# taz.de -- Positionierungen zum Nahostkonflikt: Unbehagen im Gedenken | |
> Einen Monat nach der Terrorattacke auf Israel scheinen die Fronten im | |
> Gedenken und im Protest verhärtet. Was wäre eine breit anschlussfähige | |
> Geste? | |
Bild: Viel Dunkel, wenig Licht – das ist gerade die Stimmung bei vielen | |
Ja, es ist kompliziert. Erstmal ist es anstrengend, die Hintergründe und | |
Ursprünge des Nahost-Konflikts verstehen zu wollen. Und dann ist es auch | |
herausfordernd, die eigene Solidarität, die eigene Perspektive, die eigene | |
Kritik auf die Straße zu tragen. Denn zu oft gerät man dort in die Nähe von | |
Positionen, zu denen man eigentlich Abstand wahren wollte. | |
So wie auf den propalästinensischen Demonstrationen, bei denen viele | |
Teilnehmer*innen wohl das grundsätzliche Anliegen teilen, auf die Not | |
der Menschen im Gaza-Streifen und zunehmend auch im Westjordanland | |
hinweisen zu wollen. Und dann dreht man sich um, und plötzlich steht dann | |
doch jemand mit einem Plakat direkt neben einem, bei dessen Botschaft man | |
zurückschreckt: Weil sie das Existenzrecht Israels in Frage stellt, weil | |
sie antisemitisch ist, oder vielleicht auch einfach, weil man sich nicht | |
sicher ist, was da eigentlich in letzter Konsequenz gefordert wird. | |
Unwohlsein ereilen kann einen auch bei den [1][eher staatstragenden | |
Gedenkveranstaltungen, zu denen Parteien oder israelnahe Vereine] in den | |
vergangenen Wochen aufgerufen haben. So wie etwa beim Gedenken an die Opfer | |
und die Geiseln am Brandenburger Tor, organisiert von der | |
deutsch-israelischen Gesellschaft am Dienstagabend, am Tag genau einen | |
Monat nach der Terrorattacke. Auf der Bühne sagte der Gesandte der | |
israelischen Botschaft, dass das erste Ziel sei, die Hamas zu vernichten | |
und (erst) das zweite, alle Geiseln nach Hause zu holen. Im Publikum hielt | |
ein Mann ein Schild hoch mit der Forderung „Let the IDF win“ (Lasst die | |
Israelischen Streitkräfte gewinnen). | |
„Ja, aber …“, möchte man da sagen. Und fährt von beiden Veranstaltungen | |
etwas ratlos nach Hause. Und denkt: Was bisher fehlt, ist eine | |
Demonstration oder eine Veranstaltung, die sowohl einfacher als auch | |
komplexer ist als die bisherigen Angebote. Einfacher in der Botschaft: | |
Schutz aller Zivilisten, auf beiden Seiten, und Freiheit für die Geiseln. | |
Und komplexer in der Organisation: So würde es sicher helfen, eine Demo auf | |
die Beine zu stellen mit einem Bündnis, das ohne PFLP-nahe Gruppen auskommt | |
oder eine Kundgebung für die Freiheit der Geiseln ohne militärische | |
Maximalforderungen. | |
## Ohne militärstrategische Forderungen | |
Denn an der Demo am 4. November etwa war das Demokratische Komitee | |
Palästina beteiligt, das zum Umfeld der PFLP-Unterstützergruppen in | |
Deutschland gezählt wird. Wundern und ärgern konnte man sich dort auch über | |
[2][so manche Leerstelle in Bezug auf die Verantwortung der Hamas]. | |
Aktivist*innen – auch etwa aus dem Umfeld der Proteste im Iran – | |
warnten daher vor einem Schulterschluss zwischen linken und islamistischen | |
Gruppen. Auch hinter der Forderung nach sofortigem Waffenstillstand mögen | |
sich gerade nicht alle versammeln. Es gibt Stimmen, die sagen, dass der | |
Pogrom ja gerade im Waffenstillstand erfolgt sei und ein kompletter | |
Waffenstillstand die Hamas stärken könnte. | |
Aber vielleicht muss man sich als zivile Person ja gar nicht mit | |
militärstrategischen Forderungen auf die Straße stellen. Vielleicht reicht | |
es auch erstmal, die Position des Friedens und friedlichen Zusammenlebens | |
zu betonen. Also gerade jetzt die Initiativen zu unterstützen, in denen | |
Palästinenser*innen und Israelis zusammenarbeiten und weiterhin über | |
Möglichkeiten des Zusammenlebens nachdenken. Gerade jetzt die | |
Verantwortlichen immer wieder darauf zu drängen, endlich abseits von | |
militärischer Logik zu denken und zu handeln. | |
Links kann nur eine Position sein, die das Wohl aller in den Konflikt | |
verstrickten Menschen an die erste Stelle rückt. Um für Menschenrechte | |
einzustehen, muss man eine „andere Seite“ nicht dämonisieren. Hier in | |
Berlin, wo uns das Echo des Nahost-Konflikts erreicht, geht es doch erst | |
einmal darum, nebeneinander zu stehen, ohne Flaggen. Einander zuzuhören, | |
wenn andere von ihrem Schmerz erzählen. Zusammenzurücken, gegen Gefühle, | |
alleingelassen zu sein oder Ängste, ausgeschlossen zu werden. Und dann | |
gemeinsam die sofortige Sicherheit aller Menschen in Israel und den | |
palästinensischen Gebieten zu fordern. Konsequent. | |
11 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Solidaritaet-mit-Israel-Demo-in-Berlin/!5965063 | |
[2] /Propalaestinensische-Demonstrationen/!5968257 | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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