# taz.de -- Der neue Asterix: Selbst die Wildschweine werden soft | |
> Die Achtsamkeit erobert Gallien: Im neuen Asterix-Comic „Die weiße Iris“ | |
> unterwandert ein janusköpfiger Guru das widerständige Dorf. | |
Bild: Ein wenig Prügelei war hier wohl doch im Spiel | |
„Die Blüte einer einzigen Iris erleuchtet den Wald.“ Wer so salbungsvoll | |
spricht, muss ein weiser Mann sein, selbst wenn es ein Römer ist! Das | |
gallische Dorf beobachtet den Besucher mit den graumelierten Haaren | |
zunächst argwöhnisch, doch dessen sanfter Predigerton setzt selbst die | |
gewohnten Haudrauf-Reflexe eines Obelix außer Kraft. | |
Positives Denken, gesunde Ernährung und Jogging werden über Nacht im Dorf | |
der neueste Schrei. Und Gutemine, die Frau des Häuptlings Majestix, erliegt | |
ganz den blumigen Worten des Charmeurs, der ihr eine weiße Iris überreicht | |
… | |
„Die weiße Iris“ ist der inzwischen 40. [1][Band der Asterix-Reihe], die | |
der französische Autor René Goscinny mit seinem Landsmann, Comiczeichner | |
Albert Uderzo 1959 ersonnen haben. | |
[2][Obwohl die Urheber bereits verstorben sind], erscheinen weiterhin alle | |
zwei Jahre neue Abenteuer um die sympathisch-kauzige Dorfgemeinschaft, nun | |
von Didier Conrad gezeichnet und von Jean-Yves Ferri geschrieben. Letzterer | |
gönnte sich nach fünf erfolgreichen Alben eine Auszeit, der Text des neuen | |
Bandes stammt von Fabrice Caro (Fabcaro) – der in Frankreich ein populärer | |
Autor humoristischer Romane und Comics ist. | |
## Gründer einer neuen Denkschule | |
Dessen bisher nicht ins Deutsche übersetzten Werke sind Sozialsatiren, die | |
von ihrem absurden Sprachwitz leben. Gute Voraussetzung für einen | |
Asterix-Szenaristen. Mit „Die weiße Iris“ knüpft er an die Tradition jener | |
Asterix-Geschichten an, die vorwiegend im gallischen Dorf spielen und mit | |
einer von außen kommenden Bedrohung konfrontiert werden. | |
Dabei greift Fabcaro auf manch bereits etablierte Situation zurück. Zu | |
Beginn wird der wortgewaltige Fremde namens Visusversus – der Name enthält | |
die lateinische Floskel „vice versa“ und verweist auf die Janusköpfigkeit | |
seiner Person – als „oberster Medicus“ der römischen Armeen aus Cäsars | |
erlauchtem Umkreis vorgestellt. Als Gründer einer neuen Denkschule, die den | |
Namen der in der Antike mit vielseitigen Bedeutungen aufgeladenen Irisblüte | |
trägt, soll der philosophierende Arzt das gallische Dorf unterwandern, es | |
endgültig entwaffnen und unterwerfen. | |
Ein ähnliches Erzählmuster liegt auch den von Goscinny geschriebenen Alben | |
„Der Seher“, „Streit um Asterix“ und „Obelix GmbH & Co. KG“ zugrund… | |
Störenfried kommt ins Dorf, um die Bewohner zu verführen, Zwietracht zu | |
säen und sie letztlich außer Gefecht zu setzen. Bei Fabcaro wird der | |
charismatische, nur vordergründig sanftmütige Visusversus zum Guru, der die | |
sonst notorisch auf Krawall gebürsteten Gallier mit seinen frommen Sprüchen | |
einlullt: Achtsamkeit statt Prügeleien, Sanftheit statt Gebrüll, veganes | |
Essen statt gebratenes Wildschwein. | |
Wenn die ebenfalls der Iris-Lehre erlegenen, verweichlichten Römer sich | |
gerne von Asterix und Obelix verprügeln lassen, ja selbst die Wildschweine | |
anschmiegsam werden, ist das unterhaltsam. Im Hause Majestix führt der | |
Wandel gar zu einer Ehekrise zwischen dem Häuptling und seiner Frau | |
Gutemine. | |
## Seitenhieb auf die Gegenwart | |
Asterix durchschaut die Hinterlist des Eindringlings und verweist | |
Visusversus des Dorfes. Gutemine aber folgt dem Schöngeist nach Lutetia, | |
was Ehemann Majestix in eine handfeste Depression treibt. Um Gutemine | |
zurückzuholen, begleiten Asterix und Obelix Majestix in die Stadt. | |
Wie es gute Tradition bei „Asterix“ ist, erscheint die Weiße-Iris-Lehre als | |
Seitenhieb auf heutige Verhältnisse. Gemeint ist unsere | |
Wohlstandsgesellschaft, in der die Zeitgeistthemen häufig wechseln: | |
Achtsamkeit und empathische Sprache sind neuere Trends, während positives | |
Denken und gesunde Ernährung schon länger en vogue sind. | |
Lutetia wird als dekadente, da von den Römern beeinflusste Metropole | |
beschrieben, in der die hippe Iris-Philosophie bereits etabliert ist. | |
Tretrollerfahrer stören den Verkehr, moderne Kunst von „Banksix“ wird | |
gehyped, während „gravierte Seestücke“ aus dem gallischen Dorf als | |
provinziell gelten. | |
Fabcaro gelingen so schöne Spitzfindigkeiten, die in ihrem satirischen Biss | |
jedoch bei weitem nicht die Pointiertheit eines Goscinny erreichen. | |
Zeichner Conrad lehnt seine Charaktere gerne an reale Personen an. Diesmal | |
ähnelt Visusversus dem umtriebigen französischen TV-[3][Philosophen | |
Bernard-Henri Lévy]. Bei aller Routine fehlt Conrad in puncto Gallier-Mimik | |
etwas die Raffinesse. Uderzo verstand es, Asterix und Co differenziertere | |
Reaktionen zu entlocken. | |
Der neue Band ist gewohnt unterhaltsam, provoziert manchen Schmunzler und | |
rührt an, wenn Majestix ohne seine geliebte Gutemine ins Jammertal stürzt. | |
An die Klasse älterer Abenteuer wie „Der Seher“, die im Dialog weniger | |
geschwätzig und in der grafischen Umsetzung deutlich stimmungsvoller | |
ausfielen, reicht es nicht ran. | |
9 Nov 2023 | |
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[3] /Tour-dEurope-vor-den-Wahlen/!5586969 | |
## AUTOREN | |
Ralph Trommer | |
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