# taz.de -- Kokainsucht: „Die Gier hatte mich komplett unter Kontrolle“ | |
> Florian Mayer (Name von der Redaktion geändert) war mehrere Jahre | |
> kokainabhängig. Im Gespräch erzählt er, wie er gegen die Sucht kämpft. | |
Bild: Früher als Droge der Reichen verschrien, hat sich Kokain heute in viele … | |
taz: Wann haben Sie das erste Mal gekokst? | |
Florian Mayer: Das erste Mal habe ich [1][Kokain 2009 auf einer Party | |
genommen], da war ich Anfang zwanzig. Harte Drogen waren für mich | |
eigentlich ein Tabu. Aber dann, angetrunken, habe ich gesagt: „Ich will das | |
mal ausprobieren.“ Das erste Mal war überwältigend. Die intensiven | |
Gespräche und dieses Gefühl der Leichtigkeit, der Eindimensionalität – das | |
fand ich sehr, sehr spannend. | |
taz: Wie fühlt sich dieser Rausch an? | |
Mayer: Der Körper bekommt auf einen Schlag einen riesigen Adrenalin- und | |
Dopaminflash. Dinge, die einen beschäftigen – Sorgen, Ängste oder Scham – | |
sind weg. Stattdessen fühlt man sich euphorisiert und leicht. | |
taz: So gut, dass Sie nicht aufhören konnten? | |
Mayer: Nein, nicht sofort. Viele Jahre später hat ein Bekannter in Berlin | |
eine Kneipe aufgemacht. Abends nach der Arbeit bin ich bei ihm | |
vorbeigefahren und wir haben dort zusammen konsumiert. Das war die Routine | |
– vier-, fünfmal die Woche. Als er aus Berlin wegzog, gab er mir zum | |
Abschied die Nummer eines Kokstaxis. Danach habe ich mir immer wieder zum | |
Feiern etwas besorgt. Und dann fing es langsam an, dass ich, wenn ich noch | |
etwas übrighatte, auch zu anderen Gelegenheiten konsumiert habe. | |
taz: Was war der Grund dafür, öfter zu konsumieren? | |
Mayer: Ein Schlüsselerlebnis war, als ich auf der Arbeit unter enormem | |
Druck stand: Ich musste ein Angebot fertigstellen, hatte wenig Zeit und war | |
völlig verzweifelt. Ich habe mir Kokain besorgt und bis vier Uhr morgens | |
gearbeitet, war hochmotiviert und euphorisch. Das Ergebnis war gut, und ich | |
hatte unfassbar viel Spaß daran. Das war der Anfang vom Ende. 2019 oder | |
2020, ich war Anfang dreißig. Ab da habe ich begonnen, allein zu | |
konsumieren – anfangs noch gelegentlich, später täglich. | |
taz: Wie sah Ihr Leben mit der Sucht aus? | |
Mayer: Ich kam abends nach Hause, dann eine Stunde Familienleben. Das war | |
wichtig, weil die Fassade halten musste. Ohne Arbeit kein Geld, ohne Geld | |
kein Konsum. Und [2][ohne Familie hätte ich komplett den Halt verlore]n und | |
mich vermutlich tot konsumiert. Danach lag ich oft auf der Couch, völlig | |
k.o. Aber innerlich begann schon die Vorfreude auf den nächsten Konsum. Ich | |
habe meinem Dealer geschrieben, einen Vorwand erfunden, um nochmal aus der | |
Wohnung zu müssen. Meistens bin ich zum selben Geldautomaten gegangen, habe | |
Geld geholt, auf das Taxi gewartet und dann drei Kapseln Kokain gekauft. | |
taz: Und auf der Arbeit sind Sie nie aufgeflogen? | |
Mayer: Nein, nie wirklich. Dabei bin ich sogar mitten in einer | |
Telefonkonferenz eingeschlafen. Ein, zwei Mal musste ich sogar von | |
Kolleg:innen geweckt werden. Aber ich arbeite immer noch dort. | |
taz: Kokain gilt als eine der teuersten Drogen, ein Gramm kostet rund 75 | |
Euro. Konnten Sie sich Ihren Konsum immer leisten? | |
Mayer: Im April 2023 hatte ich wirklich alles Geld, das ich besaß, in den | |
Konsum gesteckt. Zu Beginn des Monats, wenn das Gehalt kam, habe ich zwei, | |
drei Wochen exzessiv konsumiert – danach war alles weg, keine Reserven, | |
nichts. Über die vier Jahre hinweg habe ich etwa 200.000 Euro ausgegeben. | |
taz: Wann kam der Punkt, an dem es nicht mehr weiterging? | |
Mayer: Das war im Sommer 2023. Obwohl ich gut verdiene, hat das Geld nicht | |
