# taz.de -- Theaterstück „Männerphantasien“ am DT: Freikorps, Vorstadtgri… | |
> Theresa Thomasberger wagt sich am Deutschen Theater in Berlin an ein | |
> Update von Klaus Theweleits Studie über den soldatischen Mann. | |
Bild: Dampfplauderei aus der Pizzaschachtel: Caner Sunar als frauenverachtende … | |
„Was man bekämpfen will, muss man zunächst gefühlt haben.“ Mit dieser | |
verblüffenden Forderung startet Caner Sunar in die theatralische Exegese | |
von Klaus Theweleits bahnbrechender Analyse des soldatischen und | |
faschistischen Mannes am Deutschen Theater Berlin (DT). | |
Es ist eine starke Forderung. Denn sie bedeutet eine Fahrt in unsichere | |
Gefilde. [1][Fühlen bedeutet eben auch, nicht sofort Zuflucht zu suchen] im | |
soliden Analysegebäude, das Faschismus gern als eine Ideologieform der | |
anderen, der vermeintlich Abgehängten, Abnormen und Verführten zu | |
beschreiben sucht. | |
Vielmehr erzeugt diese Bearbeitung von „Männerphantasien“ durch die 15 | |
Jahre nach Erscheinen des Buches geborene Regisseurin Theresa Thomasberger | |
in dieser Eingangssequenz die Illusion, ein ernsthafter Versuch zu werden, | |
das Verführungspotenzial dieser durchaus antikapitalistischen und – | |
zumindest für die Inkludierten – soziale Wärme versprechenden Ideen- und | |
Begehrensproduktion auszuloten. | |
Faschismus sei Produktion von Realität, heißt es frei nach Theweleit | |
weiter. Und das macht neugierig. Denn faschistische Realität wird derzeit | |
massiv produziert. In einem Ausmaß sogar, das wohl über die schlimmsten | |
Befürchtungen des 1977 – ausgerechnet im „Deutschen Herbst“ – | |
herausgekommenen Werks hinausgeht. | |
## Urinierende Prolls und viel deutscher Wald | |
Bühnenbildnerin Mirjam Schaal hat dazu eine deutsche Gebirgs- und | |
Waldlandschaft mit Watzmann-Gipfel und viel deutschem Wald als Fotowand in | |
die Box des Deutschen Theaters gestellt. Vor diesem Hintergrund arbeiten | |
sich Svenja Liesau, Daria von Loewenich, Abak Safaei-Rad und eben Caner | |
Sunar als auf Unterschicht getrimmte toxische Männer ab. Das ist | |
stellenweise witzig. Es unterschlägt allerdings das intellektuelle | |
Potenzial dieser Männer, die Theweleit seinerzeit noch in gehobeneren | |
Schichten verortete. | |
Hier sind es Prolls, die saufen, urinieren und fade Witze reißen. Sie | |
sprechen Theweleit’sche Texte, gewiss, mitunter sogar chorisch. Aber es | |
verschwimmt, was originäres Zitat soldatischer Männer ist, was Analyse sein | |
könnte und was nur billige Selbstironie ist. | |
Einen stärkeren Zugriff findet Thomasberger auf aktuelle Texteinschübe der | |
Autorinnen Svenja Viola Bungarten, Ivana Sokola und Gerhild Steinbuch. So | |
verkörpert Sunar den Frauen verachtenden Ex-Kickboxer und Unternehmer | |
Andrew Tate, der aus einer dampfenden Pizzaschachtel seine Suadas | |
verbreitet und dann zurück in den Orkus gestopft wird. Daria von Loewenich | |
porträtiert eine Ex-Feministin, die ihr antikapitalistisches Glück als | |
Stay-at-Home-Geliebte findet. | |
Frau mit Kind am Herd ist schließlich den Zumutungen neoliberaler | |
Ausbeutung entzogen, wenn der Mann nur genug Geld nach Hause bringt. Hübsch | |
ist der Passus, in dem Burn-out nicht als Versagen des Körpers im | |
