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# taz.de -- Peru ein Jahr nach dem Selbstputsch: Resigniert und wütend
> In Peru herrschen Straflosigkeit, Korruption und Gewalt. Ein
> Justizskandal und die Begnadigung eines Ex-Diktators könnten nun eine
> Wende auslösen.
Bild: Anhänger Alberto Fujimoris zogen vors Gefängnis, als die geplante Freil…
Lima taz | Illapa, der Gott des Donners, meint es gut mit den Menschen in
Juliaca. Sein Grollen kündigt den lang ersehnten Regen an. Straßenhändler
räumen rasch ihre Auslagen zusammen und suchen Zuflucht unter einem Dach.
Busse und Tuktuks schieben Wassermassen zur Seite. Juliaca, die auf 3.800
Metern Höhe gelegene Stadt im südperuanischen Departament Puno, ist für den
Handel mit (oft geschmuggelten) Waren bekannt. Tag und Nacht bekommt man
hier von Kokablättern bis zum neuesten Iphone alles, was das Herz begehrt.
Und sobald der Regen aufhört, werden die Straßen sich wieder mit Händlern
füllen.
Vor einem Jahr jedoch stand Juliaca still. Am 7. Dezember 2022 hatte sich
[1][Präsident Pedro Castillo] in Lima selbst aus dem Amt geputscht, wurde
abgesetzt und verhaftet. Die Anhängerschaft des ersten indigenen
Präsidenten Perus lebte vor allem im von Quechua und Aymara bevölkerten
Süden Perus und [2][protestierte] gegen die Absetzung und Verhaftung
Castillos durch den Kongress und die Ernennung der bisherigen
Vizepräsidentin [3][Dina Boluarte].
Fast drei Monate lang blockierten die Menschen Straßen und Zufahrtswege,
die Händler schlossen ihre Stände, Busfahrer ließen ihre Busse zu Hause,
Tausende machten sich auf den Weg in die Haupstadt Lima um zu protestieren.
Drei Monate lang lag das öffentliche Leben in den südlichen Anden lahm.
Am Ende der Proteste standen 49 von Polizei und Militär getötete
Demonstranten oder einfache Passanten, alle Quechua oder Aymara-Indigene;
unzählige Verletzte, verarmte Händlerinnen und Händler – und eine Regierung
und ein Parlament in der Hauptstadt, die sich gegenseitig stützten im
Willen, an der Macht zu bleiben und die jegliche Verantwortung für die
Toten und Aussicht auf Neuwahlen ablehnten.
## Sechs Präsidenten in sechs Jahren
„Die Verletzten und Toten wurden direkt von vorne und aus nächster Nähe
erschossen“, sagt Lucho Zambrano. Der 77-jährige katholische Priester hat
die Opfer im Krankenhaus besucht, hat Messen mit den Angehörigen gelesen,
hat das, was er mit eigenen Augen gesehen hat, zigmal ausländischen
Untersuchungskommissionen erzählt und ist auf [4][Youtube] viral gegangen,
wie er die von Angehörigen gesammelten Tränengaskartuschen und
Gummigeschosse in seiner Kirche verteilt. Nichts davon hat die peruanische
Regierung und das Parlament beeindruckt.
Ein Jahr nach der Absetzung von Pedro Castillo und dem Beginn der Proteste
herrschen in Juliaca Resignation und stille Wut. Nicht, dass Regierung und
Parlament im Rest des Landes beliebter wären. Über 90 Prozent der
Bevölkerung lehnen das Parlament ab, 85 Prozent die Präsidentin Boluarte.
Doch die wirtschaftliche Rezession und die Angst vor weiterer Polizeigewalt
hält viele ab vom Demonstrieren.
In Peru sind politische Parteien heute kurzfristige Wahlbündnisse, um
gemeinsame Pfründe zu sichern. Dina Boluarte ist die sechste Präsidentin
Perus in sechs Jahren. Fünf Präsidenten seit 2000 sind wegen Korruption und
Menschenrechtsvergehen im Gefängnis oder im Hausarrest. „Präsident von Peru
zu sein gleicht einem Selbstmordkommando“, sagt einer von ihnen, der heute
85-jährige [5][Pedro Pablo Kuczynski].
