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# taz.de -- Die Wahrheit: Paradies mit Lakritzknüppeln
> Das neue Lieblingsurlaubsland der Deutschen und ihrer Mitinsassen: das
> sichere Drittland. Ein Buchungsbericht mit Vorfreuden aller Art.
Bild: Die Einwohner des Drittlands tragen Kleidung aus Lakritz
Einerseits diskutiert das Land gerade [1][den menschenfreundlichen Begriff
„Remigration“], der [2][am Montag prompt preisgekrönt wurde] zum „Unwort
des Jahres“. Andererseits kann man nicht ständig an die anderen denken.
Denn viele Politiker, Polizisten, Unternehmer, Urgesteine, Unmenschen und
andere ganz normale Deutsche buchen dieser Tage den Urlaub für dieses Jahr
und kommen dabei um eine Destination nicht herum. Das Ziel, das jetzt alle
haben. Das neue Lieblingsurlaubsland der Deutschen. Es heißt: „Drittland“.
Und wie viele Lieblingsurlaubsländer hatten die Deutschen in ihrer
Geschichte nicht schon? Vor 150 Jahren waren es noch die USA. Damals war es
kein Land voller Idioten, die an allem schuld sind, sondern ein Land voller
Möglichkeiten. [3][Das Reisebüro saß noch in Bremerhaven], und die
Wartelisten waren lang. Aber irgendwann war der Glanz der USA vergangen und
das Land nicht mehr voller Möglichkeiten, sondern voller Deutscher. Und wer
will schon im Urlaub auf Landsleute treffen? Erst recht nicht, wenn man
richtig lange bleiben will.
Die nächsten Spitzenziele lagen in Polen, Frankreich und anderen nahen
Nachbarstaaten – vor allem in der Sowjetunion. Das heimatliche Reisebüro
unter der Leitung eines Österreichers versorgte die Urlauber mit Kleidung
und Nahrung und versprach einen Rundum-Sorglos-Urlaub, den man aus
Fitness-Gründen auch zu Fuß antreten konnte. Doch wie die Geschichte
gezeigt hat, waren das alles nur billige, ja trügerische Versprechungen.
Da ist das neue Topziel schon ein ganz anderes Kaliber. Das merkt man
bereits am Namen. Denn der Reiseveranstalter preist es an als das „sichere
Drittland“. Nicht zufällig ist es zurzeit sehr beliebt.
## Paradies mit Geschlechtsverkehr
Man kennt das ja von früheren Urlaubsbuchungen. Zuerst sucht man sich ein
Land aus, wälzt Reiseführer, sichtet Webseiten, lädt immer mehr Vorfreude
auf die interne Festplatte, und am Tag vor der Abfahrt ist das Urlaubsziel
großartig, die Küche köstlich, die Menschen sind freundlich, das Wetter
scheint prächtig, die dort ansässige Bevölkerung setzt sich aus lauter
potenziellen, extrem attraktiven Geschlechtsverkehrpartnern zusammen –
kurz: Es ist das Paradies.
Einen Urlaub später weiß man allerdings: Es ist auch nur ein Land mit
Leuten darin. Vorher war es schöner. Aber jetzt hat man es leider
kennengelernt, und das war der Fehler.
Deshalb ist das Drittland so attraktiv, denn diese Art von Enttäuschung
kann dort nicht passieren. Das Drittland ist nämlich eine stabile
Demokratie, die Menschenrechte gibt es dort an jeder Ecke im praktischen
To-go-Becher, Meinungsfreiheit fliegt den Einwohnern in den Mund, das
Sozialsystem strotzt nur so vor Armutsbekämpfung und funktioniert besser
als die Korruption in Österreich. Die Mieten sind niedrig, die Wohnungen
hell, der Alltag ist auf angenehmste Weise voll digitalisiert, die
individuellen Daten aber sind trotzdem geschützt – schließlich ist es ja
das sichere Drittland.
Selbstverständlich muss auch im sicheren Drittland die Ordnung
gewährleistet werden, deshalb ist die Polizei auch extrem xenophil, die
meisten Beamten sprechen vier bis acht Sprachen und ihre Schlagstöcke sind
schwarz, weil sie aus Lakritz sind.
## Zarter Wind der Veränderung
Auch das Klima ist angenehm: Ganzjährig herrschen dort wohltemperierte 22
bis 26 Grad, Waldbrände oder Hochwasser sind unbekannt und der Wind der
Veränderung bläst – nach dem Ergebnis einer Volksabstimmung – täglich
ausschließlich von 15 bis 17 Uhr und auch nur ganz zart von Westen nach
Osten.
Wohlgeordnet sind auch die Flora und Fauna: Der Baum der Erkenntnis steht
unter Naturschutz, ständig vermehren sich die fleißigen Bienen und die
frühen Vögel, Leistungsschweine ziehen durch den Wald, den man vor lauter
Bäumen nicht sieht und aus dem nur in ökologisch-vertretbarem Maß Holz
entnommen wird, um jene Bretter herzustellen, die die Bevölkerung vor dem
Kopf trägt. Wer würde also jemals wegwollen, wo es doch hier so schön ist?
Nur über die geografische Lage des sicheren Drittlandes herrscht
Uneinigkeit. Für die einen könnte es Tunesien, für die anderen Libyen sein.
Ob das sichere Drittland eine Diktatur ist oder nicht, ist dabei nicht so
wichtig, denn – wir erinnern der Urlaubsbuchung! – diese Art von Ländern
ist umso schöner, je weniger man von ihnen weiß.
Deshalb buchen die Deutschen wie verrückt One-Way-Tickets ins Traumland.
Erstmals sind sie sich beim Reiseziel alle einig: Dort geht’s hin! Denn in
Deutschland bucht man nicht für sich selbst diese Destination, sondern für
den Nachbarn mit dem falschen Pass, der falschen Hautfarbe oder der
falschen Überzeugung. Nach dem ultimativen Urlaubsmotto: Hauptsache, weg!
16 Jan 2024
## LINKS
[1] /Enthuellungen-ueber-AfD-Geheimtreffen/!5984997
[2] /Unwort-des-Jahres-ist-Remigration/!5985316
[3] /Auswanderermuseum-eroeffnet-neu/!5777976
## AUTOREN
Severin Groebner
## TAGS
Asylpolitik
Urlaubsparadies
Urlaub
sichere Herkunftsländer
Tourismus
Kolumne Die Wahrheit
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Olympischer Sport
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