kapitalistischen System bezeichnet, sondern als klassisches Symptom von | |
Ausbeutung charakterisiert wird. In Momenten wie diesen findet die | |
Inszenierung tatsächlich zu sich selbst. Die originalen Theweleit-Passagen | |
werden hingegen nur recht oberflächlich und seltsam leblos in den | |
Zuschauerraum gepostet. | |
## Die Show nach der Show | |
Kleine Höhepunkte sind noch eine Grillmeistereinlage von Liesau am Ende | |
sowie die eingestreuten Gesänge des engelsgleichen Countertenors Steve | |
Katona. Aber insgesamt hat dieser Abend viel gewollt und wenig eingelöst. | |
Ein recht prächtiges Exemplar des soldatischen Mannes Theweleit’scher | |
Prägung hat das DT dann immerhin im Abenddienst. Groß gewachsen, ein | |
bisschen Blondes ist auch im Haar, das Auftreten zwar nicht sehr hart, aber | |
die alten Freikorps-Männer, die Theweleit analysiert, hatten ja oft auch | |
einen weichen Kern. Und eben diesem Exemplar kann es nicht schnell genug | |
gehen, dass das Publikum den Saal verlässt. | |
Vielleicht sind ihm die Zuschauer zu unrein, vielleicht stören sie auch | |
einfach nur die Abläufe, wenn sie über die vom Hause zugemessene Ration | |
Theaterkunst noch einen Blick mehr auf die Bühne erhaschen wollen. Und wenn | |
sonst ganze Abteilungen sich an Audience Development und | |
Reichweitenerhöhung abarbeiten, so ist diesem Soldaten des abendlichen | |
Ablaufs jedes Wesen, das nicht sofort das Weite sucht oder am besten noch | |
an der Theaterbar seinen Tribut zum Einnahmesoll der Gastronomie leistet, | |
ein Dorn im Auge. | |
Zuschauer sind ihm Hindernisse, die aus dem Raum schleunigst zu eliminieren | |
sind. In dieser Wärterfunktion ist er flugs wiederauferstanden, ganz ohne | |
Regieanweisung sogar: der im Befehlston zu sich selbst findende deutsche | |
Mann. Schade, dass Thomasberger nicht dieses prächtiges Exemplar auf die | |
Bühne brachte. So bleibt nur zu konstatieren, dass die Show nach der Show | |
zuweilen erhellender ist als die Show selbst. | |
3 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Theaterstueck-von-Falk-Richter/!5971246 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
## TAGS | |
Theater | |
Klaus Theweleit | |
Deutsches Theater | |
Toxische Männlichkeit | |
Soldaten | |
Männerbild | |
GNS | |
Theater | |
Notunterkunft Tempelhof | |
Theater | |
Theater | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Theaterstück über Marilyn Monroe: Oralverkehr an einem Stoffpenis | |
Sie gilt als Sexsymbol und Feministin: „Miss Golden Dreams“ am Badischen | |
Staatstheater Karlsruhe nimmt sich des Mythos Marilyn Monroes an. | |
Theaterstück „Hotel Utopia“: „Sprachkurse, Ebene 3“ | |
Christiane Mudras „Hotel Utopia“ zeigt den Alltag Asylsuchender im Berliner | |
Flughafen Tempelhof. Die Inszenierung ist teils überfrachtet. | |
Theaterstück über deutsche Schuld: Grauzone zwischen Recht und Unrecht | |
„Frau Schmidt und das Kind aus Charkiw“ handelt von deutschen Verbrechen in | |
der Ukraine. Anne Habermehl zeigt das Stück an den Münchner Kammerspielen. | |
Neues Theaterstück von Falk Richter: Väter, Söhne, Autofiktion | |
Wo die Gefühle sitzen: „The Silence“ von Falk Richter feiert Premiere an | |
der Berliner Schaubühne. Das Stück handelt von transgenerationalen | |
Traumata. |