Übrig bleiben die politischen Glücksritter, denen es nie ums Gemeinwohl,
sondern nur ums eigene kurzfristige Wohl geht. Dafür demontieren sie die
wenigen politischen Institutionen Perus, die noch funktionieren: das
Verfassungsgericht, die Ombudsstelle. Obligatorische Vorwahlen in den
Parteien wurden abgeschafft. Eine zweite parlamentarische Kammer – der
Senat – für ehemalige Abgeordnete wurde in erster Lesung vom Parlament
angenommen und soll in der nächsten Legislaturperiode bestätigt werden.
## Streit um die Unabhängigkeit der Justiz
Doch der Versuch, den Obersten Justizrat, zuständig für die Einsetzung von
Richtern, Staatsanwälten und Leitern der Wahlbehörden, zu intervenieren,
ist vorerst gescheitert. Das liegt auch am jüngsten Skandal um die
Generalstaatsanwältin Patricia Benavides. Die stand bereits unter Verdacht,
in wichtige Verfahren zugunsten von Verwandten oder der Korruption
Angeklagter eingegriffen zu haben. Chatmitschnitte eines engen Mitarbeiters
von Benavides weisen nun auf Absprachen zwischen Abgeordneten und der
Generalstaatsanwaltschaft hin, um sich gegenseitig vor weiteren
Untersuchungen zu schützen.
„Das ist laut unserem Gesetzbuch eine kriminelle Vereinigung“, meint die
Justizexpertin Cruz Silva von der Menschenrechtsorganisation Instituto de
Defensa Legal. Sie hofft, dass der Skandal um die Generalstaatsanwältin nun
die Menschen in der Hauptstadt wieder auf die Straße bringt, und der erste
Stein sein könnte, der das korrupte Kartenhaus zum Einsturz bringt.
Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 5. Dezember fügte weiteren
Zündstoff zu: es weist die Exekutive an, den wegen Menschenrechtsvergehen
seit 16 Jahren inhaftierten Ex-Präsidenten [6][Alberto Fujimori]
unverzüglich freizulassen. Damit setzt das Verfassungsgericht einer
Begnadigung Fujimoris aus humanitären Gründen aus dem Jahr 2017 wieder in
Kraft, die vom Interamerikanischen Menschengerichtshof 2022 kassiert worden
war. Dieser hat die peruanische Regierung bereits davor gewarnt, diese
Begnadigung zu vollstrecken. Der Fujimori-Clan spaltet bis heute die
peruanische Gesellschaft.
Zeitgleich mit den Aufrufen zu neuen Protesten am 7. Dezember, dem
Jahrestag der Absetzung Castillos, und den Protesten gegen die Freilassung
Fujimoris hat die Regierung neue Strafen erlassen für das Behindern
öffentlichen Verkehrs und der Beschädigung öffentlichen Eigentums. Bis zu 5
Jahren Freiheitsstrafen können Demonstranten dafür riskieren.
In Juliaca hat der Protest längst andere Wege gefunden. Bei Hochzeiten,
Festen und sogar auf Schulhöfen, singen Brautleute, Feiernde und
Schulkinder den Ohrwurm des Protestjahres 2023: „Esa democracia ya no es
democracia“ – diese Demokratie ist keine Demokratie mehr.
6 Dec 2023
## LINKS
[1] /Perus-Praesident-abgesetzt-und-verhaftet/!5901987
[2] /Proteste-in-Peru/!5902401
[3] /Pedro-Castillo-abgesetzt/!5897138
[4] https://www.youtube.com/watch?v=8bwWmcxKKWc&ab_channel=LaMulaTV
[5] /Odebrecht-Skandal-in-Lateinamerika/!5493368
[6] /Begnadigung-fuer-Perus-Ex-Praesidenten/!5842553
## AUTOREN
Hildegard Willer
## TAGS
Peru
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2021.
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