# taz.de -- Gewalt-Schutz in Niedersachsen: Für Mütter gibt's nur warme Worte | |
> Die Gruppe „Frauen für Gewaltschutz“ zieht heute wieder vor die | |
> Staatskanzlei in Hannover. Seit ihrem Protest vor einem Jahr bewegte sich | |
> fast nichts. | |
Bild: Gab es schon vor einem Jahr: Mütter-Protest vor der Staatskanzlei in Han… | |
HAMBURG taz | Genau ein Jahr ist es her, dass sich [1][eine Mütterdemo in | |
Hannover] an die niedersächsische Regierungssprecherin Anke Pörksen und die | |
Grüne Abgeordnete Tanja Meyer wandte. Die Mütter überreichten Pörksen und | |
Meyer 63 Fallbeispiele, teils aus Niedersachsen, die illustrieren sollten, | |
wie die Familiengerichte den Gewaltschutz missachten. Sie kritisierten, | |
dass das Recht der Väter auf [2][Umgang mit dem Kind] als vorrangig | |
eingestuft wurde. Seither habe sich die Lage eher verschlechtert, sagt die | |
[3][Initiativensprecherin Anna Hansen]. Dem Thema werde noch weniger | |
Gewicht beigemessen als vor einem Jahr. | |
Die [4][Initiative] will am heutigen Mittwoch um viertel vor zwölf vor der | |
niedersächsischen Staatskanzlei eine „Jubiläumskundgebung“ abhalten, zu d… | |
wieder Pörksen und Meyer und weitere Politiker wie Hannovers Bürgermeister | |
und die niedersächsische Justizministerin eingeladen sind. Doch die | |
Resonanz sei gering, sagte Hansen der taz. Es hätten die CDU-Politikerin | |
und mit dem Thema befasste Autorin Jessica Reitzig zugesagt und Heike | |
Köhler von der Frauen-Union, aber noch keiner von rot-grüner | |
Regierungsseite. | |
Als am 25. Oktober 2022 die erste Kundgebung stattfand, lag gerade der | |
„Grevio-Bericht“ des Europarates vor, der besagte, dass Deutschland zu | |
wenig tut, um Frauen und Kinder vor häuslicher Gewalt zu schützen. Die | |
frühere Gleichstellungsbeauftragte und Soziologin Christina Mundlos las | |
dort einen Offenen Brief an Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) vor, in | |
dem sie ausführte, dass das Familiengericht und angegliederte Professionen | |
die [5][Gewalt von Vätern nicht ernst genug nähmen]. Stattdessen | |
unterstellten sie Müttern, wenn die Kinder ihre Väter nicht sehen wollten, | |
Manipulation. „Der Vater hat zugegeben, dass er das Kind geschlagen und | |
gebissen hat. Aber das geschah letztlich aus rein pädagogischen Gründen“, | |
zitierte Mundlos eine Jugendamtsmitarbeiterin aus Hannover. | |
## Gewaltschutz-Koordinierungsstelle soll kommen | |
Besagter [6][„Grevio-Bericht“ appelierte an deutsche Behörden], die | |
gerichtliche Entscheidungspraxis bei Sorge- und Besuchsrecht mit Blick auf | |
die „Sicherheit von weiblichen Opfern häuslicher Gewalt und ihrer Kinder“ | |
neu zu bewerten, sogar „einschließlich der Zusammenhänge mit | |
geschlechtsspezifischen Tötungen von Frauen und ihren Kindern“. | |
Das Thema fand tatsächlich Eingang in den damals gerade verhandelten | |
[7][Rot-Grünen Koalitionsvertrag.] Niedersachsen werde im Kampf gegen | |
Gewalt an Frauen die Istanbul-Konvention „konsequent umsetzen“, heißt es | |
dort auf Seite 92. Und weiter: „Dazu richten wir eine Koordinierungsstelle | |
ein, um Gewaltschutz als ressortübergreifende Aufgabe zu verankern“. Zudem, | |
sagt Hansen, habe Anke Pörksen im Gespräch mit den Müttern die Einrichtung | |
eines unabhängigen Gremiums zur Überprüfung von Familiengerichtsverfahren | |
als möglich erachtet. | |
Doch als Hansen im Laufe der folgenden Monate noch mal nachhakte, wurde sie | |
ans Justizministerium verwiesen, das so ein Fachgremium zur „Analysierung | |
familiengerichtlicher Praxis“ als ungesetzlich ablehnte. Die Begründung: | |
