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# taz.de -- Jahresauftakt der Linkspartei: Angriff auf die Superreichen
> Vermögensabgabe und Preisdeckel: Mit diesen Forderungen will die Linke
> ins Wahljahr ziehen. Und eine neue Bundesgeschäftsführung hat sie auch.
Bild: Sollen das schlingernde Linken-Schiff wieder auf Kurs bringen: die neuen …
Berlin taz | Die Stadtmission in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs, im
ehemaligen Arbeiterviertel Moabit gelegen, ist ein denkbar unglamouröser
Ort. Der Haupteingang ist wegen Bauarbeiten gesperrt, auf dem Gelände
stapeln sich Decken der Kältehilfe, die Obdachlose vor dem Erfrieren retten
sollen. In einem Nebengebäude lädt die Linkspartei ab Freitag zu ihrem
traditionellen Jahresempfang, der diesmal ganz im Zeichen der Wahlkämpfe im
neuen Jahr steht – dem für das Europaparlament in Brüssel im Juni und denen
für die Landtage in Potsdam, Erfurt und Dresden.
Linken-Parteichef Martin Schirdewan zeigt sich angriffslustig und gut
gelaunt. „Wir sind bereit“, antwortet er auf die Frage einer Journalistin,
die wissen will, ob die Linkspartei denn für Neuwahlen gerüstet sei. Die
hat Schirdewan gerade mal wieder gefordert – trotz der schlechten
Umfragewerte für seine Partei. Denn an der Ampel lässt er kein gutes Haar.
Auf dem SPD-Parteitag verspreche der Kanzler, sich „gegen Sozialabbau“ zu
stellen. Am nächsten Tag beschließe die Ampel ihren „Kürzungshaushalt“ �…
das sei „ökonomischer Wahnsinn“, zitiert Schirdewan die
Wirtschaftswissenschaftlerin Isabella Weber.
Zuvor hatte Schirdewan drei Kernforderungen formuliert, mit denen die Linke
ins Wahljahr ziehen will. Mit einer Vermögensabgabe will sie Milliardäre
stärker zur Kasse bitten. Die zehn reichsten Deutschen hätten ihr Vermögen
zuletzt um 20 Prozent gesteigert und würden das gar nicht merken. Das Geld
sollte in Pflege, Gesundheit, Bildung und den digitalen Wandel investiert
werden, sagt Schirdewan. Zweitens müsse eine „Investitionsoffensive“ her,
dafür müsse man die Schuldenbremse überwinden. Und drittens sollen Menschen
mit niedrigem Einkommen entlastet werden – durch einen Mindestlohn von 15
Euro – statt derzeit 12,41 Euro – sowie einen Preisdeckel für Strom,
Heizung und Grundnahrungsmittel, fordert die Linke.
Zu ihrem Jahresauftakt hat die Linkspartei den Chef des Deutschen Instituts
für Wirtschaftsforschung (DIW), [1][Marcel Fratzscher] eingeladen. „Einer
der drei Top-Ökonomen“, schwärmt Schirdewan. Er wird am Freitagabend eine
Keynote halten. Man müsse viel stärker „in den Konflikt gehen mit Reichen
und Konzernen“, sagt Schirdewan. Stattdessen spare die Bundesregierung am
falschen Ende. „Die treten in der Sackgasse noch aufs Gas“, empört er sich.
Die Ampel lasse „die Menschen im Stich“, sekundiert Parteichefin Janine
Wissler. Während die Regierung das Essensgeld von Erwerbslosen um 170
Millionen kürze, gebe sie 200 Millionen für drei neue Luxus-Hubschrauber
aus, rechnet sie vor. Auch die Pflegekräfte seien nach der Coronakrise im
Regen stehen gelassen worden. „Wo ist da der Respekt?“, fragt Wissler und
wendet den Wahlkampf-Slogan von Scholz gegen ihn. Deutschland sei ein
wohlhabendes Land, aber der Reichtum müsse besser verteilt werden, sagt
Wissler. Es gebe in Deutschland 230 Milliardärsfamilien, bläst auch sie zum
Angriff auf die Superreichen.
