# taz.de -- Israel-Solidarität in Berlin: Was hängen bleibt | |
> In Berlin haben Polizist_innen Plakate der israelischen Hamas-Geiseln | |
> entfernt. Rechte Sticker und Katzengesuche bleiben. Das also sind die | |
> Prioritäten. | |
Bild: Plakate der entführten israelischen Geiseln werden abgerissen – wie hi… | |
In Berlin gehen Menschen häufiger mal mit einem Messer auf die Straße. | |
Nicht unbedingt, um andere anzugreifen oder sich auf die Schnelle eine | |
Stulle schmieren zu können, sondern um unliebsame Sticker und Plakate von | |
Stromkästen, Haustüren und Ampeln zu entfernen. Doch hat man einen | |
Aufkleber [1][der Neonazi-Partei Der Dritte Weg] mühsam von der | |
Metallstange einer Ampel gekratzt, klebt am nächsten Tag ein neuer dran. | |
Und selbst aus banaleren Überklebungsaktionen wie zwischen St. Pauli und | |
Hansa Rostock-Fans entwickelt sich schnell eine Klebe-Schlacht darum, | |
welcher Verein am Ende auf den Straßen sichtbar bleibt. | |
Wildes Stickern und Plakatieren an öffentlichen oder privaten Orten ist | |
verboten. Es kann als Ordnungswidrigkeit gelten und unter bestimmten | |
Umständen zu Bußgeld oder einer Strafanzeige führen. Zumindest in der | |
Theorie. In der Praxis interessieren sich die Behörden relativ wenig dafür. | |
Die Stadt gleicht einem bunten Sammelsurium aus politischen Statements, | |
Flohmarktankündigungen und Suchplakaten für entlaufene Katzen. | |
Doch jetzt haben Berliner Polizist_innen mal durchgegriffen. In sozialen | |
Medien kursiert ein Video, in dem drei Beamt_innen Plakate mit den Fotos | |
der Hamas-Geiseln von einer Litfaßsäule rissen. Auf der ganzen Welt wurden | |
diese Plakate aufgehängt, um an die israelischen Geiseln zu erinnern, die | |
sich noch immer in Gefangenschaft der Terrororganisation befinden. Und auf | |
der ganzen Welt wurden die Plakate von antiisraelischen Demonstrant_innen | |
abgerissen. Und nun eben auch von der Berliner Polizei. | |
[2][Laut Tagesspiegel] sollen die Polizist_innen vor der Entfernung | |
Rücksprache mit dem Staatsschutz des LKA gehalten haben, eine Anzeige der | |
Eigentümer_innen der Litfaßsäule soll nicht vorgelegen haben. Die Polizei | |
begründet das Vorgehen mit dem Verstoß gegen das Pressegesetz, da ein | |
Impressum auf den Plakaten gefehlt habe. Ein Ermittlungsverfahren sei | |
eingeleitet. | |
## Wann die Polizei keine Zeit hat | |
Das mag juristisch richtig sein, moralisch ist es falsch. Denn es verweist | |
auf eine falsche Priorisierung der Polizei. Sticker und Plakate ohne | |
Impressum gibt es zuhauf in der Stadt. Und während antisemitische, | |
rassistische und andere menschenverachtende Plakate oft wochenlang im | |
öffentlichen Raum hängen bleiben, sahen sich die Beamt_innen hier in der | |
Pflicht, auf Recht und Ordnung zu pochen. | |
Besonders empörend ist das im Vergleich zum Umgang mit einem | |
antisemitischen Vorfall in Berlin. Kürzlich hatten Unbekannte an die Wand | |
eines Mehrfamilienhauses in Prenzlauer Berg einen Davidstern gemalt. Eine | |
antisemitische Drohung – schließlich wurden in der NS-Zeit Häuser mit | |
Davidsternen markiert, um Juden und Jüdinnen kenntlich zu machen. | |
Laut Medienberichten rief eine jüdische Bewohnerin des Hauses die Polizei. | |
Doch die sagte, sie hätten keine Kapazitäten und empfahl eine | |
Onlineanzeige. Zudem rieten sie ihr, den Davidstern zu entfernen, um | |
Weiteres zu verhindern. Die Frau griff also selbst zum Aceton, um den Stern | |
von ihrem Haus zu schrubben. | |
Während Jüdinnen und Juden selbst für ihre Sicherheit sorgen müssen, reißt | |
die Polizei Plakate der Geiseln ab. Statt dieses Vorgehen zu verurteilen, | |
ging Polizeipräsidentin Barbara Slowik mit einer Nicht-Entschuldigung an | |
die Öffentlichkeit, in der sie bedauerte, dass „Menschen der | |
israelisch/jüdischen Community verletzt wurden“. Für all diejenigen, die | |
sich solidarisch zeigen möchten, kann das nur heißen, weiter mit Messerchen | |
und Aceton auf die Straße zu gehen, um antisemitische Symbole und Parolen | |
aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. | |
1 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Neonazis-vom-Dritten-Weg/!5953734 | |
[2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/berlins-innensenatorin-zu-abreissaktion-… | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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