertschs erstem langen Spielfilm „Electric Fields“, der beim | |
[1][Max-Ophüls-Preis-Festival] gleich in drei Kategorien (Bester Spielfilm, | |
Bestes Drehbuch und Preis der Filmkritik) abräumte, wird nicht nur | |
Elektrizität zu Magie. Die Schweizer Regisseurin übersetzt für ihren | |
schwarz-weißen Episodenfilm Träume in reale Umgebungen. | |
Gertsch morpht Vogelschwärme, die in einzigartigen Bewegungen über den | |
Himmel pflügen, zu organisch geformten Eisenspan-Magnetfeldern und schickt | |
einen Mann in den Wald, damit er dort eine gesamte Jahreszeit verschläft – | |
und danach auf Nimmerwiedersehen in einem See verschwindet. Nur die weit | |
entfernten Boote auf der just glatten, nun immer welligeren | |
Wasseroberfläche waren Zeuge und beginnen alsbald einen wilden Tanz. | |
Das Surreale in Gertschs Film, das sich in ruhigen, an den [2][schwedischen | |
Regisseur Roy Andersson] gemahnenden Sequenzen durch das Reale frisst, | |
steht symptomatisch für die aktuelle, fingerfertige Lust am Absurden, die | |
momentan viele deutschsprachige Produktionen umarmen: Auch Timm Krögers | |
schwarz-weißer Erfolgsfilm „Die Theorie von allem“ vom 2023 scherte sich | |
nicht um Logik, sondern feierte das kühne Fantasma. Und deutsche | |
Mystery-Serien boomen wie nie. | |
Mehr Experimentierfreude | |
Beim (vom Bahnstreik gebeutelten) Festival in Saarbrücken, das zum 45. Mal | |
in mehreren Reihen Nachwuchsfilme präsentierte, spürte man in der | |
vergangenen Woche jedenfalls ein größeres Genrevertrauen und eine | |
gestiegene Experimentierfreudigkeit der Nachwuchstalente – aber ebenso, wie | |
überall, die zurückliegende Pandemie, die sich im Hang zum Kammerspiel | |
niederschlug: In Ella Haas’ Improfilm „Draußen brennt’s“ steckte eine | |
Clique junger Menschen symptomatisch gemeinsam im Lockdown fest und ärgerte | |
sich mit erwartbaren, nicht besonders existenziellen | |
Auf-engem-Raum-Reibereien herum. | |
„Wo keine Götter sind, walten Gespenster“ von Bastian Gascho wirkte dagegen | |
fast wie die knallige Agitpop-Version des Cliquenproblems – hier besteht | |
die Gruppe aus Widerstandskämpfer:innen, die das „Regime des Glücks“ | |
stürzen wollen. Unterstützt werden die forschen Terrorist:innen von | |
einem nichtbinären Gespenst mit dem hübschen Namen „Buh“. Man klamaukt si… | |
ideenreich durch die Rhetorik: „Ist komisch, wie normal ich es finde, wie | |
seltsam ihr seid“, bleibt dabei aber etwas weniger radikal, als die | |
Politdiskurs-Vorbilder es waren. | |
## Aktualität von Flucht | |
Den Publikumspreis und einen Schauspielpreis durfte Sarah Neumanns Drama | |
„Jenseits der blauen Grenze“ mitnehmen – ein intensives, vom gleichnamigen | |
Roman adaptiertes Schwimm-Drama über Freundschaft und Grenzen in der DDR: | |
Eine Leistungsschwimmerin, gespielt von Lena Urzendowsky, verzichtet auf | |
die Karriere und flieht mit ihrem besten Freund Andreas (Preisträger Willi | |
Geitmann) über die Ostsee in den Westen. Ein nasser, allein durch das | |
Setting mit einer großen Fall- beziehungsweise Untergangsebene | |
ausgestatteter Elemente-Film, dessen klare Dramatik leicht vermittelbar | |
ist. | |
Doch bei der Eröffnung am Montag wurde nicht nur in den Begrüßungsreden | |
wieder klar, wie sehr die [3][Angst vor Kriegs- und Krisenschauplätzen der | |
Welt] in der Kultur spürbar ist. Filme wie „Echoes from the Borderland“, | |
Lara Milena Broses am Ende mit dem Dokumentarfilmpreis ausgezeichnetes, | |
eindringliches Werk über Fluchtbewegungen, machte deutlich: Geschichten wie | |
diese werden aktueller, lauter – und bleiben. | |
29 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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