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# taz.de -- Abtreibungsrecht in Polen: Die Wut der Polinnen
> Ein liberaleres Abtreibungsrecht war ein Wahlversprechen der polnischen
> Mitte-Links-Koalition. Im Abgeordnetenhaus wird das nun verschleppt.
Bild: Viele Frauen gehen zur Zeit in Polen auf die Straße um zu protestieren
Warschau taz | Für Szymon Holownia, politischen Shootingstar Polens, könnte
die Debatte über die Liberalisierung des Abtreibungsrechts das vorzeitige
Karriere-Aus bedeuten. Denn der ehemalige Fernseh-Moderator, der es mit
seiner neu gegründeten christdemokratischen Partei Polska2050 auf Anhieb in
die neue Mitte-links-Koalition unter Premier Donald Tusk schaffte, will
sich 2025 zum Nachfolger des bisherigen Präsidenten Andrzej Duda wählen
lassen.
[1][Jetzt aber hat Holownia viele Polinnen gegen sich aufgebracht], die
noch im Oktober 2023 für die liberalkonservative Bürgerplattform (PO), den
Dritten Weg aus der Bauernpartei PSL und der Polska2050 sowie dem
Parteienbündnis der Neuen Linken gestimmt hatten. „Diesen Verrat werden die
Polinnen ihm nicht verzeihen“, urteilt die Politologin Anna
Materska-Sosnowska. „Die Quittung bekommt er 2025.“
Denn erst verschob Holownia als Vorsitzender des polnischen
Abgeordnetenhauses immer wieder den Debattentermin über die Liberalisierung
des Abtreibungsrechts. Und jetzt fordert er eine Abstimmung „nach eigenem
Gewissen“, also ohne Parteidisziplin. Das aber könnte bedeuten, dass alle
vier Gesetzesprojekte der Regierungskoalition durchfallen, weil die beiden
Oppositionsparteien – die nationalpopulistische Recht und Gerechtigkeit
(PiS) und die rechtsextreme Konföderation – sicher dagegen stimmen werden.
Bis Freitag hat Holownia Zeit, sich zwischen guten Beziehungen zur
katholischen Kirche Polens oder dem künftigen Präsidentenamt zu
entscheiden. Denn die Abstimmung, ob alle vier Projekte an den
Spezialausschuss im Sejm zur weiteren Beratung weitergeleitet werden,
findet erst einen Tag nach der sechsstündigen Debatte am Donnerstag statt.
## Fortschritt oder Rückschritt?
Dabei geht es um zwei Projekte der Neuen Linken. Das eine sieht eine legale
Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche vor, das zweite die
Entkriminalisierung helfender Personen. Bislang ist es in Polen schon
verboten, den Kontakt zu einer Hilfsorganisation oder zu einer Klinik im
Ausland weiterzugeben. Das PO-Projekt sieht ebenfalls die Freigabe der
Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche vor.
Lediglich das Gesetzesprojekt des Dritten Wegs würde Polen um 30 Jahre
zurückwerfen. Damals hatten die meist männlichen Sejm-Abgeordneten einen
„Kompromiss“ mit den katholischen Bischöfen geschlossen, die ein totales
Abtreibungsverbot gefordert hatten. Der sah als Indikatoren für einen
Schwangerschaftsabbruch lediglich eine Vergewaltigung, eine schwere
Schädigung des Fötus bzw. eine Gefahr für die Schwangere vor. [2][2020
hatte das Verfassungstribunal auf Antrag der PiS] den Passus „schwere
Schädigung des Fötus“ als angeblich verfassungswidrig aus dem Gesetz
gestrichen.
[3][Seitdem enden in Polen Risikoschwangerschaften immer wieder tödlich für
den Fötus und die werdende Mutter]. Wenn nur eine Abtreibung das Leben der
Schwangeren retten könnte, warten polnische Ärzte lieber ab bzw. berufen
sich auf das „gute katholische Gewissen“, wenn wieder eine Patientin tot
ist.
## Polens Frauen entscheiden Wahlausgang
Viele wütende Polinnen wählten im Oktober 2023 Parteien, deren
Wahlversprechen – die Liberalisierung des Abtreibungsrechts, [4][die
rezeptfreie „Pille danach“] und die staatliche Finanzierung der
In-vitro-Befruchtung – die Lösung vieler aktueller Probleme verhießen. Die
Wahlbeteiligung war mit über 70 Prozent hoch wie nie zuvor. Letztlich
verdankt die heutige Mitte-links-Koalition in Warschau ihren Wahlsieg den
Polinnen.
„Ob Abtreibung legal oder illegal ist, entscheiden Politiker“, sagt eine
Aktivistin vor dem polnischen Parlament. „Aber ob Frauen eine
Abtreibungspille nehmen oder zur Abtreibung nach Belgien fahren – das
entscheiden sie immer noch selbst. Unabhängig vom Recht.“
11 Apr 2024
## LINKS
[1] /100-Tage-Donald-Tusk/!5997531
[2] /Demo-fuer-Abtreibungsrecht-in-Polen/!5478348
[3] /Protest-gegen-Abtreibungsgesetze-in-Polen/!5941104
[4] /Pille-danach-in-Polen/!6001410
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Polen
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