# taz.de -- Hohe Kosten für Haustiere: Unsere teuren Begleiter | |
> Wenn das geliebte Haustier zum Arzt muss, kann es schnell teuer werden. | |
> Und die Kosten steigen immer weiter. Wie viel ist uns ein Tierleben wert? | |
Bild: Kao Drozd mit seinem Hund | |
Sunny war auch schon mal besser drauf. Seit einer Weile frisst sie nicht | |
mehr gut und hat deutlich abgenommen. Ihre hellgrünen Augen sind so wach | |
wie immer, auch das getigerte Fell glänzt, aber ihr Wesen hat sich | |
verändert. Sunny zieht sich nun öfter mal zurück. Außerdem spart sie sich | |
immer häufiger ihre „Zoomies“, diese fünf Minuten, in denen sie wie | |
angestochen durch die Wohnung jagt. | |
Bald zehn Jahre schon wohnt Sunny mit Jennifer David zusammen. Und | |
natürlich weiß David, wenn mit ihrer Katze etwas nicht stimmt. Also kommt | |
Sandra Gütschow zum Hausbesuch nahe des Leopoldplatzes in Berlin-Wedding | |
vorbei. Gütschow arbeitet für einen mobilen Tierarzt-Dienst in der | |
Hauptstadt. Wollen sich Tierhaltende den Stress für sich [1][und ihr | |
Haustier] in den Wartezimmern der Praxen sparen, rufen sie Gütschow und | |
KollegInnen. Die fahren dann für Untersuchungen, Behandlungen, Impfungen | |
und sogar für kleinere Operationen wie Kastrationen von Haus zu Haus. | |
Sandra Gütschow untersucht Sunny auf Jennifer Davids Wohnzimmertisch und | |
ertastet bei der Katze etwas im Bauch, das ihr nicht gefällt. „Könnte auch | |
nur ein Haarknäuel sein“, sagt die Tierärztin, „aber das sollten wir auf | |
jeden Fall abklären lassen.“ Erstmal Blut abnehmen, dann in einer Klinik | |
einen Ultraschall machen, rät sie. Jennifer David stimmt sofort zu. „Na | |
klar. Aber wie viel wird das kosten?“ Festlegen will sich Gütschow nicht, | |
aber ein paar hundert Euro werden es sicher. | |
Da muss Jennifer David schlucken. 600 Euro übernimmt ihre | |
Haustierversicherung noch für dieses Jahr. Alles darüber hinaus wird die | |
Einzelhandelskauffrau aus eigener Tasche bezahlen müssen. | |
Tierarztrechnungen betreffen hierzulande fast jeden zweiten Haushalt. Nach | |
dem letzten, durch Corona ausgelösten Haustierboom leben wir mit mehr als | |
34 Millionen Hunden, Katzen, Meerschweinchen, Reptilien, Fischen zusammen. | |
Und die sind nicht gerade billig. Aktuellen Studien zufolge geben ihre | |
BesitzerInnen [2][rund 6,5 Milliarden Euro pro Jahr] für sie aus. | |
Was das auf die Lebensdauer eines einzelnen Haustiers gerechnet bedeutet, | |
hat [3][kürzlich ein Verbraucherportal ermittelt]. Schildkröten kamen mit | |
ihrer hohen Lebenserwartung auf fast 30.000 Euro, gefolgt von Hunden mit | |
knapp 17.000 Euro und Katzen mit etwa 10.000 Euro. Die wenigsten | |
HalterInnen haben sich das ausgerechnet, bevor ihr Tier ins Haus kam. | |
Und nun sind auch noch die Kosten für den Tierarzt deutlich gestiegen. | |
[4][Verantwortlich dafür ist eine neue Gebührenordnung,] die Ende | |
vergangenen Jahres in Kraft getreten ist. Sie legt verbindlich fest, wie | |
viel eine tiermedizinische Behandlung kosten darf, nach Art der | |
Untersuchung, Zeitaufwand, Schwierigkeit des Eingriffs und Spezialisierung | |
der Praxen und Kliniken. | |