Die im Grundgesetz verankerte richterliche Unabhängigkeit stünde dem | |
entgegen. Hansen hält dagegen, dass das Nachbarland Bremen mit dem | |
[8][„Betroffenen-Beirat Istanbul-Konvention“] im Jahr 2021 durchaus ein | |
Gremium schuf, dass Betroffenen eine Stimme gebe und deren Erfahrungen | |
sichtbar mache. | |
Und auch sonst schien sich die Sache nicht günstig zu entwickeln. So | |
postete Tanja Meyer, inzwischen für die Grünen frauenpolitische Sprecherin, | |
am 16. September anlässlich der Haushaltsberatungen im Landtag auf | |
Instagram: „Große Sorge bereitet mir, dass sich noch keine ausreichenden | |
Mittel für den Gewaltschutz im Sinne der Istanbul-Konvention wiederfinden.“ | |
## Stadt Hannover muss sparen | |
Da wenige Tage später in Hannover Frauenberatungen gegen Kürzungen auf die | |
Straße gingen, fürchtet die Frauengruppe eine Verschlechterung der Lage. | |
Wie die Hannoversche Zeitung berichtete, müssen in der Leine-Stadt alle | |
„Zuwendungsempfänger“, zu denen auch Frauenhäuser und Jugendtreffs gehör… | |
mit zehn Prozent weniger Geld auskommen, weil die Stadtkämmerer verhindern | |
wollten, dass der Haushalt ins Minus rutscht. | |
Auf die Frage, ob die 63 damals überreichten Fallberichte gesichtet wurden, | |
sagte Regierungssprecherin Pörksen am Dienstag, das Anliegen sei nicht | |
Sache der Staatskanzlei, sondern der Fachministerien. Woraufhin am Mittwoch | |
der Sprecher des niedersächsischen Justizministeriums, Christoph Sliwka, | |
erklärte: „Die Berichte sind hier bekannt, wobei darauf hinzuweisen ist, | |
dass nach unserem Verständnis viele der Fälle nicht aus Niedersachsen | |
stammen“. Darauf angesprochen sagte Hansen, dass ein großer Teil der | |
Berichte, nämlich mindestens 25, aus Niedersachsen stamme. Etwas anderes | |
habe sie auch nie gesagt. | |
Zur Frage, ob es zutrifft, dass Anke Pörksen vor einem Jahr gegenüber den | |
Frauen ein unabhängiges Gremium zur Überprüfung der Gerichtsverfahren ins | |
Gespräch gebracht hat, erklärte Sliwka: „Frau Regierungssprecherin Pörksen | |
hat keine Erinnerung an eine solche Äußerung“. Deshalb erübrige sich eine | |
Antwort. Eine Überpfrüfung oder Kommentierung von Gerichtsentscheidungen | |
durch das Justizministerium wäre zudem durch die im Grundgesetz verankerte | |
richterliche Unabhängigkeit ausgeschlossen. | |
Grünen-Politikerin Meyer sagt, sie habe die Berichte nicht komplett | |
gelesen, aber angelesen. „Grund dafür ist, dass es nicht 60 | |
Erfahrungsberichten bedarf“, sagte sie. „Die geschilderten Erfahrungen | |
zerreißen mir auch schon nach dem ersten Bericht das Herz“. Dass | |
Partnerschaftsgewalt bei Entscheidungen zu Besuchs- und Sorgerecht der | |
Kinder berücksichtigt werden muss, stehe schließlich in Artikel 31 der | |
Istanbul-Konvention. „Genau das gilt auch bei uns und wir müssen darauf | |
hinwirken, dass dies auch umgesetzt wird“, so die Grüne. | |
## Grüne wollen mehr Geld für Gewaltschutz | |
Laut Meyer werde die Koalition den betreffenden Passus im Koalitionsvertrag | |
noch umsetzen. Der Antrag für eine Koordinierungsstelle für Gewaltschutz | |
sei am 21. Juni vom Landesparlament beschlossen worden. Nun stehe die | |
Landesregierung in der Pflicht dies umzusetzen. Meyer sagt: „Ich rechne mit | |
der Einrichtung der Koordinierungsstelle zum Frühjahr 2024, denn alle | |
betroffenen Ressorts sehen hier dringlichen Handlungsbedarf“. | |
Zur Frage der Haushaltsmittel könne sie noch keine abschließende Antwort | |
geben, da dieser erst im Dezember verabschiedet wird. Im aktuellen Entwurf | |
