# taz.de -- Synthetische Opioide auf dem Vormarsch: Panik vor dem ganz schlecht… | |
> Der Verdacht auf Fentanyl in Partydrogen versetzt Berlins Clubszene in | |
> Unruhe. Aber das gefährliche Opioid scheint – noch – nicht angekommen zu | |
> sein. | |
Bild: Puderzucker, Koks oder was mit Fentanyl? Ganz genau kann das nur ein Labo… | |
Berlin taz | Berlins Clubszene ist in Aufruhr: In der vergangenen Woche | |
kursierten Gerüchte, in Partydrogen sei das extrem starke Betäubungsmittel | |
Fentanyl gefunden worden. Auf der Internetplattform Reddit schrieb ein | |
Nutzer, er habe mit einem Fentanyl-Testkit die Mephedron-Abwandlung 3-MMC | |
getestet und ein positives Ergebnis erhalten. Daraufhin habe er die Probe | |
zu [1][„Drugchecking Berlin“] gebracht. „Das ist kein Panikpost“, so der | |
Reddit-Nutzer, „es geht um Awareness, bis das Ergebnis da ist.“ Trotzdem | |
schlugt der Post hohe Wellen. | |
Wenig später griffen die Instagram-Accounts @know_drugs und | |
@berlinclubmemes das Thema auf. Screenshots des Reddit-Posts und Stories | |
anderer Nutzer wurden gepostet, allerdings warnten die AutorInnen auch vor | |
minderwertigen Testkits: Selbst durchgeführte Tests von Stimulanzien wie | |
MDMA oder Mephedron fielen häufiger falsch-positiv aus. | |
Lisa Jarzynski, die im Club RSO in Schöneweide das Awareness-Team leitet, | |
war anfangs besorgt. Sie hätten sich Gedanken gemacht, wie betroffenen | |
Menschen am besten geholfen werden könne, erzählt Jarzynski der taz. „Was, | |
wenn dieses Wochenende schon etwas passiert? Wie müssen wir dann handeln? | |
Was müssen wir wissen?“ | |
## 50-mal stärker als Heroin | |
Das synthetische Opioid Fentanyl wird als Schmerzmittel etwa in der | |
Anästhesie eingesetzt. Laut US-Gesundheitsministerium ist es bis zu 50-mal | |
stärker als das natürliche Opioid Heroin. Das Risiko einer Überdosis durch | |
Fentanyl ist sehr hoch, die Besorgnis in der Berliner Clubszene | |
nachvollziehbar. | |
Am Montag, knapp eine Woche nachdem der besorgte Nutzer die Probe bei | |
Drugchecking Berlin abgegeben hatte, kam das Testergebnis: Der Verdacht auf | |
Fentanyl hatte sich nicht bestätigt (allerdings waren die als 3-MMC | |
erworbenen Kristalle mit iso-3-CMC verunreinigt, einer Variante, über deren | |
Wirkung es kaum Erkenntnisse gibt). | |
[2][Das Projekt Drugchecking Berlin ging 2023 an den Start], finanziert | |
wird es von der Gesundheitsverwaltung. Seine Aufgabe: die chemische Analyse | |
der von NutzerInnen abgegebenen Substanzen und Aufklärung rund um | |
Drogenkonsum. Im Labor der Berliner Rechtsmedizin untersucht es Pillen, | |
Pulver und Kristalle auf Verunreinigungen. Werden andere als die | |
erwarteten Substanzen gefunden, wird online davor gewarnt. | |
Tibor Harrach, pharmazeutischer Koordinator von Drugchecking Berlin, | |
antwortet auf taz-Anfrage, die Sorge vor Fentanyl sei „verständlich, weil | |
in Nordamerika und gelegentlich im europäischen Ausland und Deutschland | |
Fentanyl-Verunreinigungen in Zubereitungen psychoaktiver Substanzen | |
nachgewiesen werden“. Vor allem betreffe das aber Drogen, die als Heroin | |
oder andere Opiate verkauft würden, so Harrach. Er betont außerdem, seit | |
Start des Programms in Berlin seien „noch nie synthetische Opioide wie | |
Fentanyle oder Nitazene“ festgestellt worden. | |
Nicht nur Drugchecking Berlin gab am Montag Entwarnung, auch die 2016 | |
gestartete Berliner Non-Profit-Organisation KnowDrugs verbreitete über | |
ihre Kanäle das Testergebnis. Nutzer, die die App „KnowDrugs“ auf ihrem | |
Smartphone haben, bekamen eine Push-Benachrichtigung, dass kein Fentanyl | |
gefunden wurde. | |
Lisa Jarzynski vom RSO rät dazu, das vom Land Berlin bereitgestellte | |
Testangebot in Anspruch zu nehmen: „Benutzt auf jeden Fall Drugchecking, | |