Zum ersten Mal seit über 20 Jahren wurden die Kosten neu ermittelt. In | |
dieser Zeit hat sich die Veterinärmedizin den Standards der Humanmedizin | |
angenähert. Es gibt bessere Medikamente, bessere Geräte, Chemotherapien für | |
krebskranke Katzen und minimalinvasive Bandscheiben-OPs für Zwergdackel. | |
Selbst Kaninchen werden ins MRT geschickt oder digital geröntgt. Natürlich | |
sind die Behandlungskosten dabei gestiegen, teilweise um den doppelten und | |
dreifachen Satz. Aber eine Hunde-OP für 2.500 Euro muss man sich erst mal | |
leisten können, und wenn ein Tier lange in Behandlung bleiben muss, kann es | |
noch teurer werden. | |
Was ist uns so ein Tierleben eigentlich wert, wenn uns das Tier ans Herz | |
gewachsen ist? Und warum hegen und pflegen wir manche Tiere wie unsere | |
nächsten Angehörigen, während wir andere nur als ein Produkt betrachten? | |
Katze Sunny ist von Tierärztin Sandra Gütschow inzwischen in einen | |
neongrünen Katzensack gepackt worden. Ein Katzengesicht mit weißer Nase und | |
weißem Latz schaut aus dem einen Ende der Zwangsjacke, aus dem anderen Ende | |
der getigerte Schwanz. So sitzt Sunny als kratz-, beiß- und | |
fluchteingeschränktes Katzenpaket auf dem Wohnzimmertisch. Nur ein leises | |
Knurren und ein halbes Fauchen bleiben ihr, man kann es Sunny nicht | |
verübeln. | |
Jennifer David streichelt Sunnys Kopf, versucht ihre Katze und sich selbst | |
zu beruhigen. Die Tierärztin rasiert an Sunnys linkem Vorderbein eine Vene | |
frei. Die Nadel sitzt. Ein paar dicke Tropfen Katzenblut rinnen in ein | |
Fläschchen. Dann öffnet Sandra Gütschow die Klettverschlüsse, Sunny flieht | |
nörgelnd vom Tisch und schüttelt ihr Bein aus. Fürs Erste hat sie es | |
überstanden, Jennifer David ist erleichtert. | |
In ihrem Auto tippt Tierärztin Gütschow einen Bericht in ihr Smartphone und | |
schickt über die App des mobilen Tierarztdienstes die Rechnung an Jennifer | |
David raus. Dann checkt sie ihre nächsten Termine. „Der Hund, der im | |
Wartezimmer zu viel Angst hat, oder die Katze, die in der Box rebelliert, | |
das sind unsere typischen Patienten“, sagt Gütschow. Als nächstes steht die | |
Grundimmunisierung zweier Katzenwelpen an. Einer der angenehmen | |
Hausbesuche. „Einmal Impfen und Geschlechter bestimmen, dann kann sich das | |
Frauchen schon mal passende Namen aussuchen“, sagt sie, gibt die Adresse | |
ins Navi ein und startet den Motor. | |
Sandra Gütschow liebt ihren Job, die Nähe zu den Tieren, den Kontakt mit | |
den Menschen. Vor dem mobilen Dienst in Berlin hatte sie schon ein paar | |
Jahre in einer Praxis in Sachsen-Anhalt gearbeitet. Der Praxisalltag war | |
stressiger, vor allem dann, wenn das Wartezimmer voll war, aber zu wenig | |
Personal im Dienst. „Im mobilen Dienst ist das etwas entspannter“, sagt | |
sie. „Die Patienten wissen, wann sie dran sind. Außerdem kommen keine | |
absoluten Notfälle dazwischen.“ Eine Operation an einem verletzten Tier, | |
bei dem jede Sekunde zählt, ist nach wie vor ein Fall für die Klinik. | |
## Nicht nur ein Traumjob | |
Die Klein- und Heimtierklinik der Freien Universität Berlin ist in einem | |