mehr gereicht. Außerdem war der Konsum ein einziger Kontrollverlust. Einmal | |
war meine Frau eine Woche auf Dienstreise. Ich war mit meinem Kind allein | |
und habe trotzdem jeden Abend konsumiert. Dieses Verlangen, die Gier, war | |
so ekelhaft und hatte mich komplett unter Kontrolle. Die Paranoia war der | |
andere Grund. Abends bin ich mit dem Auto durch Berlin gefahren, | |
stundenlang. Einmal bin ich mitten in der Nacht in Wedding aus dem Auto | |
geflüchtet, weil ich dachte, ein Streifenwagen verfolgt mich. Ich habe mich | |
stundenlang hinter Mauern versteckt. | |
taz: Wie haben Sie es dann geschafft, aufzuhören? | |
Mayer: Irgendwann hat meine Frau gemerkt, dass etwas nicht stimmt – sie | |
dachte, ich hätte eine Affäre. Eines Nachts hat sie mein Handy genommen und | |
Chats mit anderen Frauen gefunden. Sie hat mich geweckt und konfrontiert. | |
Vor lauter Angst habe ich dann alles erzählt. Sie war völlig geschockt. Wir | |
haben uns erst mal getrennt, ich bin für drei Monate ausgezogen. Ab diesem | |
Punkt war ich clean – erstmal ohne Therapie. | |
taz: Auch ohne Rückfälle? | |
Mayer: Es gab immer wieder Rückfälle, die mit der Zeit immer schlimmer | |
wurden. Dann war ich oft zwei, drei Tage am Stück weg. Nach einem Rückfall, | |
einen Tag vor Weihnachten 2023, haben wir unserem Sohn dann alles erzählt. | |
taz: Wie erklärt man das seinem Kind? | |
Mayer: Ich habe meinem damals achtjährigen Sohn gesagt, dass ich eine | |
Suchtkrankheit habe und deshalb Drogen genommen habe. Dass ich ein großes | |
Problem habe, an dem ich arbeiten muss. Es war ein schwieriges Gespräch, | |
aber rückblickend war es das einzig Richtige. Mein Kind musste das auch | |
aufarbeiten und hat es bei Freunden am Küchentisch erzählt: „Mein Papa ist | |
kokainsüchtig.“ | |
taz: Sie haben eine Therapie gemacht, sind clean. Wie blicken Sie auf diese | |
Zeit zurück? | |
Mayer: Ich hasse mich für den Menschen, der ich damals war. Die erste Zeit | |
der Abstinenz war, wie in einer tiefen Depression zu stecken. Und die | |
Folgen des Konsums spüre ich noch immer. Ich habe in meinem Kopf so viel | |
zerstört, dass es schwer ist, wieder echte Freude zu empfinden. Das ist | |
erst nach einem Jahr Abstinenz zurückgekommen. | |
taz: Die Zahlen der Menschen, die wegen Kokain in ärztlicher Behandlung | |
sind, haben sich in Deutschland in den letzten zehn Jahren verdreifacht. | |
Wie gucken Sie auf die Konsumierenden? | |
Mayer: Das Schlimmste ist, [3][wie allgegenwärtig die Droge ist]. Du | |
bekommst sie überall – offener Konsum wird gar nicht mehr kritisch | |
hinterfragt. Kokain hat ein unfassbares Abhängigkeitspotenzial. Die Droge | |
hat die Fähigkeit, einen emotional und mental komplett zu zerstören. Wenn | |
ich sehe, wie viele Menschen konsumieren und wie einfach das geworden ist, | |
macht mich das wütend und traurig zugleich. Wenn ich solche Zahlen höre, | |
kriege ich Gänsehaut. | |
taz: Was braucht es, um diese Situation zu verbessern? | |
Mayer: Ich halte nichts von Verboten. Was es braucht, ist Aufklärung, | |
Diskurs. Menschen wie ich, die es hart getroffen hat, müssen darüber | |
sprechen, was für eine Scheiße das ist. Es braucht mehr Angebote, über die | |
vor allem junge Menschen sich informieren können. | |
taz: Was hätte Ihnen damals geholfen? | |
Mayer: Eine Enttabuisierung von Kokainmissbrauch und Suchterkrankungen. | |
Dann fällt es Betroffenen, aber auch Freund:innen leichter, über die | |
Sucht zu sprechen – Hilfe anzubieten oder sie anzunehmen. | |
23 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Christina Koppenhöfer | |
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