# taz.de -- Die Folgen der Erdbeben: Die Bebenopfer sind meist Frauen | |
> In Afghanistan behindert die frauenfeindliche Politik der Taliban die | |
> Hilfsmaßnahmen. Es gibt für die meist weiblichen Opfer zu wenig | |
> Ärztinnen. | |
Bild: Freiwillige suchen in den Trümmern in Herat in Afghanistan nach Opfern, … | |
BERLIN taz | 90 Prozent der Opfer der schweren Erdbeben am [1][Samstag] und | |
Donnerstag bei Herat in Nordwest-Afghanistan sind Frauen und Kinder, lauten | |
neue Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef. Inzwischen geben offizielle | |
Stellen der Taliban die Opferzahlen mit 2.445 Toten und 2.440 Verletzten | |
an. | |
Darin sind aber noch nicht die Opfer der drei neuen, schweren Erdstöße von | |
Donnerstag enthalten, die sich näher bei der Großstadt Herat ereigneten als | |
die ersten Beben. Nach vorläufigen Zahlen kam dabei mindestens eine Person | |
ums Leben, etwa 50 wurden verletzt. | |
Laut der afghanischen Onlineplattform Zan News (Frauennachrichten) stehen | |
viele überlebende Frauen und Kinder unter Schock. Viele Schwangere hätten | |
„wegen nervöser Schocks und mangelndem Zugang zu medizinischer Versorgung“ | |
ihre ungeborenen Kinder verloren. | |
Laut dem Chef der UN-Flüchtlingsagentur UNHCR, Filippo Grandi, kommen die | |
Zerstörungen „noch zu der sehr fragilen Situation der Frauen“ in | |
Afghanistan hinzu. | |
Die taz hatte bereits am Donnerstag [2][online berichtet], dass laut der | |
Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen vor allem Frauen mit ihren Kindern | |
unter Trümmern begraben wurden, da sie sich aufgrund der Taliban-Politik, | |
aber auch konservativer örtlicher Traditionen, nicht allein außerhalb der | |
Häuser bewegen dürfen. | |
## Ideologie ist den Taliban wichtiger als Hilfe | |
Inzwischen mehren sich Berichte, dass die frauenfeindliche Politik der | |
Taliban direkt oder indirekt die Rettungs- und Hilfsmaßnahmen behindert. | |
Demnach konnten nach dem ersten Beben Frauen im größten Krankenhaus von | |
Herat nicht sofort von Ärzten behandelt werden, weil Taliban-Aufpasser auf | |
strikte Geschlechtertrennung bestanden hätten, berichtete die im Exil | |
herausgegebene oppositionelle Onlinezeitung Hascht-e Sobh unter Bezug auf | |
lokale Quellen. Erst als die Opferzahl immer mehr anstieg, sei es zwei | |
männlichen Ärzten erlaubt worden, in der Frauenstation zu arbeiten. | |
Orzala Nemat, frühere Leiterin des Forschungsinstituts [3][AREU] in Kabul | |
und jetzt ebenfalls im Exil, schrieb in sozialen Medien, ihr lägen Berichte | |
aus der Region Herat vor, dass es dort an weiblichen Nothelfern mangele. | |
Umgekommene Frauen blieben deshalb entgegen der islamischen Tradition, die | |
eine Beerdigung noch am Todestag vorsieht, bis zu drei Tagen unbestattet. | |
Das afghanische Onlineportal Nimroch berichtet, dass die Taliban | |
Helferinnen und Journalistinnen nicht in das Katastrophengebiet reisen | |
ließen und Interviews mit Betroffenen zensiert hätten. Eine | |
Frauenrechtlerin aus Herat, die mit Mitstreiterinnen Hilfspakete nach | |
Sindedschan im Epizentrum des ersten Bebens bringen wollte, sei an einem | |
Taliban-Posten zurückgeschickt worden. Einer Journalistin, die aus dem | |
Bebengebiet berichten wollte, habe man gesagt, sie solle ihre „männlichen | |
Kollegen schicken“. | |
## Taliban wollen die Kontrolle über die Opferzahlen behalten | |
Laut [4][Hascht-e Sobh] hat die Taliban-Behörde für Katastrophenmanagement | |
Andma angeordnet, dass niemand ohne Koordination mit ihr im Bebengebiet | |
Hilfe verteilen dürfe. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Andma es anderen | |
Organisationen untersagt hat, eigene Opfer- und Schadenszahlen | |
herauszugeben. Die Taliban selbst mussten am Sonntag ihre Zahlen | |
korrigieren. | |
Laut dem [5][Bericht eines Forscherkollektivs des Deutschen | |
Geoforschungszentrums in Potsdam], in dem der afghanische Seismologe | |
Najibullah Kakar mitarbeitet, waren beide Beben die ersten großen in dieser | |
Region, seit ab etwa dem Jahr 1900 offizielle Daten vorliegen. Es gäbe auch | |
keine historischen Belege für ähnlich verheerende Ereignisse in dieser | |
Region aus vorherigen Jahrhunderten. | |
Insgesamt werden quer durch Afghanistan Spenden gesammelt, unter anderem im | |
Südosten des Landes, der im Juni 2022 selbst von einem schweren Beben | |
getroffen wurde. | |
12 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Erdbeben-in-Afghanistan/!5962265 | |
[2] /Humanitaere-Katastrophe/!5965990 | |
[3] https://areu.org.af/ | |
[4] https://8am.media/eng/herat-tragedy-and-talibans-mismanagement-aid-organiza… | |
[5] https://www.gfz-potsdam.de/en/press/news/details/zwei-zerstoererische-erdbe… | |
## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Frauenpolitik | |
Frauenfeindlichkeit | |
Erdbeben | |
Unicef | |
UNHCR | |
Ärzte ohne Grenzen | |
Taliban | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Pakistan | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Taliban | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Skandal in Kölner Ditib-Zentrum: Der Taliban aus den Niederlanden | |
In Köln pries ein Taliban-Funktionär sein Regime in Afghanistan. Die | |
Empörung ist groß, doch der Mann reiste legal über die Schengen-Grenze ein. | |
Neuer Drogenbericht der UNO: Taliban erfolgreich gegen Opium | |
Afghanistan war Hauptanbaugebiet für Rohopium, den Grundstoff für Heroin. | |
Die Taliban haben den Anbau verboten – auf Kosten der Bauern. | |
Afghanistan nach dem Erdbeben: Afghanistan braucht Hilfe | |
Durch das Massaker in Israel gerät das Erdbeben in den Hintergrund. Die | |
Menschen dort leiden doppelt: unter der Naturkatastrophe und den Taliban. | |
Pakistans Kurswechsel gegen Flüchtlinge: Afghanen als Sündenböcke | |
Pakistans Regierung macht Afghanen für Terroranschläge verantwortlich. Sie | |
will alle Flüchtlinge ohne Aufenthaltspapiere aus dem Land werfen. | |
Afghanistan-Treffen im Moskauer Format: „Für die Taliban entschieden“ | |
Russland hofiert das Kabuler Islamisten-Regime und hofft auf Einfluss, die | |
Taliban wollen Anerkennung. Bisher hat es sich für beide nicht ausgezahlt. | |
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Laut Amt erwachsen | |
Ein junger Geflüchteter erzählt über seine Flucht von Afghanistan nach | |
Deutschland. Seine Geschichte ist beispielhaft für das Schicksal vieler. |