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# taz.de -- Wendy Brown interpretiert Max Weber: Eine Wahrheit suchen
> Die US-Politologin Wendy Brown knüpft an den deutschen Soziologen Max
> Weber an. Es geht um die Bedrohung der liberalen Demokratie.
Bild: Die US-Politologin Wendy Brown, hier bei einer Veranstaltung in Berlin
Wendy Brown, die bekannte amerikanische Politologin, hielt 2019 in Yale die
Tanner Lecture on Human Value, in der sie beim großen [1][Soziologen Max
Weber] einen Wegweiser durch „die Finsternis“ fand. In seinem umfangreichen
Œuvre konzentrierte sie sich auf die zwei Vorlesungen „Politik als Beruf“
und „Wissenschaft als Beruf“, die sie in ihren Vorträgen kommentiert und
für die Gegenwart fruchtbar machen will.
Diese beiden berühmten Vorträge, die zentrale Konzepte Webers Denken wie
die „Entzauberung der Welt“ enthalten, hielt Weber 1917 und 1919 in
München. Browns Interpretation dessen in zwei eigenen Vorlesungen sind nun
auf Deutsch unter dem Titel „Nihilistische Zeiten. Denken mit Max Weber“
erschienen.
Dass ausgerechnet eine bekannte Vertreterin der Kritischen Theorie den
ollen Max hochhält, mag erstaunen, nicht zuletzt Brown selbst. Denken mit
Weber erscheine widersprüchlich, „wenn nicht pervers“, schreibt Brown, denn
Weber gilt vielen Kritiker:innen wahlweise als grober Maskulinist,
amoralischer Positivst oder gar Grundsteinleger für deutschen
Nationalismus.
Doch Brown will Weber vor diesen Vorwürfen retten: Weber habe über die
Bedrohung der liberalen Demokratie nachgedacht, über „Krisen des
politischen und akademischen Lebens in der frühen Zwischenkriegszeit, die
gewisse Parallelen zu unserer eigenen Zeit aufweisen, darunter auch eine
Krise des Liberalismus“. Dazu sei er ein Kritiker des Nihilismus gewesen,
welcher uns auch heute begegne. Er habe den Verlust von „Werten“ durch die
Rationalisierung und den Verlust der Religion als sinnstiftende Ideologie
analysiert.
Doch, so Brown, sein Vorschlag, mit dem Glauben an Fortschritt aus dem
Dilemma herauszukommen, müsse heute als gescheitert angesehen werden, da
die Moderne ihre Versprechen angeblich nicht erfüllt habe. Es ist eine der
vielen Stellen, in denen Brown ausschweifende Behauptungen anstellt, ohne
jedoch ihre eigenen Grundannahmen kritisch zu hinterfragen.
## Linke Führungsfiguren
Im Kapitel über Politik setzt sie der Entwertung durch krude
Ökonomisierung, die sie auch schon in ihrem Buch über Neoliberalismus
angeprangert hatte, nun die Idee charismatischer Führungsfigur auf der
Linken entgegen. Seltsamerweise fehlt hier ein Verweis oder eine
[2][Auseinandersetzung mit Chantal Mouffe], deren Konzept des
Linkspopulismus vielen politischen Bewegungen der Zehnerjahre zugrunde lag
und in dem Führungsfiguren ein zentrales Element sind.
Das zweite Kapitel zu Wissenschaft ist deutlich fruchtbarer. Nicht nur
Fakten, schreibt Brown, sondern „auch Faktizität sollte auf dem Lehrplan
der Studierenden stehen, das heißt, wie es zu Tatsachen kommt und wie sie
als Tatsachen Legitimität erlangen. Wir müssen die Studierenden mit den
komplexen Verfahren und wettstreitenden Theorien vertraut machen, wie
Tatsachen entstehen und zu deuten sind, mit ihren unentrinnbar
historischen, sozialen, diskursiven und hermeneutischen Dimensionen sowie
damit, dass sie sich nicht voneinander isolieren lassen und an sich keine
Bedeutung haben.“ Brown wirft sich hier in die Keilerei über die politische
Rolle von Universitäten.
Doch auch hier fehlen zentrale Referenzen: Wer über die Rolle von
Wissensproduktion reflektiert, ohne die blühende Forschung zur
Wissenschaftsanthropologie zu erwähnen, deren bekanntester Repräsentant
[3][Bruno Latour] war, hat keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem
Thema im Sinn. Und das ist wohl das Problem an diesem Buch: Für
Leser:innen, die Weber nicht kennen, ist es zu voraussetzungsreich, aber
für ein akademisches Publikum zu singulär und zu wenig in wissenschaftliche
Debatten eingebettet.
21 Oct 2023
## LINKS
[1] /150-Geburtstag-von-Max-Weber/!5043985
[2] /Chantal-Mouffe-ueber-Demokratie/!5538435
[3] /Nachruf-auf-Bruno-Latour/!5883777
## AUTOREN
Caspar Shaller
## TAGS
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2024
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Krise der Demokratie
Populismus
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Liberalismus
Marxismus
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