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# taz.de -- Inflation führt zu Streiks: Gute Konjunktur für Arbeitskämpfe
> Die Inflation befeuert die Streikbereitschaft der Gewerkschaften – denn
> deren Mitglieder kämpfen mit Reallohnverlusten. Das erhöht den Druck.
Bild: Im ersten Halbjahr 2023 gab es so viele Streiks wie noch nie, hier währe…
Berlin taz | Auch wenn der [1][Streik der Lokführergewerkschaft GDL]
besonders heftig und spürbar ist, dürfte er laut Streikforschern nicht der
einzige härtere Tarifkonflikt sein, den es dieses Jahr gibt. Stefan
Schmalz, der an der Uni Erfurt das Forschungsprojekt Streikmonitor leitet,
ist sich sicher: „Viele Beschäftigte leiden nach wie vor unter
Reallohnverlusten. Und dagegen müssen die Gewerkschaften etwas machen“,
sagt der Soziologe.
Seit 2016 werden im „Streikmonitor“ alle Streikaktivitäten in der
Bundesrepublik in einer Datenbank gesammelt. Für 2023 haben Schmalz und
seine Kolleg*innen zwar die Zahlen noch nicht komplett ausgewertet, doch
ein Blick auf das erste Halbjahr zeigt: Mit 154 Tarifkonflikten gab es in
den ersten sechs Monaten 2023 so viele wie noch nie in einem Halbjahr seit
Erhebung durch den Streikmonitor.
## Reallöhne um 4 Prozent gesunken
„2023 haben die Gewerkschaften eine relativ hohe Mobilisierungsfähigkeit
entfaltet“, sagt Schmalz. Das hänge ganz klar [2][mit der hohen Inflation
2022 und 2023] zusammen, die wie ein „Sprengsatz“ bei Tarifrunden gewirkt
habe. Eine Teuerungsrate von 6,9 Prozent im Jahr 2022 habe niemand
vorgesehen, die Gewerkschaften standen also bereits vor den Verhandlungen
unter großem Druck, die Reallöhne stabil zu halten. 2022 sanken diese im
Schnitt um 4 Prozent. Und die Beschäftigten büßten bereits in der
Coronakrise an Kaufkraft ein. Hinzu kam, so Schmalz, dass die Arbeitnehmer
im Zuge des Fachkräftemangels durchaus auch selbstbewusster und teilweise
auch konfliktfreudiger geworden seien.
Bei den im Streikmonitor dokumentierten Arbeitskämpfen handelte es sich
zwar in erster Linie um sogenannte Häuserkämpfe, also Tarifverhandlungen
auf Ebene einzelner Unternehmen. Das Jahr 2023 war aber auch von großen
Auseinandersetzungen um Flächentarifverträge geprägt. So verhandelte die
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vor gut einem Jahr für die 2,5 Millionen
Beschäftigten von Bund und Kommunen. Die Forderung war historisch hoch. An
den Warnstreiks beteiligten sich laut Gewerkschaftsangaben eine halbe
Million Beschäftigte. Am Ende einigte sich die Gewerkschaft mit den
öffentlichen Arbeitgebern auf einen Schlichterspruch, der tabellenwirksame
Erhöhungen von bis zu 16,9 Prozent bedeutete.
Neben härteren Arbeitskämpfen, etwa bei der Deutschen Post, führte unter
anderem auch die GDL-Konkurrenzgewerkschaft EVG massivere Warnstreiks
durch. Laut Schmalz ist dies „auffällig“, weil die EVG als weniger
konfliktbereit gilt als die GDL. Doch im März 2023 rief sie mit Verdi
[3][zum „Megastreik“] auf. Bundesweit legten die beiden Gewerkschaften
gemeinsam an einem Tag im Nah-, Fern- und Flugverkehr die Arbeit nieder, um
ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Vor einer Sache schreckten EVG und Verdi letztlich zurück: die
Tarifgespräche für gescheitert zu erklären und zu einem „echten“, einem
Erzwingungsstreik aufzurufen. Dabei sind Erzwingungsstreiks die schärfsten
Waffen der Gewerkschaften. Während mit Warnstreiks nur die allgemeine
Streikbereitschaft deutlich gemacht wird, dienen „echte“ Streiks der
Erzwingung eines Tarifvertrags.
Der Arbeitskampf der GDL ist damit „der erste Erzwingungsstreik in der
Fläche seit der Energiepreiskrise“, sagt Streikforscher Schmalz. Bei der
Post führte Verdi zwar eine Urabstimmung für einen Erzwingungsstreik durch,
doch einigte sich die Gewerkschaft doch noch mit dem Konzern auf einen
Tarifabschluss.
22 Jan 2024
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## AUTOREN
Simon Poelchau
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