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# taz.de -- Umgang mit Geflüchteten: Toxische Prophezeiungen
> Wenn eine neue Flüchtlingsunterkunft entsteht, dann möchten Anwohner,
> dass Familien mit Kindern einziehen. Statt dessen kommen junge Männer.
> Und nun?
Bild: Zu alt, um niedlich zu sein: junge geflüchtete Männer in einer Notunter…
Meine Freundin Christiane (die in Wirklichkeit anders heißt, aber ich habe
bald nicht mehr viele Freunde, wenn ich die hier dauernd mit Klarnamen in
meinen Kolumnen missbrauche) war schon vorfreudig in den Keller gestiefelt
und hatte die alten Bobbycars und sonstigen Spielsachen entstaubt, als sie
von der neuen Flüchtlingsunterkunft in der Nachbarschaft erfuhr. Sie war
enttäuscht, als dort dann vor allem junge Männer einzogen.
Ich nehme an, dass sie mit dieser Enttäuschung nicht allein ist, jedenfalls
höre ich das verdächtig oft in Orts- und Bezirksräten, wenn man über
Gemeinschaftsunterkünfte redet: Da ziehen Familien ein, sagt man, um die
Gemüter zu beruhigen.
Ich frage mich, woher man eigentlich all diese Familien nehmen möchte, wenn
man gleichzeitig eine [1][Migrationspolitik] fährt, die den Weg hierher so
schwierig und gefährlich macht, dass praktisch nur junge Männer
durchkommen, während die Frauen, Kinder, Alten in den elenden
Flüchtlingslagern der Anrainerstaaten zurück bleiben.
Irgendwie erinnert mich das ein bisschen an Tierdokumentationen: Da ist
auch erst einmal das ganze Rudel in Aufruhr, wenn sich ein junges,
ungebundenes Männchen blicken lässt.
## Klar sind junge Männchen ein Problem – aber nicht nur
Und auch beim Menschen gibt es ja die eine oder andere Statistik, die
darauf schließen lässt, dass die ihren Ruf als Unruhestifter möglicherweise
nicht zu Unrecht haben: Unfälle, Ordnungswidrigkeiten, Verbrechen – überall
liegen junge Männer weit vorn, ganz unabhängig von der Herkunftskultur.
Aber als Mutter zweier Söhne behagen mir solche plumpen Biologismen und all
das Geschiele auf [2][toxische Männlichkeit] natürlich nicht sonderlich.
Rein theoretisch wissen wir natürlich ja auch, was dagegen hilft: Soziale
Einbindung, ein Ziel, ein Platz, eine Aufgabe.
Dann könnte das zum Tragen kommen, was Jungs (oder sagen wir mal männlich
sozialisierte Personen) so hinreißend macht: die irre Energie und
Kreativität, die sie mitbringen, oder die Nerdigkeit, mit der sie sich in
Nischenthemen verbeißen und absurde Mengen an Detailwissen anhäufen können,
zum Beispiel.
Oder im Fall vieler Geflüchteter: Der Mut, die Zielstrebigkeit, die
Anpassungsfähigkeit und das Durchhaltevermögen, das sie bis hierher
getragen hat. Aber wir sperren sie natürlich lieber auf einen Haufen,
[3][blockieren den Familiennachzug], verdammen sie zu Ungewissheit und
[4][Untätigkeit] und warten dann darauf, dass es schief geht. Herrje.
## Wer immer nur als Problem betrachtet wird, wird eines
Das erinnert fatal an die Art und Weise wie über Kinder mit
Migrationsgeschichte an Schulen geredet wird: Die sind auch vor allem ein
Problem, selten wird gesehen, was diese Kinder alles mitbringen und alles
können.
Am Ende wird das Ganze dann zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Wer
immer nur [5][als Problemfall betrachtet] wird, der wird auch einer.
Aber vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung. Christiane ist jedenfalls am
Ende grummelnd nochmal in den Keller gestiegen und hat die alten „Deutsch
als Fremdsprache“-Bücher vorgekramt und abgestaubt. „Irgendwer muss ja“,
meint sie achselzuckend.
20 Nov 2023
## LINKS
[1] /Bund-Laender-Treffen-zu-Asylpolitik/!5968502
[2] /Toxische-Maennlichkeit/!t5542659
[3] /Aktivist-ueber-Familiennachzug/!5946086
[4] /Unbegleitete-minderjaehrige-Fluechtlinge/!5948077
[5] /Bund-Laender-Gipfel-zu-Migration/!5969241
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Kolumne Provinzhauptstadt
Geflüchtete
Schwerpunkt Flucht
Unterbringung von Geflüchteten
Integration
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IG
Ampel-Koalition
Migration
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