# taz.de -- Verfahren gegen Letzte Generation: Kleine Blockade – große Klima… | |
> Erstmals lädt ein Berliner Gericht Klimaexpert:innen in einem | |
> Verfahren gegen eine Klimaaktivistin. Zu einem Freispruch reicht es | |
> dennoch nicht. | |
Bild: Blockade der Letzten Generation am Frankfurter Tor | |
BERLIN taz | Es hätte ein wegweisendes Urteil werden können: Am Berliner | |
Landgericht musste sich am Dienstag eine Klimaaktivistin der Letzten | |
Generation für den Vorwurf der Nötigung verantworten, weil sie [1][im | |
Sommer 2022 mit vielen anderen das Frankfurter Tor blockierte]. An diesem | |
vierten Prozesstag hatte das Gericht als Sachverständigen den | |
[2][Klimaforscher Stefan Rahmstorf] geladen. Bereits beim vorherigen | |
Prozesstag Ende Dezember waren die stellvertretende Vorsitzende des | |
Expertenrats der Bundesregierung für Klimafragen, Brigitte Knopf, und der | |
Protestforscher Simon Teune aufgetreten. | |
Doch all diese für ein Berliner Gericht bislang einmalige Akribie in der | |
Beweisführung führte letztlich nicht zu einem Freispruch für die | |
Angeklagte. Das Schöffengericht verurteilte sie wegen Nötigung. Im | |
Vergleich zur erstinstanzlichen Verurteilung durch das Amtsgericht, bei der | |
ursprünglich noch drei Blockadeaktionen angeklagt waren, reduzierte es aber | |
das Strafmaß. Für eine Blockade, zwei weitere waren aufgrund unzureichender | |
Polizeiermittlungen fallen gelassen worden, wurde sie nun zu 30 Tagessätzen | |
zu je 30 Euro verurteilt. Eine Revision ist möglich. | |
Strafverteidiger Einar Aufurth hatte sich zuvor angesichts der positiv | |
beschiedenen Anträge, Expert:innen zu hören, hoffnungsvoll gezeigt. | |
Gegenüber der taz lobte er, dass sich die Vorsitzende Richterin „mehr | |
Gedanken gemacht“ habe als ihre Kolleg:innen. Bislang waren | |
entsprechende Anträge von den Gerichten immer abgelehnt worden. Aufurth | |
hoffte auf eine veränderte Rechtsprechung in Verfahren gegen | |
Klimaaktivist:innen: „Recht ist auch Resultat der politischen Kämpfe, die | |
wir in der Verteidigung führen.“ | |
## Dramatische Auswirkungen | |
Der Auftritt von Klimaforscher Rahmstorf, Physikprofessor vom | |
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, machte deutlich, worum es geht: | |
Die historisch einmalige Erderwärmung werde „bereits in den kommenden | |
Jahrzehnten die Anpassungsfähigkeit vieler Gesellschaft überfordern“. | |
Rahmstorf sprach von Regionen, die aufgrund von Hitze unbewohnbar werden, | |
und bedrohter Ernährungssicherheit angesichts zunehmender Dürren, die | |
fragile Staaten destabilisieren können. Dies habe sich bereits 2011 in | |
Syrien mit dem nachfolgenden Bürgerkrieg gezeigt. | |
Auf die Nachfrage der Richterin nach gesicherten Erkenntnissen von | |
„Klima-Kipppunkten“, sprach Rahmstorf vor einer „nie da gewesenen Bedrohu… | |
der Menschheit“. Auch ohne weitere Erwärmung käme es dann zu nicht mehr | |
aufhaltbaren Entwicklungen, etwa dem Abschmelzen der Eisschilde an Nord- | |
und Südpol oder dem Verdorren des Amazonas-Regenwaldes. | |
Der Bundesregierung bescheinigte der Forscher, der lange in ihrem | |
wissenschaftlichen Beirat für globale Umweltveränderungen tätig war: | |
„Berichte, die ihr nicht ins Konzept passen, werden ignoriert.“ Der | |
