| # taz.de -- Die Wahrheit: Einsilbig nach Österreich | |
| > Ein gemeiner kleiner Austriazismus hat sich deutscher Zungen bemächtigt – | |
| > mit verheerenden Folgen. | |
| Bild: Die Einwohner des Drittlands tragen Kleidung aus Lakritz | |
| Seit über 20 Jahren wohne ich jetzt in diesem grauen Land mit viel Regen | |
| und etwas direkten, aber sprechunwilligen Einwohnern. Zumindest war das mal | |
| so. Denn es ändert sich gerade. Zum Beispiel der Regen, der wird weniger. | |
| Und die Einwohner reden mehr. Und sind auch aufgeregter. Das ist kein gutes | |
| Zeichen, wenn man mal zuhört, was sie so reden. | |
| Das alles erinnert mich an mein Heimatland Österreich. Es klingt | |
| erschreckend, unmöglich, völlig undenkbar, wie eine Barockkirche mit | |
| Zwiebelturm auf einem Hochofen, aber die Anzeichen verdichten sich: | |
| Deutschland leidet unter akuter Verösterreichung. Angefangen hat es leise. | |
| Zart. Mit nur einer Silbe. Und sie hieß: „eh“. | |
| Aus dem Südosten des deutschen Sprachraums stammend, aus der ehemaligen | |
| kaiserlichen Residenzstadt Wien, hat sich diese kleine und höchst | |
| anpassungsfähige sprachliche Eigenheit wie die Miniermotte auf den | |
| Kastanienbäumen fast unmerklich auf deutschen Zungen ausgebreitet. Und das | |
| ist gefährlich, denn es ist eine Einstiegsdroge der Verösterreichung. | |
| „Eh“ ist nicht nur ein lang gezogener Vokal, es ist eine Allzweckwaffe der | |
| Ungenauigkeit. „Das passt eh“ zum Beispiel heißt so viel wie: „Das hält | |
| niemals so lang wie geplant, aber bis dahin ist es mir völlig egal.“ | |
| Vor über zwanzig Jahren war die Deutsche Bahn noch pünktlich und niemand | |
| sagte „eh“. Aber heute? Na ja, wie es hierzulande aussieht wissen Sie ja | |
| …eh. | |
| Und die Gesellschaft zieht dem „eh“ nach und verösterreichert in rapidem | |
| Tempo: Steigende Ausländerfeindlichkeit, ständig streitende Regierung, hohe | |
| Umfragewerte für faschistische Parteien, die sich „Rechtspopulisten“ nennen | |
| lassen, und zur Abrundung des schlechten Nachgeschmacks ein bisschen | |
| Hitlerverehrung bei politischen Funktionären aus der Provinz. Ist ja auch | |
| nicht so schlimm und schon 36 Jahre her. Und wie die in Niederbayern so | |
| ticken wissen wir doch…eh. | |
| Es ist wie in Österreich vor 25 Jahren – auch sportlich. All diese | |
| Entwicklungen werden begleitet von einer Fußballnationalmannschaft der | |
| Herren, die gar nichts mehr zusammenbringt. | |
| Dafür tauchen plötzlich unerwartete Erfolge in Randsportarten auf. Wo die | |
| Österreicher erfolgreich verschneite Berge auf extra dafür designten | |
| Brettern hinunterrutschen, werfen die Deutschen lieber Bälle in Körbe. Das | |
| ist natürlich sinnvoller. Schnee wird es bald keinen mehr geben. Dann | |
| werden die Österreicher umlernen müssen. Vielleicht Kugelstoßen mit | |
| Leberknödeln? | |
| Apropos: Wenn schon die Verösterreichung voran schreitet, wäre das nicht | |
| die Gelegenheit, auch mal ordentlich kochen zu lernen? Also so, dass die | |
| Speisen auch schmackhaft sind und nicht nur zum Überleben taugen? | |
| Deutschland, denk nach! Wäre das möglich? Das hilft dann nämlich beim | |
| Verdauen der schlechten Nachrichten. Aber das weißt Du ja vielleicht … eh. | |
| 20 Sep 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Severin Groebner | |
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