# taz.de -- Die Wahrheit: Die mit dem Hund sabbert | |
> Gefühle für Menschen entwickeln, können nicht alle Tiere. Und umgekehrt | |
> haben manche Menschen nur wenig Empathie für Tiere. Aber es gibt | |
> Ausnahmen … | |
Spiegelneuronen sind unterschiedlich verteilt. Manche Menschen lächeln | |
einem beim Anhören einer lustigen Geschichte durchweg strahlend zu oder | |
nicken betrübt mit dem Kopf, weil man etwas Trauriges berichtet. Bei | |
anderen kommt dagegen nicht mal eine Reaktion, wenn man vom Kindheitstrauma | |
durch die bei einem Alienangriff entführten Eltern erzählt und Fotos davon | |
zeigt. | |
Mein eigener Spiegelneuronenstand ist mau – wie die meisten Menschen | |
reagiere ich einigermaßen stark auf das menschliche Kindchenschema, | |
Situationskomik, Liebeskummer- und Verlustgeschichten. Bei ungefragt | |
vorgehaltenen Tierfotos und den dazugehörigen Anekdoten dagegen fällt es | |
mir zuweilen schwerer, mich empathisch zu verhalten. | |
Hunde und Katzen gehen dabei generell besser als Pferde oder Vögel. | |
Vielleicht weil ich Vögeln als legitimen Nachkommen der gefühllosen | |
Dinosaurier kaum zutraue, eine emotionale Bindung zu einem Menschen | |
aufzubauen, die über das Verhältnis Körnerspender-Körnerfresser hinausgeht. | |
Von einem Wellensittich, der bekümmert tschilpend auf dem Grab seines | |
Frauchens Wache hält, habe ich noch nie gehört – auch weil das Lebensalter | |
der Wellensittiche kaum an das des Menschen herankommt. | |
Über Pferde dagegen gibt es zwar hochromantische Beziehungsgeschichten: | |
Wunderstuten, die ihren kranken Jockey zum Sieg tragen; indigene Rappen, | |
die fast so schlau sind wie ihre Reiter; treue Apfelschimmel mit einem | |
besseren Gesichtergedächtnis als ich. Dennoch bin ich nicht sicher, ob man | |
einem Pferd die Bedeutung des Pferdesports vermitteln kann, und das mit | |
diesen Therapiepferden, die körpersprachlich ausgefuchster sind als Samy | |
Molcho, glaube ich auch nicht. Den Gaul möchte ich sehen, der elf Mal mit | |
dem Huf klopft, weil er das Verlusttrauma in mein elftes Lebensjahr | |
(parentale Alien Abduction) diagnostiziert. | |
Allerdings gab es in der letzten „Wetten, dass…?“-Sendung einen | |
beeindruckenden kleinen Hund, der fröhlich-streberhaft mit der Schnauze von | |
seinem Frauchen ausgerufene, zufällige Ziffern anstupste und dabei seine | |
Spiegelneuronenexpertise demonstrierte. Diese Tierchen merken ja sofort, | |
wie es einem geht, fiepsen dann mitleidig oder beißen einem das Bein ab, | |
wenn Herrchen oder Frauchen es brauchen, oder sorgen eben dafür, dass man | |
fast bei „Wetten, dass…?“ gewinnt. | |
Neulich gelang es mir aber auch mal, einen Hund zu spiegeln, der mir auf | |
der Straße begegnete. Es war ein betagter Rottweiler, vermutlich mein | |
Alter, der etwas sabberte und während seiner mühevollen Bewegungen diskret | |
winselte. Beim Beobachten bemerkte ich, dass mir ebenfalls ein zarter | |
Spuckefaden aus dem Mundwinkel lief, während ich einen Song aus den | |
Fünfzigerjahren vor mich hinsummte, nicht „Hound Dog“ von Big Mama | |
Thornton, sondern „Walking the Dog“ von Rufus Thomas. Hoffentlich konnte | |
die Töle das noch hören und fühlte sich ein wenig getröstet. | |
1 Dec 2023 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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