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# taz.de -- Illustrierte Ausgaben von Klassikern: Neuer Blick auf alte Texte
> Wadim Petunin gelingt eine berührende Visualisierung der Innenwelt von
> Kafka. Andrea Wandinger übersetzt Melvilles Absurditäten in humorvolle
> Bilder.
Bild: Absurder Dynamik „eine abstrahierte Form“ gegeben: Bartleby, wie Andr…
Eine Ansammlung edel gekleideter Hunde steht dicht beieinander. Die Tiere
in ihren Anzügen schauen dabei höchst unterschiedlich: grimmig, arrogant,
verunsichert.
Das Bild ziert das Cover der bei Faber & Faber erschienenen Neuausgabe von
[1][Franz Kafkas] Erzählung „Forschungen eines Hundes“ (1922). Illustriert
wurde sie von Wadim Petunin, der momentan an der [2][Hochschule für
angewandte Wissenschaften (HAW)] in Hamburg studiert. Diese schrieb einen
Wettbewerb für die graphische Gestaltung aus, bei dem die Anzahl der Bilder
sowie eine Reduzierung auf zwei Farben vorgegeben wurden. Petunin konnte
sich letztlich mit seinen Ideen durchsetzen.
Die Sprache dieses Textes, in dem ein hündischer Erzähler über sein Dasein
und die Erkenntnismöglichkeiten der Wissenschaft nachdenkt, entwickelt
einen faszinierenden Sog. Die Lesenden folgen den Überlegungen des
Protagonisten in die Verzweiflung hinein, die immer wieder aus der
ausbleibenden Antwort auf der Sinnsuche des Lebens resultiert: „Mit meinen
Fragen hetze ich nur noch mich selbst, will mich anfeuern durch das
Schweigen, das allein ringsum mir noch antwortet“, heißt es an einer
Stelle.
Und: „Wie lange wirst du es ertragen, dass die Hundeschaft, wie du dir
durch deine Forschungen immer mehr zu Bewusstsein bringst, schweigt und
immer schweigen wird? Wie lange wirst du es ertragen, so lautet über allen
Einzelfragen meine eigentliche Lebensfrage: sie ist nur an mich gestellt
und belästigt keinen andern.“
Dem Illustrator gelingt eine berührende Visualisierung der Innenwelt dieses
Erzählers. Wadim Petunin findet für dessen Ohnmacht im Angesicht der
essenziellen Fragen, die letztlich nur zur Verunsicherung führen,
eindrucksvolle Bilder.
Die „Forschungen eines Hundes“ sind weit weniger bekannt als andere
Kafka-Erzählungen wie „Ein Bericht für eine Akademie“ oder „In der
Strafkolonie“. Umso erfreulicher ist die Neuausgabe dieses beeindruckenden,
meist als Fragment gedeuteten Textes. „Beim Lesen kamen mir direkt Bilder
in den Kopf“, erzählt der 30-jährige Petunin der taz. Die daraus
entstandenen Illustrationen lassen sich vor allem als elegant beschreiben.
„Dass ich vorher Mode-Design studiert habe, hat immer noch Auswirkung auf
meine Illustrationen.“
Wenn er seine Hunde in glamourösen Outfits zur Schau stellt, weiß man,
wovon er spricht. Zugleich fehlt den Bildern, wie es sich bei Kafka gehört,
nicht der surrealistische Touch. Dies zeigt sich besonders, wenn von den
Lufthunden die Rede ist.
Der Künstler präsentiert die Zeichnung eines Hundes vor lilafarbenem
Horizont, emporblickend zu den weißen Wolken. Von dort ragen gigantische
Beine auf die Erde herab und während die dazugehörigen Oberkörper
unsichtbar bleiben, sind die Hunde gut zu erkennen, die es sich auf den
überdimensionalen Oberschenkeln bequem gemacht haben.
Wadim Petunin gelingt eine charmante Bildsprache, die sich wohltuend vom
düsteren Schwarz-Weiß-Stil absetzt, den man etwa von zahlreichen
Kafka-Comicadaptionen kennt.
Einen Klassiker mit gänzlich anderem Erzählton hat sich die Künstlerin
Andrea Wandinger vorgenommen. Ihre grafische Neuinterpretation von Herman
Melvilles „Bartleby, der Schreiber“ (1853) erschien zeitgleich mit den
„Forschungen eines Hundes“ in derselben Reihe. Wandingers
Melville-Illustrationen wurden ebenfalls bei einem Wettbewerb an der HAW
ausgewählt.
Was sie an dem Text interessant findet? „Das Motiv des Absurden hat mich
gereizt und auch wenn die Entstehung des Textes schon einige Zeit
zurückliegt, kann man doch einige Parallelen zu unserem Alltag finden“,
erzählt die 25-jährige Künstlerin.
In diesem Text des „Moby Dick“-Autors berichtet der Besitzer einer
Anwaltskanzlei von seinem [3][ungewöhnlichen Angestellten Bartleby]. Eben
jener Anwaltsschreiber lehnt die meisten Arbeitsaufträge seines
Vorgesetzten mit einem sanften „I would prefer not to“ ab, das Deutsch
meist als [4][„Ich möchte lieber nicht“] übersetzt wird.
Melville schildert hier zunächst auf humorvolle Weise einen Menschen, der
die hierarchischen Strukturen seines Arbeitsplatzes nicht akzeptiert und
mit leisen Tönen seinen eigenen Standpunkt im Unternehmen behauptet. Doch
was zunächst wie ein rebellischer Akt in einem Arbeitsverhältnis wirkt,
führt bald zur Einstellung jeglicher selbstständiger Tätigkeit.
Grundsätzlich sei ihr wichtig gewesen, erzählt die Illustratorin, durch
ihre Arbeit nicht zu viel vom Inhalt vorwegzunehmen, sodass man angeregt
werde weiterzulesen. Tatsächlich lassen sich in Wandingers dunkelgrünen und
grauen Bildern Motive des Textes wiedererkennen, ohne dass sich daraus
Handlungsentwicklungen herleiten lassen.
Immer wieder bricht die Künstlerin mit unserer Alltagswahrnehmung von
Gegenständen, sei es nun durch große Krawatten oder eine gigantische
Schreibfeder, die Bartleby in der Hand hält. Solche Einfälle verbunden mit
einem Stil, der sich weit von realistischen Darstellungen entfernt, passen
zu der absurden Dynamik, die Melvilles Erzählung innewohnt. Eben diese
Verbindung zu schaffen, sei für Wandinger interessant gewesen: „Es war
spannend, diese charakteristische Überspitzung der Figuren in eine
abstrahierte Form zu übersetzen“.
Seit 2021 erscheint beim Leipziger Verlag Faber & Faber die [5][„Edition de
Bagatelle“], in der ausschließlich Studierende der Buchillustration ihre
Interpretationen berühmter Autor*innen veröffentlichen. Wadim Petunin
ist von dem Konzept überzeugt: „Ich finde es gut, wenn wir während des
Studiums bei Projekten unter realen Bedingungen arbeiten können.“ Fürs
Publikum erschließt die Reihe neue Perspektiven auf kanonische Werke.
2 Dec 2023
## LINKS
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[5] https://www.verlagfaberundfaber.de/buecher/?reihe=15579&autor=&sort…
## AUTOREN
Lenard Brar Manthey Rojas
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