# taz.de -- taz-Sonderausgabe zu Utopie: Hustlen, wie und wann du willst | |
> Homeoffice, Büro oder irgendwo dazwischen – die Ansprüche verändern sic… | |
> Wie klarkommen zwischen starren Strukturen und Bullshit-Jobs? | |
Bild: Mit Notebook und Handy im Englischen Garten: viele Jobs lassen sich an ei… | |
Eine gute Sache hatte die Coronapandemie. Sie brachte die Erkenntnis mit | |
sich, dass sich viele Jobs von zu Hause oder einem anderen selbstgewählten | |
Ort ausführen lassen. Arbeit und Freizeit, sonst räumlich und zeitlich | |
voneinander getrennt, [1][verschmolzen im Homeoffice]. | |
Wäsche aufhängen, privat telefonieren und sich dann dem Laptop widmen und | |
im Meeting präsentieren? Für viele ist das seit Corona Normalität. Doch was | |
wünschen sich Arbeitnehmende in dieser [2][sich wandelnden Arbeitswelt]? | |
Vielen geht es mittlerweile nicht mehr nur um eine Balance zwischen Leben | |
und Arbeit, sondern um Work-Life-Integration. Also darum, wie Arbeit und | |
Leben verbunden werden können. Deshalb müssen sich beide Seiten, | |
Arbeitgebende und Arbeitnehmende, dessen bewusst werden, dass Alltag und | |
Arbeit nicht mehr strikt voneinander zu trennen sind. | |
Dafür brauche es Regeln, betont Arbeitspsychologe Ludwig Andrione. Er sagt: | |
„Flexibel heißt nicht: Wir machen das irgendwie.“ Arbeitnehmende müssten | |
wissen, was erwartet wird. Dafür sollten die Anforderungen und der Rahmen | |
geklärt sein: Welche Ziele sollen wann erfüllt werden? Wann muss ich | |
erreichbar für die Chefin sein? Wer hilft im Homeoffice bei | |
Hardware-Problemen? Flexibilität funktioniert also nur mit Kommunikation | |
und klarem Rahmen. | |
## Unabhängigkeit vom Arbeitsort | |
Jedoch ist nicht jeder Vorgesetzte ein Fan von Veränderung. Viele Chefs | |
wünschen sich zum Beispiel wieder mehr Präsenz im Büro. Dabei geht [3][aus | |
einer Studie der Universität Darmstadt hervor, dass 59 Prozent der | |
befragten Arbeitenden das Gegenteil woll]en: Work from home. | |
Haben die mehr als 30 Prozent, die unbedingt ins Büro wollen, außerhalb | |
ihres Jobs nicht die Möglichkeiten oder das Selbstbewusstsein, | |
Freundschaften zu schließen? Brauchen sie auch im Erwachsenenleben einen | |
Schulhof? Von den einen in der Jugend geliebt und den anderen gehasst. | |
Einige haben in den letzten Jahren festgestellt, dass sie bewusst wählen | |
wollen, mit welchen Menschen sie sich umgeben. Warum zwingen wir sie zurück | |
auf den Pausenhof? | |
Unabhängig vom Arbeitsort wünschen sich Arbeitende Respekt, Anerkennung und | |
Arbeit auf Augenhöhe. Der Arbeitspsychologe Andrione sagt: „Ist man in | |
einem vertrauensvollen Austausch, bleibt man eher in schwierigen | |
Arbeitssituationen und hält eine Krise durch.“ | |
Im Laufe der letzten Jahrzehnte habe sich die Belastung durch Arbeit | |
verändert, hin zu einer psychischen Beanspruchung. „Je digitaler die | |
Arbeitswelt, desto weniger sehen wir, was wir eigentlich an einem Tag | |
geschaffen haben“, sagt er. Deswegen sei konstruktives Feedback umso | |
wichtiger. | |
Was passiert, wenn diese Rückmeldungen fehlen, kann man im Reddit-Forum | |
