# taz.de -- Lage im Südlibanon: Die Granaten kommen nachmittags | |
> Im Südlibanonen beschießen sich israelische Truppen und die | |
> Terrororganisation Hisbollah. Bislang ist die Lage noch nicht eskaliert. | |
Bild: Blick nach drüben: Ein Mann schaut aus der libanesischen Marjayoun-Gegen… | |
„Mach dir keine Sorgen, hier ist es im Moment ruhig. Das geht erst am | |
Nachmittag hier los“, sagt ein bärtiger, gut gebauter junger Mann, der sich | |
Abu Halalwa nennt. Er sitzt auf einem Plastikstuhl vor einem der wenigen | |
geöffneten Läden, zusammen mit einer Gruppe anderer, gut gebauter junger | |
Männer. Sie seien libanesische Bürger, so stellen sie sich vor. | |
Aber jeder weiß: wer sich hier direkt am Grenzzaun zwischen dem Südlibanon | |
und Nordisrael auf der libanesischen Seite der Grenzbefestigung aufhält, | |
gehört der Hisbollah an. Hier an dem sogenannten „Tor der Fatima“, ist die | |
nächstgelegene israelische Ortschaft ein paar hundert Meter entfernt. | |
Israel hat in den letzten Tagen alle Ortschaften, die weniger als vier | |
Kilometer von der Grenze entfernt liegen, evakuiert. Nur noch die Armee | |
befindet sich dort. | |
Israel solle ruhig kommen, sie seien bereit, tönt es aus der Gruppe. „Wenn | |
der israelische Gegner einen Schritt nach Gaza macht, wird die Antwort von | |
mir und anderen, eine heftige sein. Diese Schlacht können sie nicht | |
gewinnen“, verkündet Abu Halawa. „Jedes Kind, dass in Gaza in den | |
israelischen Bombardements getötet wird, ist für uns wie ein libanesisches | |
Kind“. | |
Vor dem Laden sind zwei Fahrzeuge voller Waffen geparkt. Sie warten hier | |
auf ihren Einsatzbefehl. Dass sie im Moment relativ entspannt hier | |
herumsitzen, hat mit den sogenannten „Rules of Engagement“ zu tun. Das sind | |
die Spielregeln, die zwischen Israel und der Hisbollah seit dem Ende des | |
Krieges 2006 aufgestellt wurden. Wenn man sich gegenseitig beschießt, dann | |
nur in einem bestimmten geographischen Rahmen, der nicht über die ersten | |
Kilometer an der Grenze hinausgeht. Scheinbar gibt es auch bestimmte Zeiten | |
für den Beschuss, der meist am Nachmittag beginnt. | |
## Kein großer Appetit auf einen größeren Konflikt | |
Auch Andrea Tenenti, der Sprecher der UNIFIL, der UN-Beobachtungtruppen im | |
Südlibanon bestätigt, die Lage sei „angespannt und explosiv“, aber trotz | |
des Krieges in Gaza hielten sich bisher beiden Seiten an diese „Rules of | |
Engagement“. Wenngleich es jeden Tag innerhalb dieser Regeln mehr | |
Beschuss-Aktivitäten gibt. | |
„Es scheint im Moment auf beiden Seiten keinen Appetit auf einen größeren | |
Konflikt zu geben, aber das bedeutet nicht, dass das nicht passieren kann. | |
Keiner will, dass es groß eskaliert, aber es heißt immer, wenn ihr | |
irgendetwas macht, werden wir zurückschlagen und da kann es jederzeit | |
falsche Kalkulationen geben“, beschreibt Tenenti die Situation an der | |
Grenze. Auf libanesischer Seite sind bisher 54 Hisbollah-Kämpfer, eine | |
Handvoll Zivilisten und ein libanesischer Journalist der Nachrichtenagentur | |
Reuters unter israelischem Beschuss umgekommen. | |
Der mehrheitlich von Christen bewohnte Ort Marjayoun liegt ungefähr zehn | |
Autominuten vom Tor der Fatima entfernt, im Landesinneren, also immer noch | |
in geographischen Bereich der „Rules of Engangements“. Nur wenige sind | |
zurückgeblieben. Die meisten, vor allem Frauen und Kinder, haben das Dorf | |
verlassen und sind an andere Orte im Libanon gereist. In Erwartung einer | |
Eskalation an der Grenze. | |
Nur in einer Ladenzeile am Dorfausgang ist es etwas geschäftiger. Der | |
Metzger, er will nicht namentlich genannt werden, gibt sich trotzig, wie | |
viele hier, die noch im Dorf sind. „Wir bleiben standhaft. Kriege sind seit | |
60 Jahren in unserem Blut. Das trifft uns nicht mehr, wenn die Israelis uns | |
bombardieren wollen, dann sollen sie. Wenn sie auf uns schießen, werden wir | |
doppelt antworten“, sagt er. „Unsre Widerstandsbewegung, die Hisbollah, ist | |
stärker als die Israelis. Nichts kann die Hisbollah brechen, denn Gott gibt | |
uns Kraft“, fügt einer seiner Kunden hinzu. Ein anderer Kunde gibt sich | |
eher fatalistisch. „Wir bleiben hier bis Gott uns ein Ende bereitet. Wo | |
sollen wir auch hin“, meint er. | |
## Trotz, Fatalismus, Verzweiflung | |
Kritische Töne zur Hisbollah wird man hier kaum hören. Deren Fahrzeuge | |
