# taz.de -- 125 Jahre Nabu: Erst Piepmätze, dann Protest | |
> Wegen des „Massenmords an Zugvögeln“ gründet sich 1899 der | |
> Naturschutzbund. Heute ist er der größte Umweltverband im Land. | |
Bild: Das Rotkehlchen ist ein stolzes Vögelchen – und schützenswert noch da… | |
BERLIN taz | [1][Schon Mitte des 19. Jahrhunderts bringen der „Massenmord | |
an Zugvögeln“ und die „thörichte Mode“, Vogelfedern an Hüten zu tragen… | |
Menschen in Rage.] Schon 1875 gründet sich der noch wissenschaftlich | |
orientierte Deutsche Verein zum Schutz der Vogelwelt, in Österreich der | |
Bund der Vogelfreunde. Als der österreichische Verband zerfällt, übernimmt | |
der Schwäbische Bund der Vogelfreunde die Konkursmasse. Auch der | |
schwäbischen Vorsitzenden, der Industriellen-Gattin Lina Hähnle, geht es um | |
die Rettung der geschundenen Natur, deren „rücksichtslose Ausbeutung“ sie | |
„nicht mehr mit ansehen“ will. | |
Hähnle und ihre Mitstreiter wagen am 1. Februar 1899 die reichsweite | |
Ausdehnung. Sie gründen in Stuttgart den Bund für Vogelschutz (BfV), der 91 | |
Jahre später zum Naturschutzbund Nabu umbenannt wird. Schon am Jahresende | |
1899 hat der BfV 3.500 Mitglieder, vor allem Beamte und Honoratioren. | |
Jahresbeitrag: 50 Pfennig. Frauen dominieren den konservativen und | |
staatstragenden Verband. Vom württembergischen Innenministerium fließen | |
Zuschüsse, der Adel hilft. Zu den Unterstützern des Bunds gehören | |
Prominente wie der Dramatiker Gerhart Hauptmann, die Pazifistin Bertha von | |
Suttner und der Mediziner Ernst Haeckel. | |
Heute wird der Nabu 125 Jahre alt – und ist mit 940.000 Mitgliedern der | |
größte Umweltverband Deutschlands, auch mehr als 100.000 Kinder und | |
Jugendliche sind aktiv. 70.000 ehrenamtliche Aktivisten und 2.000 lokale | |
Ortsgruppen prägen ihn – und leisten drei Millionen Stunden unentgeltliche | |
Arbeit im Jahr. | |
Schon damals blieb es nicht bei Vorträgen, Winterfütterung und der | |
Pflanzung von Vogelschutzgehölzen. Die „Sicherung von Landstücken“ für d… | |
„Aufenthalt schöner Vogelarten“ war von Anfang an eine wichtige | |
Nabu-Strategie. 1908 kauft der BfV mit der [2][schwäbischen | |
Nachtigalleninsel] das erste [3][Schutzgebiet], heute sind es Moore, ganze | |
Seen und Weideflächen, Inseln und Forste mit einer Größe von über 100.000 | |
Hektar, so viel wie 140.000 Fußballfelder. | |
## Vogelfreunde unterm Hakenkreuz | |
1935 kapern die Nazis den Verband, machen ihn zum Reichsbund für | |
Vogelschutz. Die BfVler schlagen die Hacken zusammen und stellen sich | |
hinter den Führer. Sie geloben, „unsere ganze Kraft für sein hohes Ziel | |
einzusetzen“. Mitglieder müssen jetzt „deutschen oder artverwandten Blutes… | |
sein, „unnütze“ Vögel wie Spatzen sollen nicht länger gefüttert werden. | |
Göring und Hitler gerieren sich als große Vogelfreunde, bestellen Tausende | |
Nistkästen. Der Führer beschäftigt auf dem Obersalzberg eigens einen | |
Vogelwart. | |
Nach dem Krieg lassen die Besatzungsmächte den BfV wiederauferstehen, ohne | |
die vielen ostdeutschen Mitglieder und Initiativen. Im Westen steigen die | |
Mitgliederzahlen. Gleichzeitig geraten im Wirtschaftswunderland | |
Bundesrepublik Natur und Umwelt heftig unter die Räder. | |
Das Spektrum wird breiter. Saurer Regen und die Vergiftung durch Pestizide, | |
der Bau von Kraftwerken und die Flusskanalisierungen werden auch beim BfV | |
zum Thema. Mit dem Aufbruch der neuen Ökologiebewegung klopfen indes andere | |
Organisationen den Takt. Greenpeace, die teilweise militanten | |
Anti-Atom-Gruppen und die [4][„Landplage der Bürgerinitiativen“ (FAZ) ] | |
sorgen jetzt für Schlagzeilen. Der BfV wird zum schlafenden Riesen. | |
## Arbeit für Umwelt, Klima und Natur | |
Die Arbeitsteilung im Umwelt-, Klima- und Naturschutz ist bis heute | |
erhalten geblieben. Verbände wie die Deutsche Umwelthilfe, der BUND, | |
Greenpeace oder Fridays for Future agieren aggressiver, spektakulärer und | |
