# taz.de -- Antisemitismus und Rassismus: Wenn Moral zum Werkzeug wird | |
> Rechte passen ihre Meinungen gerne so an, dass die Argumentation passt. | |
> Marginalisierte Gruppen werden auf diese Art oft gegeneinander | |
> ausgespielt. | |
Bild: Antisemitische Schmierereien an den Hauswänden im 14. Arrondissement von… | |
Oft werde ich gefragt, wen ich eigentlich mit diesem „Wir“ meine, das sich | |
durch meine Texte zieht. Sehr treffend haben es Fatma Aydemir und Hengameh | |
Yaghoobifarah im Vorwort zum Sammelband „Eure Heimat ist unser Albtraum“ | |
beschrieben: | |
„Nicht die Herausgeber_innen und Autor_innen dieses Buchs entscheiden, wo | |
das „Wir“ endet und das „Ihr“ beginnt. Sondern jede_r Leser_in bestimmt… | |
sich selbst: Will ich in einer Gesellschaft leben, die sich an völkischen | |
Idealen sowie rassistischen, antisemitischen, sexistischen, | |
heteronormativen und transfeindlichen Strukturen orientiert? Oder möchte | |
ich Teil einer Gesellschaft sein, in der jedes Individuum, ob Schwarz | |
und/oder jüdisch und/oder muslimisch und/oder Frau und/oder queer und/oder | |
nicht-binär und/oder arm und/oder mit Behinderung, gleichberechtigt ist?“ | |
Marginalisierte Gruppen werden ständig gegeneinander ausgespielt: Es gibt | |
Leute, die belächeln beispielsweise Safer Spaces für Frauen. Doch wenn es | |
darum geht, [1][Argumente gegen die Selbstbestimmung von trans Frauen zu | |
finden], werden Safe Spaces plötzlich wieder interessant. | |
## Marginalisierte gegeneinander ausgespielt | |
Zugänglichkeit und Inklusion von Behinderten ist für diese Menschen nur | |
dann relevant, wenn nach einem Argument gegen gendergerechte Sprache | |
gesucht wird. Das Sicherheitsgefühl von Frauen im öffentlichen Raum wird | |
erst dann angesprochen, wenn nach einem Grund dafür gesucht wird, | |
obdachlose Menschen aus den Parks zu vertreiben. | |
Und auf die Situation von Obdachlosen, Altersarmut oder medizinische | |
Unterversorgung wird genau dann aufmerksam gemacht, wenn Steuergelder in | |
die Hand genommen werden sollen, um die Situation Geflüchteter zu | |
verbessern. | |
Rechte und Konservative, die sonst eigentlich davon sprechen, dass man es | |
mit der Erinnerung an die [2][Shoa] und dem Antisemitismus-Thema nicht | |
übertreiben solle, interessieren sich auf einmal für die Sicherheit von | |
Jüdinnen und Juden, wenn ihnen das ermöglicht, so gegen Muslime hetzen zu | |
können. | |
Mein „Wir“ bleibt davon meist unbeeindruckt. Nicht nur, weil hier mit | |
Unwahrheiten und Vorurteilen gespielt wird, um die Behauptung aufzustellen, | |
eine marginalisierte Gruppe sei eine Gefahr für die andere. Diese | |
Konkurrenz ist ein „Ihr“-Problem, denn wir haben den Anspruch, möglichst | |
alle mitzudenken, Menschen als Individuen wahrzunehmen und nicht als | |
Gruppen abzuwerten. Wir tun das, um gemeinsam an der gerechteren | |
Gesellschaft zu arbeiten. | |
## Antisemitismus nicht mit Rassismus bekämpfen | |
Je besser die Zeiten, desto einfacher ist das. Je sicherer ich mich fühle, | |
desto besser kann ich auf andere achtgeben. Doch wenn ich das Gefühl habe, | |
selbst mit meinem Schmerz und meiner Angst kein Gehör zu finden, dann fällt | |
es mir schwer, anderen zuzuhören. Deshalb schreibe ich hier etwas, das | |
eigentlich klar sein sollte: | |
[3][Antisemitismus lässt sich nicht mit Rassismus bekämpfen.] Wir müssen | |
aufstehen gegen die Verschärfung des Asylrechts und des | |
Staatsbürgerschaftsrechts. Wir müssen uns gegen antimuslimische | |
Stimmungsmache und Gewalt wehren. | |
Und außerdem gilt: Die eigene Rassismuserfahrung rechtfertigt keinen | |
Antisemitismus und ist kein Grund dafür, Antisemitismus in Deutschland | |
kleinzureden. Wir müssen antisemitischen Parolen laut widersprechen. Wir | |
müssen uns schützend vor jüdische Einrichtungen stellen. | |
3 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Simone Dede Ayivi | |
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