grün-weißen Flachbauklotz untergebracht. Die FU bildet hier Studierende der | |
Veterinärmedizin aus und forscht. Und natürlich werden auch Hunde und | |
Katzen behandelt, außerdem Kleinsäuger wie Hamster und Ratten, Vögel, | |
Reptilien und Wildtiere. „Den wenigsten Leuten ist klar, was die | |
Behandlungen mit Arbeitszeit, Geräten, Material und Medikamenten kosten“, | |
sagt Barbara Kohn, selber Tierärztin und geschäftsführende Direktorin der | |
Klein- und Heimtierklinik. | |
Wenn wir selbst zum Arzt gehen, sehen wir die Kosten in der Regel nicht. | |
Wir geben unsere Gesundheitskarte ab, den Rest regeln die gesetzlichen | |
Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung unter sich. Wie viel | |
kosten eine Impfung, eine Zahnfüllung, ein EKG oder eine Operation? Auf der | |
Tierarztrechnung wird so etwas sofort klar: Allgemeiner Check 50 Euro, | |
Blutbild 70 Euro, Ultraschall bis zu 170 Euro, Kastration Kater 200 Euro, | |
Sterilisation Hündin 1.000 Euro. Kreuzbandriss-OP inklusive | |
Inhalationsnarkose, Material und Medikamente: 1.500 bis 4.000 Euro. Da kann | |
es schnell passieren, dass Herrchen oder Frauchen an ihre finanziellen | |
Grenzen kommen. | |
„Für die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen war die neue | |
Gebührenordnung überlebenswichtig“, sagt Barbara Kohn. Schließlich müsse … | |
TiermedizinerInnen in privaten Praxen gelingen, dass es nicht nur den | |
Tieren gut geht, sondern auch den Unternehmen. Viele ÄrztInnen hätten das | |
bei den alten Gebühren nicht mehr länger stemmen können. | |
Insbesondere in ländlichen Regionen hängt eine Praxis oft an einer | |
einzelnen Person. Die Einnahmen reichen nicht für zusätzliches Personal, | |
was einen 24-Stunden-Dienst unmöglich macht. Dann überarbeiten sich manche | |
private TierärztInnen, um ihren Betrieb zu erhalten. Oder sie machen ihre | |
Praxis dicht oder [5][verkaufen sie an eine Tierarztkette, die mehr | |
Finanzkraft hat]. | |
Der Beruf des Tierarztes ist nicht nur ein Traumjob, er ist auch ziemlich | |
hart. Wer ihn machen will, braucht ein hervorragendes Abitur oder viele | |
Wartesemester. Nach mindestens elf Semestern an der Uni geht es dann in die | |
Praxis. Das Bruttoeinstiegsgehalt ist mit 3.500 Euro überschaubar, | |
alternativ bleibt gleich der riskante Gang in die Selbstständigkeit. | |
In beiden Fällen hinzu kommen Überstunden und die nicht zu unterschätzende | |
emotionale Belastung, für Tier und Mensch verantwortlich zu sein. „Hinter | |
jedem Tier steht ein Mensch“, sagt Klinikdirektorin Barbara Kohn. „Sie | |
hängen an ihren Tieren, machen sich Sorgen, müssen beruhigt werden, | |
brauchen Rat oder auch Beistand.“ | |
Tiermedizin ist gleichzeitig Seelsorge. Manchmal müssen MedizinerInnen und | |
Tierhaltende gemeinsam abwägen, welche Behandlungen überhaupt Sinn machen. | |
Manchmal sind Tiere, die sich über die Jahre in nahezu gleichwertige | |
Familienmitglieder verwandelt haben, [6][nicht mehr zu retten]. | |
Internationale Studien kommen zu dem Ergebnis, dass VeterinärmedizinerInnen | |
[7][ein doppelt so hohes Suizidrisiko wie ÄrztInnen haben und ein viermal | |