vor allem medienwirksamer. Der nach der Wiedervereinigung zum Nabu | |
umgetaufte BfV ist braver, konservativer – und wirkt oft geräuschlos im | |
Hintergrund. Die fortschreitende Naturzerstörung, die Erdüberhitzung durch | |
die Klimakrise und vor allem der rasante Verlust der biologischen Vielfalt | |
sorgen aber auch im Nabu für eine zunehmende Politisierung. Wenn alle zehn | |
Minuten eine Art ausstirbt, ihr Tod zum Pulsschlag der Erde wird, wollen | |
viele Naturschützer nicht mehr im Stillen wirken. | |
Mit Jochen Flasbarth übernimmt 1992 ein junger Wilder die Präsidentschaft. | |
Er hat schon als Jugendsprecher den Verband auf Trab gebracht. Flasbarth, | |
heute [5][Staatssekretär im Entwicklungsministerium], sorgt für | |
Neuorientierung und eine andere Tonlage. Der Nabu mischt sich stärker ein, | |
auch in die Klima- und Energiepolitik. Neben Rotbauchunken und | |
Wintergoldhähnchen stehen nun auch Klimakiller und Tempolimit auf der | |
Agenda. | |
Zur Bundestagswahl 1998 tourt Flasbarth gemeinsam mit dem BUND-Vorsitzenden | |
Hubert Weinzierl durchs Land. Ihre Kernforderungen: ökologische | |
Steuerreform, Atomausstieg, mehr Umweltpolitik. Heute sehnen sich einige im | |
Nabu nach einem ähnlich frischem Wind an der Verbandsspitze. Auch der | |
bekannteste deutsche Naturschützer, der [6][Greifswalder Landschaftsökologe | |
Michael Succow], wünscht sich angesichts der Verwüstung der Erde „einen | |
offensiveren Nabu“. | |
Die aktuellen Aktivitäten des Nabu sollten aber auch nicht kleingeredet | |
werden, betont Succow. Und lobt vor allem die, auch wissenschaftlichen | |
Ansprüchen genügende, große Expertise für Tiere, Pflanzen und Ökosysteme in | |
den Ortsgruppen, die in Ostdeutschland schon zu DDR-Zeiten entstanden war. | |
Und er würdigt die internationalen Projekte des Nabu in mehr als einem | |
Dutzend Ländern. Dieses Engagement sollte verstärkt werden, sagt Succow. | |
## Feldhamster vs. Autobahn | |
Kann Naturschutz die Gesellschaft verändern? „Eine Industrienation kann | |
nicht wegen zwei Feldhamstern im Gebüsch auf wichtige Infrastrukturprojekte | |
verzichten“ heißt die in Deutschland übliche Rechtfertigungsformel für die | |
Zerstörung der Natur. | |
Aber: Schlagen die Herzen der Deutschen tatsächlich für achtspurige | |
Autobahnen und SUVs höher als für Hamster, Fledermäuse und Rotkehlchen? | |
Schon der Aufruhr um das Waldsterben in den 1980er Jahren hat gezeigt, was | |
politisch in Bewegung geraten kann, wenn auch konservative Kreise Alarm | |
schlagen. Wenig muss die politische Klasse mehr fürchten als eine Koalition | |
von Pilzsammlern, Wanderfreunden und Fridays-for-Future-Aktivisten. | |
Ja, der Nabu müsste offensiver, politischer, medienwirksamer werden. Und | |
trotzdem soll er weiter den [7][Vogel des Jahres] präsentieren und uns per | |
Podcast über den 320 Stundenkilometer schnellen Flug des Wanderfalken | |
staunen lassen. Eine anspruchsvolle Dialektik. | |
„Vogelschutz kann von jedermann betrieben werden“ schrieb ein Freiherr von | |
Berlepsch schon 1905. Da hatte er wohl recht. Heute bedeutet Vogelschutz | |
vor allem Umwelt-, Klima- und Planetenschutz. Es geht nicht mehr um süße | |
Piepmätze, sondern um den Fortbestand der Lebensgrundlagen und um ein Ende | |
des monströsen Weiter-so. „Wir haben eingesehen, dass die vom Menschen | |
verdorbene Natur einzig und allein durch Menschen korrigiert werden kann“, | |
schrieb dazu der Freiherr. | |
1 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nabu.de/wir-ueber-uns/organisation/geschichte/index.html | |
[2] https://www.leo-bw.de/web/guest/detail/-/Detail/details/DOKUMENT/hdf_filme/… | |
[3] /Arten-sterben-weiter/!5978473 | |
[4] https://www.econstor.eu/bitstream/10419/122461/1/209523.pdf | |
[5] /Klimaaktivistinnen-im-Clinch/!5978366 | |
[6] /Biologe-Michael-Succow-ueber-Moorschutz/!5919347 | |
[7] /Mitmach-Aktion-Stunde-der-Wintervoegel/!5979940 | |
## AUTOREN | |
Manfred Kriener | |
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