fangt mit kleinen Dosen an, konsumiert nie allein und schämt euch vor allem | |
nicht für euren Konsum!“ Zusätzlich macht sie auf die Aufklärungsarbeit von | |
„Sonar Berlin“ aufmerksam. „Die haben einige tolle Slogans wie zum Beispi… | |
‚start low, gow slow‘. Das sagt schon viel aus.“ | |
## Nordamerika kämpft | |
Derweil kämpfen die USA und Kanada schon seit über 20 Jahren mit einer | |
heftigen Opioidkrise. In den letzten zwei Jahrzehnten starben dort knapp | |
600.000 Menschen an einer Überdosis, zum Ende dieses Jahrzehnts könnten es | |
bis zu 1,2 Millionen Menschen sein, schreibt die medizinische Zeitschrift | |
Lancet. Die meisten Todesfälle verursacht seit knapp 10 Jahren Fentanyl. | |
Zwischen Juli 2021 und Juni 2022 starben im Schnitt jeden Tag knapp 300 | |
Menschen in Nordamerika an einer Überdosis Fentanyl. | |
In den USA liege die Ursache für die Opioidkrise vor allem an den häufigen | |
ärztlichen Verschreibungen pharmazeutischer Opioide wie Oxycodon oder | |
Fentanyl, erklärt Tibor Harrach von Drugchecking Berlin. Dies habe | |
„kriminellen Strukturen den Markt für hochpotente synthetische Opioide | |
bereitet“. | |
In Europa zeichnet sich Vergleichbares bislang nicht ab. Aus dem | |
Europäischen Drogenbericht 2023 geht hervor, dass alle EU-Mitgliedstaaten | |
im Jahr 2021 104 Todesfälle im Zusammenhang mit Fentanyl meldeten. In | |
Deutschland wurde 2022 bei 73 der 1.990 Rauschgifttoten auch Fentanyl | |
nachgewiesen. Der Bericht [3][weist allerdings auf eine potenziell | |
gefährliche Entwicklung hin]: Die afghanischen Taliban haben 2022 den Anbau | |
von Schlafmohn verboten. Da daraus Heroin gewonnen wird, könnte das Verbot | |
bald zu weltweiter Heroin-Knappheit führen. Auch weil Fentanyl deutlich | |
billiger ist, besteht die Sorge, dass versucht werden könnte, damit die | |
Lücke zu stopfen. | |
Diesmal war es in Berlin noch ein falscher Alarm. Sollte die Unruhe in der | |
Partyszene das Bewusstsein der Konsument:innen geschärft haben – umso | |
besser. Auch Lisa Jarzynski hat beobachtet, dass in den letzten zwei Wochen | |
häufiger über Safer Use diskutiert wurde. Sie warnt aber, dass das auch | |
schnell wieder in Vergessenheit geraten kann: „Ob das in der Praxis | |
nachhaltige Folgen hat, liegt an den Menschen selbst.“ | |
8 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://drugchecking.berlin/ | |
[2] /Drug-Checking-in-Berlin/!5962670 | |
[3] /Fentanyl-Konsum-in-Europa/!5955059 | |
## AUTOREN | |
Leonel Steinbrich | |
## TAGS | |
Drogenkonsum | |
Drug-Checking | |
Party | |
Kokain | |
Drug-Checking | |
Schwarz-rote Koalition in Berlin | |
Drogenkonsum | |
Drogenpolitik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kokainsucht: „Die Gier hatte mich komplett unter Kontrolle“ | |
Florian Mayer (Name von der Redaktion geändert) war mehrere Jahre | |
kokainabhängig. Im Gespräch erzählt er, wie er gegen die Sucht kämpft. | |
Drug-Checking in Berlin: Hohe Nachfrage nach Drogenanalysen | |
Rund 2.000 Proben hat das Berliner Drug-Checking-Projekt im ersten Jahr | |
getestet – und in jedem zweiten Fall gewarnt. Trotzdem drohen Einsparungen. | |
Drug-Checking in Berlin: Alle wollen ihre Drogen checken | |
Trotz hoher Nachfrage drohte eine Mittelkürzung fürs Drug-Checking. Die ist | |
nun vom Tisch und die Träger wollen das Projekt ausweiten. | |
Fentanyl-Konsum in Europa: Gefährlicher als Heroin | |
Der Mohnanbau in Afghanistan wird beschränkt, darum steht ein Heroinmangel | |
in Europa an. Das könnte für mehr Konsum von Fentanyl sorgen. | |
Drug-Checking in Berlin: Endlich sicher ballern | |
In Berlin gibt es seit Dienstag das Drug-Checking Projekt. Längst | |
überfällig, denn Drogen sind aus dem Nachtleben nicht wegzudenken. |