dazu würden die Mittel nicht in dem Maß erhöht, wie die Grünen es sich | |
gewünscht hätten. Aber dazu seien die Diskussionen noch nicht | |
abgeschlossen, so Meyer. Die Proteste in Hannover bezögen sich auf | |
kommunale Mittel. Bei den „Freiwilligen Leistungen“, über die | |
Beratungsstellen finanziert werden, gebe es in der Regel eine | |
Co-Finanzierung durch das Land. | |
Insgesamt seien beim Ministerium für Gleichstellung elf Millionen Euro | |
eingestellt, die direkt dem Gewaltschutz von Frauen und Mädchen zu Gute | |
kommen, sagt Meyer. Noch nicht mitgerechnet seien da Personalmittel der | |
Ministerien, die hier viel Eigenleistung einbrächten. Dennoch wünsche sie | |
sich mehr. | |
Gefragt, ob Niedersachsen auch einen Betroffenen-Beirat nach Bremer Vorbild | |
plant, sagt Meyer, darüber müsste die Koordinierungsstelle mit den Ressorts | |
und den zivilgesellschaftlichen Akteurinnen beraten. „Ich persönlich finde | |
einen solchen Beirat erst mal positiv, würde aber dabei gern auf die | |
Erfahrungen aus Bremen zurück greifen“. | |
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde nach Erscheinen um die | |
Stellungnahme des Justizministeriums ergänzt. Außerdem wurde die Zahl der | |
aus Niedersachsen stammenden Fälle korrigiert. In der ersten Fassung hieß | |
es im ersten Absatz, die Frauen hätten vor einem Jahr 63 Fälle aus | |
Niedersachsen übergeben. | |
25 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Haeusliche-Gewalt-bei-Sorgerechtsfragen/!5890331 | |
[2] /Familienrechtsexperte-ueber-Kindeswohl/!5847958 | |
[3] /Mutter-ueber-Sorgerechtsprozesse/!5889961 | |
[4] http://frauenfuergewaltschutz.de/ | |
[5] /Studie-ueber-Trennungspolitik/!5843117 | |
[6] https://www.bmfsfj.de/resource/blob/202386/3699c9bad150e4c4ff78ef54665a85c2… | |
[7] https://www.gruene-niedersachsen.de/wp-content/uploads/2022/11/Koalitionsve… | |
[8] https://www.gesundheit.bremen.de/frauen/bundesmodellprojekt-betroffenenexpe… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
## TAGS | |
Gewalt gegen Frauen | |
Istanbul-Konvention | |
Familie | |
Justiz | |
Gewalt gegen Frauen | |
Gleichstellung | |
Schwerpunkt Femizide | |
Eltern | |
Familie | |
Landtagswahl in Niedersachsen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gewalt gegen Frauen: „Es geht um Macht und Kontrolle“ | |
Anuscheh Amir-Khalili vom Flamingo e.V. über die Theaterperformance | |
„Trennung Impossible“. Das Stück beschäftigt sich mit Gewalt bei | |
Trennungen. | |
Sozialministerium in Niedersachsen: Gleichstellung wird klein gemacht | |
Das Sozialministerium legt die Abteilung Frauen und Gleichstellung mit | |
einer anderen zusammen. Um das Thema zu stärken, behauptet das Ministerium. | |
Versuchter Femizid: Partnerin verbrannt – acht Jahre Haft | |
Ein Mann hat in Hannover seine Partnerin mit Grillanzünder begossen und | |
angezündet. Der Richter ist schockiert über die Empathielosigkeit des | |
Täters. | |
Doku über Eltern: Mütter kleingehalten | |
Linda M. wird ihr Kind wegen zu enger Bindung weggenommen. Eine Doku | |
beleuchtet die Struktur dahinter. | |
Entscheidungspraxis im Familienrecht: Mutter-Kind-Bindung wird zerstört | |
Obwohl das „PAS-Sydrom“ lange als widerlegt gilt, hält sich die Idee, dass | |
Mütter ihr Kind manipulieren. Das richte Schaden an, warnen ForscherInnen. | |
Häusliche Gewalt bei Sorgerechtsfragen: Mütter-Protest zeigt Wirkung | |
Nachdem Frauen kritisierten, dass häusliche Gewalt bei Familiengerichten | |
kaum beachtet wird, plant Niedersachsens Koalition eine | |
Koordinierungsstelle. |