# taz.de -- Vor Wahlen in Bangladesch: Textil-Arbeiter*innen in Aufruhr | |
> Die Opposition demonstriert tagelang für eine Übergangsregierung, | |
> Textilarbeiter*innen marschieren für höhere Löhne. Es gibt Tote und | |
> Verletzte. | |
Bild: Dhaka: Anhänger der oppositonellen Nationalpartei fliehen bei einer Stra… | |
BENGALURU taz | Zehn- bis Hunderttausende Menschen haben in den vergangenen | |
Tagen immer wieder friedlich, aber auch steinewerfend auf den Straßen der | |
Hauptstadt Dhaka protestiert. Fahrzeuge brannten, Polizisten knüppelten und | |
schossen mit Tränengas und Gummimunition. Dazu kamen dann noch Streiks, die | |
zur Schließung von Geschäften und Fabriken führten. Fast täglich gab es | |
Tote, oft auf beiden Seiten, dazu Hunderte Verletzte und Hunderte | |
Festnahmen. | |
Am Samstag sollen in der Hauptstadt laut Polizei 200.000 Menschen | |
demonstriert haben, laut den beiden Oppositionsparteien, Nationalpartei | |
(BNP) und Dschamaat-i-Islami, sogar eine Million. | |
Schon am Wochenende sollen bei den Protesten laut [1][Human Rights Watch] | |
mindestens elf Menschen, darunter zwei Polizisten, getötet worden sein. In | |
den Folgetagen versuchte die Opposition, den festgenommenen Generalsekretär | |
Mirza Alamgir der konservativen BNP mit einem dreitägigen Streik | |
freizupressen. Die Polizei wirft ihm und anderen Oppositionsführern die | |
Verantwortung für die tödliche Gewalt vor. | |
Ab Montag kamen noch Demonstrationen von nach Gewerkschaftsangaben 100.0000 | |
Textilarbeiter*innen hinzu. Sie gingen für eine beinahe | |
Verdreifachung ihrer Löhne in den Industriestädten Gazipur, Ashulia und | |
Hemayetpur auf die Straße. | |
## Auch Preiserhöhungen fachen Proteste an | |
Die Arbeitgeber sind nur zu Erhöhungen von 25 Prozent bereit. Auch bei | |
diesen Protesten gab es zwei Tote. Noch am Donnerstag waren rund 300 | |
Textilfabriken wegen der Proteste geschlossen. Zuvor waren einige Betriebe | |
angezündet worden. | |
Die eskalierenden Proteste finden im Vorfeld der für Ende Januar erwarteten | |
Wahlen statt und heizen das politische Klima weiter auf. Doch begann die | |
Protestbewegung bereits im Sommer 2022, als es zu starken Preiserhöhungen | |
kam, sagt der Bangladeschexperte Ali Riaz von der amerikanischen Illinois | |
State University der taz. | |
Die Protestierenden fordern den Rücktritt von Premierministerin Scheikh | |
Hasina von der Awami-Liga, die seit 2009 wieder regiert. Stattdessen soll | |
bis zu den Wahlen im Januar eine neutrale Interimsregierung aus | |
Technokraten die Amtsgeschäfte übernehmen und einen fairen Urnengang | |
organisieren. Doch die Regierung lehnt dieses Verfahren ab, auch wenn es | |
früher in Bangladesch üblich war. | |
Der Awami-Liga werden Korruption, [2][Wahlmanipulation] und | |
Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Die 76-jährige Regierungschefin | |
strebt jetzt ihre fünfte Amtszeit an, nachdem sie auch schon von 1996 bis | |
2001 Ministerpräsidentin war. | |
## Opposition droht wieder mit Wahlboykott | |
Weil die Opposition die letzten Wahlen boykottiert hatte und die Awami-Liga | |
deshalb fast alle Parlamentssitze hält, wird befürchtet, dass sie sich dann | |
auch wieder selbst zur Siegerin kürt. Dies ist umso wahrscheinlicher, da | |
die Opposition erneut mit einem Wahlboykott droht. | |
Hasinas Hauptrivalin, die zweimalige Premierministerin Khaleda Zia, steht | |
seit 2020 unter Hausarrest. Ihr Gesundheitszustand gilt als kritisch. Ihre | |
BNP wird von ihrem Sohn Tarique Rahman vom Londoner Exil aus geführt. Er | |
rief die Bevölkerung zu fortgesetzten Protesten auf, damit das Land eine | |
bessere Zukunft habe. | |
„Bangladeschs internationale Partner sollten darauf bestehen, dass Wahlen | |
nicht als fair eingestuft werden können, wenn die Opposition ins Visier | |
genommen, schikaniert und hinter Gitter gebracht wird“, erklärte Meenakshi | |
Ganguly, stellvertretende Asien-Direktorin bei Human Rights Watch. | |
Die US-Regierung hatte schon im September Visabeschränkungen für Personen | |
erlassen, die „für die Untergrabung des demokratischen Wahlprozesses in | |
Bangladesch verantwortlich oder daran beteiligt sind“. | |
## „Seit 2014 hat es keine freie und faire Wahl mehr gegeben“ | |
Es gehe nicht darum, ob die BNP eine Alternative zur Awami-Liga sei, sagt | |
der bengalische Politikwissenschaftler Ali Riaz. Es gehe darum, das | |
Grundrecht auf freie und faire Wahlen wiederherzustellen. „Seit 2014 hat es | |
in Bangladesch keine Wahl mehr gegeben, die man als frei und fair | |
bezeichnen könnte“, sagt er der taz. | |
[3][Die letzten Parlamentswahlen] seien eine Farce gewesen. Im Jahr 2018 | |
gewann die Awami-Liga wegen des Oppositionsboykotts 288 der 300 Sitze. Im | |
Vorfeld waren [4][laut Medienberichten 2.000 Oppositionelle verhaftet | |
worden]. Die Opposition, die schon 2014 die Wahlen boykottiert hatte, | |
erkannte das Ergebnis nicht an. | |
Zugleich wächst der Unmut in der Bevölkerung über die angespannte | |
wirtschaftliche Lage. „Die Lebenshaltungskosten sind stark gestiegen“, so | |
Riaz. Deshalb kämpfen auch die Beschäftigten in der Textil- und | |
Bekleidungsindustrie für existenzsichernde Löhne, nachdem die Regierung | |
ihren Forderungen nicht nachkam. Bisher liegen die Löhne bei umgerechnet 70 | |
Euro, gefordert werden jetzt 200 Euro. | |
Erst im Januar hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) ein Hilfspaket | |
von 4,3 Milliarden Euro geschnürt. Doch hat die Regierung die | |
IWF-Bedingungen nicht erfüllt. Als Problem sieht Riaz aber nicht nur die | |
Inflation als Folge von Pandemie und russischem Angriffskrieg. Die | |
Regierung habe auch hohe Summen in Infrastrukturprojekte investiert, deren | |
Kosten explodiert seien. Der indische Beobachter Pritam R. Bose verweist | |
zudem auf die Korruption. | |
3 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hrw.org/news/2023/11/01/bangladesh-violence-erupts-amid-demands… | |
[2] /Verdaechtig-hoher-Sieg-in-Bangladesch/!5556404 | |
[3] /Vor-der-Wahl-in-Bangladesch/!5555680 | |
[4] /Verhaftungen-vor-Wahl-in-Bangladesch/!5557616 | |
## AUTOREN | |
Natalie Mayroth | |
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