so hohes wie die Allgemeinbevölkerung]. | |
In einer großen Klinik hingegen gibt es auch ruhigere Tage. Die Technik und | |
die Medikamente stehen bereit, ebenso deutlich mehr Fachkräfte. So können | |
Dr. Kohn und ihre KollegInnen auch mehr Zeit in die Vorsorge investieren, | |
wenn sich das die Tierhaltenden wünschen. | |
Kao Drozd kommt mit seinen drei Berner-Sennenhund-Retriever-Mischlingen | |
regelmäßig zum Routinecheck. Der Mann wartet im Behandlungszimmer auf einem | |
Stuhl am Fenster. Hündin Moria hat sich schon brav auf den Tisch gelegt, | |
sie kennt den Ablauf. Ihre Kinder Schaschlik und Blitzie, auch schon längst | |
erwachsen, spazieren neugierig durch den Raum. Dieses Mal ist Drozd mit | |
ihnen hier, weil ihm aufgefallen ist, dass sie sich seit dem Toskanaurlaub | |
häufiger an den Ohren kratzen als sonst. | |
Barbara Kohn tastet Morias Ohrmuscheln ab und sammelt mit einem Stäbchen | |
ein bisschen Ohrenschmalz. Eine Kollegin verschwindet mit den Abstrichen | |
ins Labor. Dort fixiert sie die Proben auf einem Träger, färbt sie ein und | |
untersucht sie unter dem Mikroskop. „Nichts Ernstes“, sagt sie, „aber in | |
den Ohren reichlich Malassezia.“ Hefepilze. Die können sich gut bei Wärme | |
und Feuchtigkeit ausbreiten, wie bei einem Urlaub am Mittelmeer. | |
Die Tierärztin checkt die Impfpässe und klärt Drozd über die zuletzt | |
angestiegenen [8][Babesiose-Fälle] im Raum Berlin auf. Die auch als | |
Hundemalaria bekannte Krankheit wird durch die Bunt- und Wiesenzecke | |
übertragen. Nach jedem Ausflug ins Grüne müssen die Drei unbedingt auf | |
Zecken untersucht und mit Medikamenten zum Einnehmen oder Auftragen | |
geschützt werden, klärt sie ihr Herrchen auf. Dann geht es zum Ultraschall. | |
Schaschliks kleine Zyste sieht weiterhin unbedenklich aus. Der Rüde | |
winselt, der Arztbesuch mit dem ständigen Stillhalten wird ihm langsam zu | |
viel. | |
Kao Drozd vergräbt sein Gesicht in Schaschliks Fell, Mensch und Hund | |
schließen die Augen und atmen tief durch. | |
Nach einer knappen Dreiviertelstunde ist die Rundumversorgung | |
abgeschlossen. Die Tierärztin [9][belohnt die Hunde mit ein] paar | |
Leckerlis, schon ist die Stimmung wieder bestens. „Ist das nicht ein toller | |
Beruf?“, fragt sie schmunzelnd in den Raum. | |
## Manchmal fehlt das Geld doch | |
Zwei-, dreimal im Jahr kommt Kao Drozd mit seinen Hunden in der Tierklinik | |
der FU vorbei. „Für Tierarztbesuche zahle ich über 1.000 Euro im Jahr“, | |
sagt er. „Aber das ist es wert, Frau Kohn und ihr Team kümmern sich um | |
alles.“ Sowieso sind ihm die drei Hunde viel wert: Sie bekommen | |
hypoallergenes Diätfutter, weil sie rotes Fleisch nicht gut vertragen. | |
Natürlich geht das ins Geld. Dazu die Steuern, der Tierarzt, ab und zu | |
Spielsachen. „Man muss finanziell gut aufgestellt sein, wenn man drei große | |
Hunde hat“, sagt Kao. „Aber die drei sind wie unsere Kinder, wir tun alles | |
für sie.“ | |
In Kürze ziehen er und sein Partner sogar für sie um. Genauer gesagt für | |
Moria, die Hundemama, weil die mit ihren zwölf Jahren zunehmend schwerer in | |
den fünften Stock der gemeinsamen Altbauwohnung in Berlin-Kreuzberg kommt. | |
