| # taz.de -- Abtreibungsrecht in Polen: Polen unterliegt in Straßburg | |
| > Der Menschenrechtsgerichtshof erklärte Polens Abtreibungsgesetz für | |
| > unwirksam. Drei Richter waren 2015 illegal eingesetzt worden. | |
| Bild: Demonstration für Abtreibungsrechte in Polen | |
| Warschau taz | Für Polens größte Frauenbewegung, den „Strajk Kobiet“ | |
| (Frauenstreik), ist das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs | |
| (EGMR) in Straßburg ein großer Erfolg. Eine heute 38-jährige Polin, im | |
| Urteil M. L. genannt, hatte 2021 eine Schwangerschaft vorzeitig beenden | |
| wollen. Ärzte hatten eine schwere Schädigung des Fötus festgestellt. Doch | |
| kurz vor dem Termin im Krankenhaus setzte Polens Regierung ein Urteil des | |
| polnischen Verfassungstribunals in Kraft, das das ohnehin schon rigide | |
| Abtreibungsrecht in Polen weiter verschärfte. | |
| Ab sofort sollten [1][legale Abtreibungen nur noch bei Gefahr für Leib und | |
| Leben der werdenden Mutter sowie bei Vergewaltigung möglich sein]. Der | |
| Termin im Krankenhaus wurde abgesagt. Damit, so stellten fünf der sieben | |
| Richter am EMGH nun fest, wurde das Recht der Klägerin auf „Achtung ihres | |
| Privat- und Familienlebens“ verletzt, wie es in Artikel 8 der Europäischen | |
| Menschenrechtskonvention festgehalten ist. Der Polin, die den Abbruch am | |
| Ende im Ausland vornehmen ließ, steht nun eine staatliche Entschädigung in | |
| Höhe von 16.000 Euro zu. | |
| Enorm wichtig ist das Straßburger Urteil aber auch für Polens neue | |
| Regierung unter Premier Donald Tusk. Seine Koalition aus | |
| liberalkonservativer Bürgerkoalition (KO), christlich-agrarischem Dritten | |
| Weg und Neuer Linker [2][will den Rechtsstaat neu etablieren], den die | |
| nationalpopulistische Vorgängerregierung unter der Recht und Gerechtigkeit | |
| (PiS) fast zugrunde gerichtet hat. Dabei kommt ihr das aktuelle EGMR-Urteil | |
| gut zupass. Denn die Straßburger Richter prangern nicht nur die Folgen des | |
| polnischen Verfassungsurteils auf das Privatleben von M. L. an, vielmehr | |
| stellen sie die Legalität des polnischen Verfassungstribunals als Ganzes in | |
| Frage. | |
| ## Illegitime Richter im Einsatz | |
| Der Fehler im System gehe darauf zurück, dass sich Präsident [3][Andrzej | |
| Duda im Dezember 2015 geweigert hatte, drei Verfassungsrichter zu | |
| vereidigen], die noch vom „alten Sejm“ (Abgeordnetenhaus) vor den | |
| Parlamentswahlen 2015 gewählt worden waren. Stattdessen habe er – illegal – | |
| drei Richter vereidigt, die der neue Sejm mit der Stimmenmehrheit der PiS | |
| gewählt hatte. Da einer der drei illegitimen Richter am Verfassungsurteil | |
| mitgewirkt habe, mit dem Polens Abtreibungsrecht verschärft worden war, sei | |
| das Urteil ungültig. In Artikel 8 der Menschenrechtskonvention sei klar | |
| festgelegt, dass der Staat nur im Rahmen geltender Rechtsnormen in private | |
| Leben eingreifen dürfe. | |
| Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hatte schon im Mai 2021 auf die | |
| Konsequenzen der fehlerhaften Besetzung des polnischen Verfassungsgerichts | |
| hingewiesen: Alle Urteile, an denen auch nur einer der drei illegitimen | |
| Richter beteiligt sei, seien ungültig. Will Polens neue Regierung nicht | |
| eine Prozesslawine mit hohen Entschädigungen riskieren, muss sie zusammen | |
| mit dem Sejm und dem Präsidenten dafür sorgen, dass das Verfassungstribunal | |
| wieder verfassungsgemäß besetzt wird. Die Frage ist nur, ob Präsident Duda, | |
| ein ehemaliges PiS-Mitglied, dabei mitmacht. | |
| 14 Dec 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gabriele Lesser | |
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