Angeklagten wünschte Rahmstorf bei seinem Abgang „viel Erfolg“. | |
## Rechtfertigender Notstand | |
Anwalt Aufurth argumentierte in seinem Plädoyer, dass die Aktion seiner | |
Mandantin als rechtfertigender Notstand nach Paragraf 34 Strafgesetzbuch | |
bewertet werden müsse. Demnach sei eine Tat nicht rechtswidrig, wenn anders | |
eine Gefahr für Leib und Leben nicht abzuwenden sei und dieses Interesse | |
jenes der Betroffenen – der aufgehaltenen Autofahrer:innen – | |
überwiege. | |
Ziviler Ungehorsam sei ein geeignetes Mitte gegen die Gefahr des | |
Klimawandels – denn immer wieder hätten solche Protestformen „zu | |
gesellschaftlichen Veränderungen geführt. Laut Aufurth erhöhten die | |
Proteste der Letzten Generation die Chance, „dass die Menschheit nicht in | |
vollem Tempo gegen die Wand fährt“. | |
Dieser Argumentation folgten letztlich weder der Staatsanwalt noch die | |
Richterin. Laut Urteilsspruch habe die Aktivistin „Menschen für ihre Ziele | |
instrumentalisiert“. Die Blockadeaktion sei „nicht geeignet“, die Gefahr | |
des Klimawandels zu beseitigen. | |
Die Richterin appellierte an ein Demokratieprinzip, wonach Veränderungen | |
nur durch angemeldete Proteste, Petitionen oder die Wahl in Ämter | |
angestrebt werden dürfen. | |
Dagegen hatte die Angeklagte in ihrem Abschlussstatement beteuert, dass all | |
dies nicht geholfen habe. Sie sehe sich in der Pflicht zu handeln, ganz | |
nach Friedrich Eberts Motto: „Demokratie braucht Demokraten.“ | |
16 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Berlin-Blockaden-der-Letzten-Generation/!5859803 | |
[2] /Klimaforscher-ueber-Lobbymacht/!5916444 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
## TAGS | |
Letzte Generation | |
Schwerpunkt Klimaproteste | |
Ziviler Ungehorsam | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimaproteste | |
Schwerpunkt Klimaproteste | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
A100 | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Letzte Generation: Klimakleber wollen ins EU-Parlament | |
Seit 2022 hat die Letzte Generation vor allem mit Blockadeaktionen für | |
einen strengeren Klimaschutz demonstriert. Jetzt hat sie einen neuen Plan. | |
Neue Strategie der Letzten Generation: Zielgenaue Steinschleuder gesucht | |
Nach zwei Jahren will die Letzte Generation aufhören, sich auf den Asphalt | |
zu kleben. Aus ihrer neuen Strategie spricht auch Ratlosigkeit. | |
Klimaprotest in Deutschland: Schluss mit Kleben | |
Die Klimaaktivist*innen der Gruppe Letzte Generation satteln um: | |
Statt Straßenblockaden wollen sie neue „unignorierbare“ Aktionen | |
organisieren. | |
Schnellverfahren gegen Klimaaktivisten: Schnell gescheitert | |
Das Amtsgericht Tiergarten schafft Spezialabteilungen für Schnellverfahren | |
gegen Klimaaktivist*innen ab. Die Beweislage sei zu selten eindeutig. | |
Klimaproteste in Berlin: Elsenbrücke blockiert | |
Die Aktionen für eine Wende in der Klimapolitik gehen weiter. Aus Protest | |
gegen den Weiterbau der A 100 wurde die Elsenbrücke in Treptow blockiert. | |
Kriminalisierung der Klima-Bewegung: Verfolgte Aktivist:innen | |
Der „Green Legal Spaces Report“ beklagt eine zunehmende Beschränkung der | |
politischen Teilhaberechte. Aber gibt es ein Recht auf zivilen Ungehorsam? |