Also haben ihre beiden Herrchen entschlossen, ein Haus in Bestensee zu | |
kaufen, wo es viel mehr Platz und weniger Stufen gibt. | |
„Geld spielt keine Rolle, wenn es um meine Katzen geht“, sagt auch Jennifer | |
David aus dem Wedding. Sunny ist ganz auf ihr Frauchen fixiert. Sie war | |
eine Problemkatze, zu früh von der Mutter weg, das Immunsystem vom | |
Katzenschnupfen angegriffen. Jennifer David hat sich um Sunny gekümmert – | |
und Sunny wusste das immer zu schätzen. Ist Frauchen zu Hause, weicht ihr | |
die Katze nicht von der Seite. Nicht einmal in der Küche beim Zwiebeln | |
schneiden, wenn Sunny ihre Zuneigung mit zusammengekniffenen Augen zeigen | |
muss. | |
In anderen Fällen fehlt das Geld aber eben doch. Sandra Gütschow und ihre | |
KollegInnen müssen häufiger mit den TierhalterInnen besprechen, welche der | |
vielen zur Verfügung stehenden Behandlungen sich diese überhaupt leisten | |
können. Einmal Krallen kürzen, eine Beratung oder eine Impfung, das geht | |
noch nicht so sehr ins Geld. Bluttests sind durch die gestiegenen | |
Laborkosten schon problematischer. Und was, wenn ein Tier operiert werden | |
oder viele Tage in Intensivpflege gehen muss? | |
Eine OP sei deshalb so teuer, weil das Tier nicht wie früher einfach | |
festgeschnallt und betäubt, sondern von einer zusätzlichen Fachkraft | |
intubiert und per EKG überwacht wird. In einer Klinik operieren auch mal | |
zwei ChirurgInnen zeitgleich am selben Tier. Sie verwenden Instrumente, | |
verbrauchen Medikamente – ganz zu schweigen von der Materialschlacht an | |
sterilen Einwegartikeln: Kittel, Handschuhe, Maske. Die Rechnung für alles | |
ist am Ende schnell vierstellig. | |
Der Bund angestellter Tierärzte – und mit ihm die gesamte Heimtierindustrie | |
– rät zu Haustierversicherungen. Deren Kosten hängen oft von Alter, Rasse | |
und der Haltung des Tieres ab. Freigängerkatzen werden teurer versichert | |
als Stubentiger. Qualzuchten wie Mops und Bulldogge oder Reinrassen wie | |
Labrador kosten mehr, weil sie im Durchschnitt häufiger zum Tierarzt | |
müssen. Es gibt teure Versicherungen mit Krankenvollschutz, die | |
Operationen, Diagnostiken und Nachbehandlungen mit einschließen. Eine | |
jüngere Katze kann dann um die 130 Euro Versicherung im Jahr kosten, ein | |
alter Hund über 1.000 Euro. Günstiger sind Versicherungen, die nur | |
medizinisch notwendige Eingriffe abdecken. Oft müssen dann Impfungen, | |
Chippen oder die Kastration selbst bezahlt oder eine OP anteilig übernommen | |
werden. | |
In Deutschland sind dennoch nicht viel mehr als 10 Prozent der Haustiere | |
versichert. Der Rest kommt privat für die Kosten auf. Die einen geben bald | |
mehr Geld für ihr Tier aus als für sich selbst: gesündere Nahrung, | |
Bekleidung und Decken ohne Giftstoffe, Besuche beim Fellstylisten, | |
regelmäßige Sportangebote, ein größerer Käfig, eine bessere Beleuchtung f�… | |
das Meerwasseraquarium, neue Kratzmöbel für das Katzenkletterzimmer, | |
Psychotherapie für traumatisierte Hunde. Nach Feierabend noch einmal kurz | |
in den Heimtierladen, ein kleines Geschenk mitbringen. Wie ein Spielzeug | |
