# taz.de -- Die Wahrheit: Das verrenkte Aktmodell | |
> Sonntagnachmittag im Museum. Im Mittelpunkt des Zeichenkurses steht eine | |
> junge, nackte und dunkelhaarige Frau, die sich ostentativ dehnt. | |
Weil man alles außer Heroin einmal selbst probieren sollte, bevor man | |
darüber herzieht, überwies ich neulich 15 Euro an ein Museum, das einen | |
Aktzeichenkurs für Anfänger am Sonntag anbot. In der Beschreibung hatte es | |
„BYOB“ geheißen, und da sich das sowohl als „Bring your own Bleistift“… | |
auch „Bring your own brush“ interpretieren ließ, packte ich einen | |
Ikea-Bleistiftstummel und einen Make-up-Pinsel ein, legte die Kunstmappe | |
aus der Oberstufe 1986 dazu, setzte eine kecke Schirmmütze auf und fuhr ins | |
Museum. | |
Der Aktmalkurs fand im lichtdurchfluteten Obergeschoss statt, in dem die | |
Teilnehmer bereits ihre Stühle im Kreis aufgestellt hatten. Geschäftig | |
platzierte ich mich zwischen einer Greisin und einem Jüngling mit | |
Kopfhörern. Das Modell erkannte ich sofort, es war der einzig nackte Mensch | |
im Raum: Eine junge, dunkelhaarige Frau, die sich ostentativ dehnte. | |
Um Punkt 14 Uhr klatschte die Kursleiterin in die Hände, schaute auf ihre | |
Stoppuhr, und bat um die erste Pose. Das Modell sprang auf ein Podest in | |
der Mitte, stellte das linke Bein nach hinten und bog den Oberkörper so | |
weit nach vorn, dass die ausgestreckten Arme den Boden berührten. Mir fuhr | |
es ob der Twister-Haltung schon beim Zuschauen in den Rücken, aber die | |
anderen fingen sofort an zu stricheln. Also hielt ich den Bleistift kurz | |
fachmännisch in Richtung Hintern und begann mit dem Abzeichnen. Es dauerte | |
etwas länger als erwartet, weil ich noch nie einen Hintern gezeichnet habe | |
und die Schirmmütze mir ständig in die Augen rutschte. | |
Nach der halben Pobacke klingelte die Stoppuhr. „Fünf Minuten, nächste | |
Pose!“, rief die Kursleiterin, und das Modell ließ sich gelassen rückwärts | |
in eine Brücke herunter. Diesmal begann ich mit dem Knie. Beim | |
Unterschenkel klingelte wieder die Stoppuhr, und die nächste Blitzpose | |
begann, bei der das Modell den Rücken so bog, dass die Füße ihr | |
triumphierend lächelndes Gesicht einfassten. Ich griff zum | |
Contouringpinsel, aber verstand die Verrenkung einfach nicht. | |
Frustriert linste ich auf das Bild des Kopfhörerjungen, dessen fast fertige | |
Zeichnung wie ein feinziseliertes Gerichtsbild einer des Mordes | |
verdächtigten Kontorsionistin wirkte. In der Pause, in der ich zur Stärkung | |
einen Maler-Rotwein entkorkte, zog das Modell ein Negligé über, schlenderte | |
durch die Reihen und begutachtete ihre Porträts. „Sehr schön“, hörte ich… | |
die Greisin loben, „Hände sind schwer, aber das haben Sie gut hinbekommen!“ | |
Vor meinem Bild stoppte es, bedachte das Blatt und mich mit einem | |
verächtlichen Blick und ging zurück aufs Podest. „Ich bin Karikaturistin“, | |
rief ich ihr etwas hilflos nach. Der Kopfhörerjunge und die Greisin | |
kicherten. | |
Wieder klatschte die Kursleiterin in die Hände. „Gut, wir kommen jetzt zur | |
Wunschpose, 15 Minuten! Wer zuerst etwas vorschlägt!“ – „Planking!“ ri… | |
ich. Unterarmstütz! Erbost sah mich das Modell an. Aber was tut man nicht | |
alles für die Kunst. | |
2 Feb 2024 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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