# taz.de -- Projekt für Heimkinder mit Problemen: Wo kein Kind rausfliegt | |
> Eine Fachtagung in Hamburg diskutiert das Konzept des Bremer Projekts | |
> „Port Nord“ für die Heimerziehung: Kein Kind wird dort weggeschickt. | |
Bild: Kinder brauchen einen Ort zum wohnen ohne Wenn und Aber | |
HAMBURG taz | „Bei uns fliegst du nicht raus!“ heißt eine Tagung am | |
Mittwoch, 24. Januar, bei der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg. Die | |
widmet sich einer ungewöhnlichen Wohngruppe in Bremen. Das von vier Trägern | |
gegründete „Port Nord“-Projekt hat das Prinzip, Kinder nicht wegzuschicken, | |
wenn es Probleme gibt. Das ist interessant, weil Hamburg für Grenzfälle ein | |
[1][geschlossenes Heim plant], während Bremen andere Wege geht. | |
[2][Port Nord] wurde 2019 im Auftrag der Bremer Sozialbehörde gegründet, | |
als für zwei Zwölfjährige dringend ein Ort zum Aufwachsen gebraucht wurde. | |
Die Kinder, die seither dort leben, haben meist extrem viele | |
Einrichtungswechsel hinter sich. „Sie eint das große Problem, dass sie nie | |
einen dauerhaften Ort zum Wohnen fanden“, sagt der pädagogische Leiter | |
Jesko Fuhrken. Sie seien meist Risikofaktoren wie Armut und Gewalt | |
ausgesetzt gewesen und schon jung in die Jugendhilfe gekommen. Der | |
Kipppunkt, an dem der Hilfeverlauf eskaliert, liege im Alter von zehn. | |
„Wenn die Kinder immer wieder Ablehnung erfahren und erleben: ‚Schon meine | |
Eltern wollten mich nicht und andere auch nicht‘, ist sei das sehr | |
belastend.“ | |
Port Nord verzichtet auf das Entlassen. „Wir haben einen hohen | |
Personalschlüssel, um krisenhafte Verläufe begleiten zu können“, sagt | |
Fuhrken. Er hat mit Kollegen die Geschichte bereits unter dem Titel „Jedes | |
Kind ist betreubar!“ in einem Fachbuch erzählt. Die im Stadtzentrum | |
gelegene Einrichtung hat Platz für fünf Bewohner von acht bis 16 Jahren. | |
Für ihre Betreuung sind 19 Personen auf 14,5 Stellen da. | |
Feste Regeln gebe es bei Port Nord keine, außer der goldenen Regel: keine | |
Gewalt. „Alles andere sind Aushandlungsprozesse mit den jungen Menschen“, | |
sagt Fuhrken. Das habe das Team, das sich erst bilden musste, gelernt. Das | |
Thema, spät abends noch Mahlzeiten zu kochen, war zum Beispiel eines, dass | |
zu Konflikten führte. Eine Zeit lang wurde die Küche nach 22 Uhr 30 | |
abgeschlossen. Nachdem es aber für die Pädagogen schwierig gewesen war, das | |
durchzusetzen, wurde die Praxis wieder geändert. Ein wichtiger Faktor für | |
das Gelingen sei es, „Eskalationen und Machtkämpfen aus dem Weg zu gehen“. | |
Auch den Kindern falle es nicht leicht zu glauben, dass sie bleiben können. | |
Als ein Mädchen, das dort wohnte, sich zu Beginn des Projektes einer Gruppe | |
junger Obdachloser am Bahnhof anschloss, habe das Team zunächst kontrovers | |
diskutiert, wie zu reagieren sei. Die Betreuer versorgten sie dann täglich | |
am Bahnhof mit Kleidung und Essen und vermittelten: „Wir sind für dich da, | |
wir wollen, dass es dir gut geht, und freuen uns, wenn du wieder nach Hause | |
kommst“. Das Mädchen kam zurück. Solche Entscheidungen seien mit Blick auf | |
das Kindeswohl häufig schwer zu ertragen, schreiben Fuhrken und Co. Aber | |
auf freiwilliger Basis sei ein nachhaltiges Betreuungsangebot eher zu | |
erreichen als mit Zwang. | |
[3][Auf der Tagung] wird auch die Evaluation durch zwei Hochschulen | |
vorgestellt. „Sie bescheinigt uns, dass unser Konzept erfolgreich ist und | |
wird die Entwicklung der jungen Menschen positiv beeinflussen“, sagt | |
Fuhrken. [4][Im Fazit heißt es], Port Nord sei „kein Modellprojekt für eine | |
notwendige Institution“. Es sei vielmehr eine „in ein Projekt gegossene | |
Haltung“, wie mit diesen Kindern umzugehen ist, damit sie ihr Leben | |
„weitgehend selbstbestimmt in den Griff bekommen“. | |
„Für mich ist Port Nord ein positives Beispiel, wie mit Kindern, die durch | |
alle Maschen fallen, umzugehen ist“, sagt Helga Treeß, Sprecherin des | |
[5][Arbeitskreises Kinder und Jugend] der Patriotischen Gesellschaft, der | |
mit dem Aktionsbündnis gegen geschlossene Unterbringung und Gesellschaft | |
für soziale Psychiatrie zur Tagung einlädt. Dass Rot-Grün in Hamburg eine | |
geschlossene Einrichtung plane, „führt uns nicht weiter“, sagt Treeß. „… | |
hoffe, wir kriegen in den Diksurs einen anderen Dreh“. | |
24 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Streit-um-Kinderheim/!5926319 | |
[2] https://www.petriundeichen.de/angebote/stationaer/port-nord.html | |
[3] https://www.geschlossene-unterbringung.de/2023/11/fachtagung-bei-uns-fliegs… | |
[4] https://www.geschlossene-unterbringung.de/wp-content/uploads/2023/05/Abschl… | |
[5] https://www.patriotische-gesellschaft.de/arbeitskreis-kinder-jugend-und-bil… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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