für das Kind. Nicht jeder kann sich das leisten und gibt trotzdem alles für | |
die Tierliebe, in krassen Fällen manchmal buchstäblich sein letztes Hemd. | |
Die besondere Beziehung zwischen dem Menschen und seinem Haustier wird | |
schon lange von WissenschaftlerInnen untersucht. Einen Ansatz zu ihrem | |
Ursprung lieferte der Soziobiologe Edward O. Wilson Mitte der 1980er-Jahre. | |
In seiner Biophilie-Hypothese geht er davon aus, dass Menschen ein | |
angeborenes Interesse an der Natur haben und eine grundlegende | |
Verbundenheit zu allem spüren, das lebt. Der Mensch beobachtet die Natur – | |
und achtet das Leben, zunächst. | |
Durch diese Verbindung sind Mensch und Wolf einst auf der Suche nach | |
Nahrung eine Partnerschaft eingegangen, in der der Mensch die schärferen | |
Sinne des Wolfs nutzte und der Wolf die Jagdtaktiken und den Schutz des | |
Menschen. | |
Auch in der Verhaltenspsychologie wird viel darüber spekuliert, wie die | |
unterschiedlichen Spezies über die Jahrtausende aneinander gewachsen sind. | |
Fest steht: Die Nachfahren des Wolfes haben nicht ohne Grund Gesten, Mimik | |
und Dutzende Wörter der Menschen zu verstehen gelernt – und wie sie uns per | |
Hundeblick dahinschmelzen lassen. Bald hat der Hund zuverlässig das Vieh | |
gehütet und vor Gefahren gewarnt. Mensch und Tier: eine | |
Überlebensgemeinschaft. | |
Wahrscheinlich war es auch der Hund, der es dem Menschen überhaupt erst | |
möglich gemacht hat, Siedlungen zu bauen sowie zunächst Tierzucht und | |
später Ackerbau zu betreiben. Durch ihn konnte der Mensch dazu übergehen, | |
Tiere nicht mehr zu jagen, sondern zu pflegen, zu züchten – und vor | |
Raubtieren zu beschützen. Und wahrscheinlich war es auch der Umgang mit | |
Tieren, durch den der Mensch seine sozialen Fähigkeiten geschult und | |
verbessert hat. | |
So kommt die nächste Zusammenarbeit zwischen Mensch und Tier ins Spiel. Die | |
Geschichte der Hauskatze wird eher ein Fall der Selbstdomestizierung | |
gewesen sein, vermutet die Wissenschaft. Das unabhängige Wesen der Katzen | |
und unsere Akzeptanz ihrer genügsamen bis ignoranten Eigenart spricht | |
Bände. Seit wann die Katze den Menschen als Haustier begleitet, ist noch | |
nicht genau eingegrenzt. Doch in der Archäologie ist bekannt, dass die | |
Tiere bereits bei der Besiedlung Zyperns vor 15.000 Jahren eine Rolle | |
gespielt haben. Die Falbkatze war dort nicht heimisch. Und ohne die Boote | |
der ersten Siedler wären Katzen nicht auf die Insel gelangt. | |
Die Katzen jagten die Schädlinge, die die Ernte in den Siedlungen | |
ruinierten – und schlichen sich in die Herzen unserer Vorfahren. Ältere | |
Katzen, die nicht mehr auf die Jagd gingen, wurden offenbar mit den | |
Essensresten der Menschen gefüttert. Uralte Katzenknochen geben Hinweise | |
darauf, dass sich die Tiere neben den Ratten und Mäusen offenbar auch viel | |
von Hirse ernährten. | |
Mit der Industrialisierung kommt uns schließlich die von Wilson postulierte | |
Verbundenheit zur Natur nach und nach abhanden. Nutztiere werden zu | |
Produkten. Die Liebe zum Haustier aber bleibt. So gelangen Tierarten in die | |