Dann kommen Schirdewan und Wisser noch auf eine wichtige Personalie zu
sprechen. Als neue Bundesgeschäftsführung stellen sich Katina Schubert und
Ates Gürpinar vor. Beide sind stellvertretende Parteivorsitzende, Schubert
sitzt im Berliner Abgeordnetenhaus und Gürpinar im Bundestag. Man teile
sich den Job zu zweit, weil man die Mandate weiter ernst nehmen wolle, so
Schubert. Mit neuer Kraft wolle man 2025 wieder „gestärkt in den Bundestag
einziehen“, gab sie als langfristiges Ziel aus. Dazu habe man die
Geschäftsstelle umstrukturiert, ergänzt Gürpinar: „Der Maschinenraum muss
funktionieren“. Beide sind als frühere Landesvorsitzende in Berlin und
Bayern erfahrene Wahlkämpfer.
Am Mittwoch hatte der bisherige Bundesgeschäftsführer Tobias Bank seinen
Rücktritt öffentlich gemacht. In einem Schreiben an die Parteimitglieder
gab der 38-Jährige als Grund für seine überraschende Entscheidung an, mit
dem angeblichen neuen Kurs seiner Partei unzufrieden zu sein, „fast alles
auf Bewegungen außerhalb von Parlamenten sowie auf städtische Milieus zu
konzentrieren und Wahlergebnisse scheinbar nicht mehr als Maßstab für
politischen Erfolg zu sehen“, wie er schrieb. Er wolle nicht „Feigenblatt
eines vermeintlichen innerparteilichen Meinungspluralismus sein“.
Bis dahin Mitarbeiter der Linksfraktion im Bundestag, war Bank auf dem
Erfurter Parteitag 2022 als Außenseiter ins Rennen gegangen und hatte sich
bei der Wahl des Bundesgeschäftsführers gegen den favorisierten Janis
Ehling durchgesetzt. Wie d[2][as ND meldet], tritt Bank, der als ein Spezi
des [3][Ex-Linksfraktionschefs Dietmar Bartsch] galt, demnächst einen
Verwaltungsjob in Brandenburg an, um den er sich kürzlich beworben hat.
Parteichefin Wissler zeigt sich von Banks Kritik überrascht. Er habe den
Bundesparteitag vor zwei Monaten in Augsburg vorbereitet. Seitdem seien
viele neue Mitglieder in die Partei eingetreten, sagt sie.
Einen Wechsel zu der [4][neuen Wagenknecht-Partei] plant Bank nach eigenem
Bekunden nicht. Über das BSW will hier niemand viele Worte verlieren. Diese
habe sich „rechts positioniert“, sagt Katina Schubert, beim Asyl, in der
Wirtschaftspolitik und sogar beim Bürgergeld. Es gebe eine
„Repräsentationslücke für linke Politik“, meint Schirdewan, „wirkliche
Sozialpolitik“ sei das „Alleinstellungsmerkmal“ seiner Partei.
Eine der immer weniger werdenden Schnittmengen zwischen Wagenknecht und
ihrer ehemaligen Partei besteht auf dem Gebiet der Außenpolitik: Beide
treten für Abrüstung und Diplomatie ein, beide kritisieren Militarisierung
und Kriegspolitik. „Wir wollen eine Außenpolitik, die keine doppelten
Maßstäbe kennt“, versucht Wissler, sich von der Bundesregierung wie von
Wagenknecht abzugrenzen. Es sei falsch, Waffen an Saudi-Arabien zu
verkaufen. Die Linke verurteile aber auch den Angriffskrieg gegen die
Ukraine „aufs Schärfste“.
Zum Krieg in Gaza und Südafrikas „Genozid“-Klage gegen Israel vor dem
Internationalen Gerichtshof sagt Wissler: „Die Klage muss man erst nehmen.“
Sie selbst würde sich den Begriff aber nicht zu eigen machen wollen. Sie
hoffe jedoch, dass das Verfahren in Den Haag den Druck erhöhe, „dass dieser
Krieg beendet werden muss“. Es brauche einen Waffenstillstand, humanitäre
Hilfe für die Menschen in Gaza und die sofortige Freilassung aller Geiseln.
Da spiegelte sich der Ernst der Weltlage für einen Moment in der Berliner
Stadtmission.
12 Jan 2024
## LINKS
[1] /DIW-Chef-Fratzscher-ueber-Subventionen/!5956208
[2] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179152.linkspartei-die-linke-kommt-nicht…
[3] /Dietmar-Bartsch/!5979685
[4] /Wagenknecht-Partei-gegruendet/!5982170
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Janine Wissler
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Die Linke
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Sevim Dagdelen
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