patrouillieren die Straßen. Und hier kennt jeder jeden. Abu Hassan hat | |
nebenan ein kleines Restaurant, in dem sich manche der verbliebenen | |
Dorfbewohner und gelegentlich eine paar Soldaten der UN-Beobachtungtruppe | |
gegrillte Hähnchen abholen. Abu Hassan ist nicht trotzig, eher verzweifelt. | |
Er habe Angst um seine Kinder, sagt er. „Ich möchte unseren politischen | |
Führern sagen: erst hatten wir den Krieg mit Israel 2006, dann kam Corona, | |
dann haben wir all unser Geld auf den libanesischen Banken verloren. Und | |
jetzt das“, fasst er die letzten miserablen Jahre seines Lebens zusammen. | |
„Immer wenn ich versuche mein Leben wieder aufzubauen, ende ich wieder am | |
Nullpunkt und niemanden kümmerts“, fügt er hinzu. | |
Auf die Frage, ob sie den israelischen Beschuss im Dorf auch mitbekommen, | |
erzählt er, dass es in der Nähe immer wieder kracht. Vor ein paar Tagen sei | |
ein libanesisches Ehepaar durch den israelischen Beschuss umgekommen. Seine | |
Augen füllen sich mit Tränen. Auf die Frage, ob er sie gekannt habe, nickt | |
er und wendet sich stumm ab. | |
In die südlibanesische Stadt Tyros am Mittelmeer sind viele gekommen, die | |
inzwischen aus den Dörfern im unmittelbaren Grenzgebiet geflüchtet sind. | |
Wer Geld hat, hat sich hier in Sidon oder in Beirut eine Wohnung gemietet. | |
Andere sind bei Verwandten untergekommen. Wer beides nicht hat, ist in | |
improvisierten Flüchtlingsunterkünften untergekommen, wie in der | |
Universität in Sidon. „Hier leben derzeit 400 interne Flüchtlinge, in | |
andern Schulen der Stadt sind es weitere 1200“, erläutert Hassan Hamoud der | |
Vizebürgermeister von Tyros, der durch die Universität führt. In der Stadt | |
und Umgebung seien es derzeit sogar 6600 Flüchtlinge und die Zahl steige | |
täglich, je mehr im Süden geschossen wird, führt er aus. | |
## Die Einschläge kommen näher | |
In einem der kleinen Seminarräume lebt Mustafa El Sayed mit seinen sechs | |
Kindern und seiner Frau. Die Situation in seinem Dorf Beit Liv, unweit der | |
Grenze, wurde immer schlimmer, erzählt er. „Die Einschläge kamen immer | |
näher. Alle Geschäfte waren zu und es wurde immer schwerer einzukaufen“, | |
blickt er auf die Tage zurück, bevor er vor einer Woche sich mit seiner | |
Familie hierher aufgemacht hat. | |
Seine Frau sitzt auf dem Boden, wäscht in einem großen Bottich die Wäsche. | |
„Mit jedem Einschlag in der Nähe unseres Dorfes haben die Kinder geschrien | |
und geweint. Dann haben wir beschlossen, hierherzukommen. Das Leben | |
zwischen all den anderen Flüchtlingen ist hart, aber wenigstens sicher“, | |
sagt sie. Wie es weitergeht, wissen sie nicht. „Hier sind jene gelandet, | |
die kein Geld haben, um für sich irgendetwas anderes zu organisieren. Wir | |
stecken hier fest. Irgendwann wird es vorbei sein“, hofft El-Sayyed. | |
Das Dorf Al-Khayam liegt in Sichtweite der israelischen Grenze. Hier lebt | |
ein älteres Ehepaar, Ebtisam Okail mit ihrem Mann Nabih. Andere, Familien | |
mit Kindern, seien weg, sagt Ebtisam. Sie haben beschlossen, zu bleiben. | |
„Wir gehen hier nicht weg, wir sind Kriege gewohnt und das ist unser Land | |
und unser Haus“. Ebtisam ist stur. | |
Von ihrem Haus zur Grenze sind es fünf Minuten mit dem Auto. Ebtisam zeigt | |
uns ihre Vorbereitungen auf noch schlimmere Zeiten. Ihr Lagerraum neben der | |
Küche ist voll mit Reis, Nudeln, Speiseöl und allerlei Dingen in großen | |
Einmachgläsern. Auch einen Trinkwasservorrat hat sie sich angelegt. | |
## Auf alle Entwicklungen vorbereitet | |
Die beiden planen hier so lange durchzuhalten, wie es geht. Aber auch für | |
den Fall, wenn es nicht mehr geht, sind sie vorbereitet. Im Wohnzimmer | |
steht eine Tasche mit ein wenig Kleidung und der Medizin ihres Mannes, der | |
an Diabetes leidet. Sie öffnet ihre Handtasche und zeigt, dass sie dort ihr | |
Geld und alle wichtigen Dokumente bereithält. Dann führt sie vor das Haus | |
zu ihrem Auto und zeigt die Tankanzeige. „Wir schauen, dass die immer | |
möglichst voll bleibt“. | |
Jene, die in ihren Dörfern an der Grenze zu Israel geblieben sind, sitzen | |
auf einem Pulverfass. Sie hoffen, dass es nicht explodiert und befürchten | |
gleichzeitig das Schlimmste. „Wir“, sagt Ebtisam, „sind für alle | |
Eventualitäten an dieser Grenze bereit“. | |
29 Oct 2023 | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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