Wohnungen, die auch auf kleinerem Raum gehalten werden können. Hunde, | |
Katzen – und noch ein paar, die hinter Gitter und Glas passen und hübsch | |
anzuschauen sind. Die beobachtet, füttert und pflegt der Mensch, bis dieser | |
eine persönliche Beziehung zu ihnen entwickelt und das niedere Wesen zum | |
Individuum aufsteigt. | |
Trotzdem denkt der Mensch lange, er sei mehr wert. Schon im Diskurs der | |
frühzeitlichen Philosophie erläutern die alten Denker, wie uns erst die | |
Abgrenzung vom Tier zum Menschen macht: Aristoteles beginnt den | |
Differentialismus, indem er Tieren die Vernunft abspricht. Später | |
beschreibt Descartes Tiere als komplexe Automaten ohne Bewusstsein und | |
Seele. Kant sagt, nur vernunftbegabte Wesen können auf moralisch relevante | |
Weise geschädigt werden. Sein berühmter Imperativ, nach dem wir stets nur | |
so handeln sollen, wie wir es auch als allgemeines Gesetz vertreten würden, | |
ist letztlich eine versöhnende Beschwichtigung: Folglich dürfen wir Tiere | |
deshalb nicht schlecht behandeln, weil wir selbst dadurch verrohen und | |
Gefahr laufen, auch unsere Mitmenschen schlecht zu behandeln. | |
Doch dann gerät der Mensch als Maß aller Dinge auf den Prüfstand. Durch den | |
Schaden, den er anrichtet, fällt er in seiner Moral als unmenschlicher | |
Zerstörer der Welt ab. Währenddessen werden Tiere besser erforscht und ihre | |
kognitiven Fähigkeiten erkannt. Tiere nutzen Werkzeuge, kommunizieren, | |
verfügen über soziale Kompetenzen, haben Mitleid, trauern umeinander. | |
Der arrogante Differentialismus weicht dem Assimilationismus: Eigentlich | |
gibt es gar keinen eindeutigen Unterschied zwischen Mensch und Tier. | |
Philosophen des 20. und 21. Jahrhunderts wie der US-Amerikaner Tom Regan | |
oder der Australier Peter Singer, beides Koryphäen für aufgeklärte | |
VeganerInnen, schreiben Tieren Bedürfnisse und Rechte zu. Ein Tier, das | |
Freude und Glück empfindet, müsse auch ein Interesse daran haben, nicht zu | |
leiden. Damit erhält das Tier moralische Rechte, die verletzt werden, | |
sobald der Mensch es nutzt. Für triviale Zwecke dürfe der Mensch fortan | |
keinem Tier Leid zufügen. | |
Um diesem moralischen Dilemma zu entgehen, ziehen die meisten von uns eine | |
willkürliche Grenze. Die moralischen Rechte gelten vor allem für jene | |
Tiere, die uns nahestehen. | |
Indem wir zwischen Haustieren und Nutztieren unterscheiden, ist es uns | |
möglich, das eine Tier zu essen, während wir das andere Tier streicheln. | |
Das ist durchaus eigennützig, das Streicheln tut uns gut. Wir streicheln | |
das Tier – und gleichzeitig unsere Seele. Durch die Berührung schütten wir | |
Oxytocin aus. Das Kuschelhormon hält eigentlich Paare zusammen und bindet | |
Eltern an ihr Kind. Es wirkt aber auch artübergreifend. | |
Flauschen wir ein warmes Fell, sinken Stress und Blutdruck. Tiere, die sich | |
in unserer Nähe wohl fühlen, beruhigen uns. Öffnen wir daraufhin unser Herz | |
und geben dem Tier einen Namen, gehen wir eine Beziehung aus gegenseitiger | |
Vertrautheit, Zuneigung und Fürsorge ein. Somit könnte man auch das | |
Haustier als Nutztier betrachten, da wir es zu Gunsten unseres | |
