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# taz.de -- Geplante Überwachungsgesamtrechnung: Ein Barometer für die Freihe…
> Die Bundesregierung will eine „Überwachungsgesamtrechnung“ aufstellen
> lassen. So sollen Freiheit und Grundrechte besser geschützt werden.
Bild: Durchleuchtete Sporttasche
Freiburg taz | Deutschland bekommt bis Ende des Jahres eine
Überwachungs-Gesamtrechnung. Dies teilten [1][Justizminister Marco
Buschmann (FDP)] und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am Mittwoch in
einer gemeinsamen Erklärung ihrer Ministerien mit. Mit der Umsetzung wurde
das Freiburger Max-Planck-Institut (MPI) für Kriminalität, Sicherheit und
Recht beauftragt.
Das Projekt war von der FDP im Koalitionsvertrag verankert worden. Es
sollte ursprünglich gemeinsam mit einer Evaluierung aller
Sicherheitsgesetze bis Ende 2023 abgeschlossen sein. Der Start verzögerte
sich aber, weil sich Innen- und Justizministerium in vielen Details nicht
einig waren.
Die Idee einer Überwachungsgesamtrechnung geht auf eine Äußerung des
Bundesverfassungsgerichts von 2010 zurück. Damals mahnten die
Richter:innen, die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung für Telefon-
und Internetdaten reduziere den Spielraum für weitere anlasslose
Speicherungen von Bürgerdaten. Es dürfe keine Totalüberwachung der
Bevölkerung geben.
Wie hoch die Überwachungsgesamtlast der Bürger:innen tatsächlich ist,
soll nun Rechtsprofessor Ralf Poscher, einer der Direktoren des Freiburger
MPI, herausfinden. Bei einer Veranstaltung stellt er am Mittwoch das
Projekt vor. So sollen die Überwachungsbefugnisse von Polizei und
Nachrichtendiensten systematisch erfasst und inhaltlich bewertet werden.
Das heimliche Ausspähen eines Computers wiege natürlich viel schwerer als
die Sammlung der Fluggastdaten.
## „Freiheitskommission“ angekündigt
Zugleich will Poscher feststellen, wie oft die Sicherheitsbehörden von
bestimmten Eingriffsmöglichkeiten Gebrauch machen. Die Online-Durchsuchung
gibt es etwa [2][nur einige Male pro Jahr.] Die Fluggastdaten werden
dagegen jedes Jahr zig-millionenfach gespeichert.
Am Ende sollen die Daten zu einem Index zusammengeführt werden, dem
„Überwachungsbarometer“. Das MPI werde aber keine rote Linie definieren, ab
der die Summe aller Sicherheitsgesetze verfassungswidrig werde, betonte
Poscher. Ziel sei es vielmehr, Transparenz zu schaffen. Die Vielzahl der
Sicherheitsgesetze und ihre Nutzung solle auch für Bürger:innen
verständlich werden. Dabei könne es auch überraschende Ergebnisse geben.
„Wir haben herausgefunden, dass in Hessen pro Kopf der Bevölkerung acht mal
so häufig die Telekommunikation überwacht wird wie in Nordrhein-Westfalen.“
Poscher kann teilweise auf öffentliche Statistiken zurückgreifen, die
jährlich vom Bundesamt für Justiz veröffentlicht werden. Diese betreffen
aber nur Polizeimaßnahmen. Poscher hofft, dass ihm für die Gesamtrechnung
auch die Verfassungsschutzämter und andere Nachrichtendienste Daten
liefern.
Ob die Überwachungsgesamtrechnung dann jedes Jahr neu erstellt wird, ist
noch nicht entschieden. Justizminister Buschmann ist aber dafür.
MPI-Direktor Poscher kann sich sogar eine EU-weite Gesamtrechnung
vorstellen, bei der dann auch Staaten verglichen werden können.
Eng verbunden mit der Überwachungs-Gesamtrechnung ist ein anderes Projekt,
das ebenfalls im Koalitionsvertrag verankert ist: die Einrichtung einer
„Freiheitskommission“. Dieses unabhängige Sachverständigengremium soll
künftig Bundesregierung und Bundestag bei neuen Sicherheitsgesetzen
beraten. Wer welche Expert:innen in die Kommission berufen wird, ist
zwischen den Ministerien von Buschmann und Faeser aber noch nicht geklärt.
Poschers Hoffnung jedenfalls ist, dass die Freiheitskommission künftig die
Überwachungsgesamtrechnung nutzen kann, um eine rationale
Sicherheitspolitik durchzusetzen, die die Freiheiten der Bürger:innen
achtet. Das Justizministerium spricht von einer „Trendumkehr hin zu einer
grundrechtsorientierten und evidenzbasierten Innen- und Rechtspolitik“.
10 Jan 2024
## LINKS
[1] /Neue-Regeln-fuer-V-Leute/!5975437
[2] /Umstrittene-Ermittlungsmethode/!5747435
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
Vorratsdatenspeicherung
Datenschutz
Marco Buschmann
Nancy Faeser
EuGH
cancel culture
Marco Buschmann
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Datenschutz
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