# taz.de -- „Tatort“ aus Münster: Bauchnabelfreier Karneval | |
> Professor Boerne schreibt ein Buch und Thiel trifft einen alten | |
> Bekannten. Im Mittelpunkt des Geschehens: eine vom Mord bedrohte „Karl | |
> May“-Parodie. | |
Bild: Kommissar Frank Thiel und Prof. Karl-Friedrich Boerne zusammen mit dem Be… | |
Weihnachten war das [1][„Tatort“-Motto der letzten Woche], die Mordopfer | |
und Mörder in Santa-Claus-Hüllen verpackte. Diese Woche wird es in dieser | |
Hinsicht wieder zeitlos, denn Jan Josef Liefers und Axel Prahl tragen immer | |
Kostüme. Schließlich ist es nicht ihre Aufgabe, ein authentisches | |
Ermittlerduo zu verkörpern, sondern dieses überspitzt und klischeegeladen | |
darzustellen. | |
Ein bisschen, wie man das mit seinem Alter Ego – Hexe, Pirat, Cowboy … – | |
bei Karneval tut. In dieser Folge gesellt sich das selbsternannte | |
„Dschungelkind“ Stan Gold zum missmutigen Kommissar Thiel und seinem | |
selbstverliebten Kollegen Prof. Boerne. | |
Das Trio trifft sich auf einer Preisverleihung. Thiel motzend im Publikum, | |
die beiden anderen auf der Bühne. Denn der Professor soll Stan Gold zum | |
Münsteraner Stadtschreiber auszeichnen, eine Ehre, die sich dieser im | |
paraguayischen „Dschungel“ verdient hat. Fünfzehn Jahre lebte er dort bei | |
einem „Stamm“, erzählt er, unfreiwillig, denn sein Flugzeug stürzte auf d… | |
Weg nach Deutschland im Urwald ab. Über seine Erlebnisse soll er nun ein | |
Buch schreiben. | |
Szene Eins schlägt ihre Protagonisten wie Nägel ins Brett und wickelt die | |
Handlung wie einen Faden darum, zackig geht’s von A nach B, kaum ist das | |
eine passiert, stellt sich das andere ein. Schwindelig wird einem nur | |
nicht, weil die Charaktere dabei unglaublich stabil sind, behäbige Pole, um | |
die herum das Geschehen umso schneller kreist. Dazwischen schieben sich | |
einzelne Szenen wie absurde Traumepisoden. | |
## Menscheln und Morden | |
Startschuss des Krimi-Geschehens ist ein allergener Schock, den Stan Gold | |
erleidet. Der Mordversuch scheitert, aber bald geht’s dann weiter, diesmal | |
mit einer ganzen Salve an Schüssen. Hinter dem Mordlustigen vermutet Stan | |
Gold den Paraguayaner Pablo, den er einst bei einem Waffendeal um eine | |
Million Euro betrog. | |
Ab da startet ein Versteckspiel, schließlich soll Stan vor Pablo beschützt | |
werden. Kommissar Thiel bringt ihn in ein Landhaus, in das sich schon Prof. | |
Boerne zurückgezogen hat. Der möchte dort nämlich ebenfalls ein Buch | |
schreiben, über die von ihm aufgeklärten Mordfälle, und ist genervt von der | |
unerwarteten Gesellschaft. | |
Stan Gold und Prof. Boerne – abgedrehte Aktualisierungen von [2][Karl May] | |
und Sherlock Holmes – teilen dann aber doch unerwartet einen rührenden | |
Moment miteinander. Aufs Menscheln folgt ein Mord, Plottwists spinnen den | |
Handlungsstrang nach hie und da, sodass das Ganze immer wirrer wird. Zum | |
Glück folgt rasch die Auflösung. | |
Ganz schön kreativ? | |
Wie jeder „Tatort“ kommt dieser Inhalt nicht ohne gesellschaftlichen Bezug | |
aus, diesmal ist es einer mit buntem Kunstdruck am Kopfkissen. Motto: | |
Kreativindustrie. Prof. Boerne und Stan Gold wollen beide Kapital aus ihren | |
Geschichten schlagen, die ebenfalls im Zentrum der Handlung stehende | |
Agentin Stan Golds will sie teuer verscherbeln. | |
Und weil sie mit ihren Geschichten auch sich selbst verkaufen, dürfen wir | |
die Nabelschau der beiden Autoren mitverfolgen. Stellenweise werden die | |
Marktmechanismen, die diese Selbstdarstellung befördern, parodistisch | |
ausgelotet, etwa als die Agentin Prof. Boerne einredet, dass seine | |
„Tatort“-Erlebnisse ganz bestimmt Bestseller-Potenzial hätten. Seine | |
Berechtigung, Geschichten zu erzählen, macht sie darin aus, dass er diese | |
erlebt hat. Seine Person soll das Buch tragen, nicht seine | |
schriftstellerische Qualität. Für das Versprechen der „Authentizität“ wi… | |
sich Prof. Boerne sogleich in Pose. | |
Leider scheitern die Pointen aber oft an den Figuren. Stürzen diese über | |
die Stolperfallen ihres Narzissmus, stehen sie auf, gehen weiter – und | |
stolpern erneut. Das ist rasch nicht mehr witzig, sondern abgeschmackt, ein | |
bisschen so, wie [3][eine Endlosschleife von YouTube-Videos zu sehen, in | |
denen Menschen ausrutschen und auf die Schnauze fallen]. Der „Tatort“ nimmt | |
seine Zuschauer:innen nicht ernst. Es wäre schön gewesen, hätte er auch | |
seinen Figuren mehr zugemutet. | |
10 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ardmediathek.de/video/tatort/des-anderen-last/das-erste/Y3JpZDo… | |
[2] https://www.deutschlandfunk.de/der-hochstapler-als-literat-100.html | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=Ddz-7c_an0Y | |
## AUTOREN | |
Lara Ritter | |
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