Wohlbefindens halten. In Befragungen antworten Herrchen und Frauchen, ihre | |
Tiere würden sie aktiver und geselliger machen. | |
Gesundheitsdaten belegen, dass die Aufenthaltszeiten in Krankenhäusern von | |
Tierhaltenden kürzer sind. Ob ein Haustier dem Menschen aber generell gut | |
tut, ist schwierig wissenschaftlich zu erfassen. Die Untersuchungen sind | |
Momentaufnahmen. Schließlich steht den Glücksmomenten mit dem Tier | |
einerseits die Mühe gegenüber, dem Schützling mit seinen Bedürfnissen | |
gerecht zu werden. Und andererseits der aufreibende Leidensweg, wenn | |
[10][das geliebte Haustier ernsthaft krank wird]. | |
Ein paar Tage später ist Sunny wieder beim Tierarzt. Die Laborwerte sehen | |
nicht gut aus, ebenso die Bilder aus dem Ultraschall. Die Tierärzte sagen, | |
für eine genaue Diagnose müssten sie eine Gewebeprobe entnehmen. Aber alles | |
deutet auf ein gastrointestinales malignes Lymphom hin, Lymphdrüsenkrebs, | |
typisch bei älteren Katzen. Dann könnte man wahlweise mit Cortison | |
behandeln oder eine Chemotherapie beginnen. Das eine verlängert das | |
Katzenleben vielleicht um ein paar Wochen oder Monate, das andere | |
vielleicht um ein Jahr oder mehr. Aber die 15, 16 Jahre, die eine gesunde | |
Hauskatze im Durchschnitt alt werden kann, würde Sunny nicht erreichen. | |
Jennifer David und die Fachkräfte wägen ab. Beide Parteien sprechen mal in | |
reiner Vernunft, mal aus dem Herzen heraus. Ein Menschenleben würde man so | |
lange wie möglich am Leben halten, ob der Mensch nun will oder nicht. Aber | |
was ist mit dem Tier, das sachliches Eigentum und Lebenspartner | |
gleichermaßen ist? Was ist das Beste für Sunny? | |
Jennifer David schaut ihrer tierischen Begleiterin in die Augen und fasst | |
einen Entschluss. „Ich möchte das nicht. Ich kenne sie.“ | |
Wenn Sunny nach der Operation wieder ganz die Alte gewesen wäre, hätte sie | |
weiteren Behandlungen zugestimmt. Doch so entscheidet sie sich gegen den | |
Eingriff und weitere Therapien. | |
Eine Woche nach der Diagnose wird Sunny eingeschläfert. „Vielleicht hätten | |
wir ihr Leben ein wenig verlängert, vielleicht aber auch nur ihre | |
Schmerzen“, sagt Jennifer David. Natürlich bricht es ihr das Herz, dass sie | |
Sunny verloren hat. „Aber Tierliebe bedeutet auch, dein Tier nicht leiden | |
zu lassen.“ | |
14 Nov 2023 | |
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[1] /Haustiere/!t5022883 | |
[2] https://www.ivh-online.de/der-verband/daten-fakten/der-deutsche-heimtiermar… | |
[3] https://www.heimwerker.de/hundefutter-test/#Haustier_Boom_in_Corona_Zeiten_… | |
[4] https://www.bundestieraerztekammer.de/tieraerzte/beruf/got/ | |
[5] https://www.gesundheitsmarkt.de/liste-groessten-betreiber-tierarztpraxen/ | |
[6] /Der-Hausbesuch/!5935455 | |
[7] https://www.wsava.org/wp-content/uploads/2020/12/Veterinary-Record_Veterina… | |
[8] https://biermann-medizin.de/die-babesiose-des-hundes-vorbeugen-ist-besser-a… | |
[9] /Polemischer-Blick-auf-den-Hund/!5950481 | |
[10] /Wie-Tiere-unter-Hitze-leiden/!5947461 | |
## AUTOREN | |
Philipp Brandstädter | |
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