r/antiwork mit weltweit 2,8 Millionen Mitgliedern nachlesen. Dort tauschen | |
sich Nutzer über Situationen aus, in denen sie sich nicht wertgeschätzt | |
fühlten. | |
Eine [4][Person schreibt, dass sie abgemahnt wurde], weil sie im | |
Burger-Laden nicht auf ihren Schichtleiter wartete, um einen Krankenwagen | |
für eine ältere Frau anzurufen. Später habe sie erfahren, dass die Frau | |
Diabetikerin ist und ohne ihr schnelles Eingreifen möglicherweise gestorben | |
wäre. Die Person kündigte daraufhin. | |
Man könnte das Reddit-Forum als Ort zum Jammern abstempeln. Doch wird hier | |
anonym dokumentiert, was in der Arbeitswelt schiefläuft. Viele drücken hier | |
erstmals aus: „Ich mache den Scheiß nicht mehr mit! Ich lasse mich nicht so | |
behandeln. Ich bin mehr wert.“ | |
## Fünf Arten unsinniger Tätigkeit | |
Doch Wertschätzung allein reicht vielen nicht, sie wollen auch etwas | |
Sinnvolles tun. In einer im Sommer 2023 veröffentlichten und in den USA | |
durchgeführten [5][Studie gaben 19 Prozent der Befragten an, ihre Arbeit | |
habe subjektiv keinen Mehrwert] für die Gesellschaft. „Die Hölle ist eine | |
Ansammlung von Personen, die den größten Teil ihrer Zeit mit einer | |
Tätigkeit beschäftigt sind, die sie nicht mögen und nicht besonders | |
beherrschen“, schreibt Anthropologe David Graeber in seinem Buch „Bullshit | |
Jobs“. | |
Graeber identifiziert fünf Arten dieser unsinnigen Tätigkeiten. Unter | |
anderem „Flickschuster“, die temporäre Lösungen für Probleme finden, ohne | |
die Wurzel der Probleme anzugehen, und „Kästchenankreuzer“, die Prozesse | |
und Arbeit in Protokollen dokumentieren, die niemand liest. Solche Aufgaben | |
belasten, weil sie überflüssig sind. Die einzige Rechtfertigung vor sich | |
selbst ist der Tausch von [6][Lebenszeit gegen Geld]. Stattdessen könnte | |
bei gleichem Lohn die Stundenzahl gesenkt werden, aber Sinnlosigkeit | |
scheint en vogue zu sein. | |
Eine mögliche Folge ist „Bore-out“, eine Kombi von Unterforderung und | |
Langeweile, die wiederum die Sinnfrage aufwirft. Eine Zwischenlösung wäre | |
„Quiet Quitting“: weitermachen, aber nur so viel, dass nicht auffällt, dass | |
man eigentlich keinen Bock hat. Funktioniert im Büro und zu Hause. | |
Statt business as usual sollten die Rahmenbedingungen stärker hinterfragt | |
werden. Mehr Wertschätzung, Sinn und Flexibilität sollten doch möglich | |
sein. Wenn fast jede und jeder arbeiten muss, wieso dann nicht so, dass | |
sich das Arbeiten sinnvoll anfühlt, in passender Umgebung? Und solange | |
jemand seinen Job gut ausführt, wieso sollte dieser nicht an die | |
individuellen Lebensumstände angepasst sein? | |
26 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Ifo-Umfrage-in-Unternehmen/!5964438 | |
[2] /Philosoph-ueber-Arbeitszeitverkuerzung/!5916834 | |
[3] https://www.real-estate.bwl.tu-darmstadt.de/aktuelle_projekte/work_from_hom… | |
[4] https://www.google.com/url?q=https%3A%2F%2Fwww.reddit.com%2Fr%2Fantiwork%2F… | |
[5] https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/09500170231175771 | |
[6] /Modelle-fuer-Arbeitszeitverkuerzung/!5916824 | |
## AUTOREN | |
Klaudia Lagozinski | |
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