Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Ob-La-Da – Hobby-Li, Hobby-La
> Slowenische Woche der Wahrheit: Kein anderes Land in der EU hat eine
> derart heftige Dichte an mit Begeisterung betriebenen Hobbys.
Diese Woche hat sich die Wahrheit in all seinen großen und kleinen Aspekten
Slowenien gewidmet. Denn das verwechslungsanfällige Land ist in diesem Jahr
Ehrengast der am Sonntag zu Ende gehenden Frankfurter Buchmesse.
Was niemand weiß: Jean Pütz besitzt neben der deutschen auch die
slowenische Staatsbürgerschaft! Jean Pütz? Richtig, der Jean Pütz, der von
1974 bis 2004 insgesamt 345-mal und mit wechselnden Co-Moderatoren, wie
etwa dem slowenischen Faselphilosophen Slavoj Žižek, die allseits beliebte
„Hobbythek“ veranstaltete. Sie lief damals und sehr erfolgreich in vielen
westdeutschen dritten Fernsehprogrammen. Zusammen mit Žižek verantwortete
der ebenso bärtige, wenn auch anders bärtige Pütz so wichtige
Begleitprodukte zur Nachmittagssendung wie: „Bauchtanz. Lebenselixier aus
dem Orient. Tänze und Genüsse aus 1001 Nacht“ oder „Liebeslust und
Liebesleid. Intimbereich ohne Tabus“.
Der heute 87-jährige Pütz, der immer schon dafür bekannt ist, dass er
privat keine Hobbys pflegt, mietete gleich nach der
Unabhängigkeitserklärung Sloweniens Ende Juni 1991 eine Hütte in den
Wäldern rund um die Hauptstadt Ljubljana an. Der ursprüngliche Grund für
die Anmiete der Koča war eine langwierige Autopanne, die den reise- und
experimentierfreudigen Pütz bis heute im überschaubaren, hennenförmig
geschnittenen Slowenien hält, wie wir uns bei einem Blitzbesuch in seiner
lichten Koča, die er jedoch ohne elektrisches Licht betreibt, überzeugen
können.
## Stapelweise Ordner
Nur selten und nur kurz reise er ins nordrhein-westfälische Gelsenkirchen,
um dort seine Jean Pütz Produkte GmbH zu leiten. „Früher musste ich ja
meist zum WDR nach Köln, um die ‚Hobbythek‘ abzudrehen, das war schon
stressig. Aber ich hatte immer meine selbsterfundenen Zimtsandalen und die
Zimteinlegesohlen dabei, da ging das.“
Seit 19 Jahren nun schon sind diese Zeiten vorbei, und Jean Pütz ist froh
darüber. „Seitdem habe ich endlich Muße und viel Freizeit, um die
hochwertigen und ungewöhnlichen Hobbys meiner slowenischen Schwestern und
Brüdern zu erforschen und akribisch zu dokumentieren.“ Er deutet auf
stapelweise Leitz-Ordner, die er im rückwärtigen Hüttenbereich gestapelt
hat.
Bevor wir in die umfassende Lektüre eintauchen, wollen wir noch eins vom
„Hobbythek“-Meister wissen, der so Wichtiges erfunden hat wie das
Waschmittelbaukastensystem und das meist, aber nicht immer abwaschbare
Bildschirmrätsel: „Was ist eigentlich ein Hobby, egal ob in Slowenien oder
sogar in der Slowakei?“ Pütz räuspert sich, dann streicht er seinen leicht
verwaschenen Seehundschnauzer glatt.
„Lassen Sie es mich so sagen: Ein Hobby ist eine Freizeitbeschäftigung, die
der Ausübende freiwillig und regelmäßig zum eigenen Vergnügen betreibt. Das
Wort ‚Hobby‘ kommt von ‚hobby horse‘ – ‚Steckenpferd‘ also Kinder…
plus Freizeitbeschäftigung, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Wir nicken
mechanisch wie ein aufgezogenes Kinderspielzeug, Pütz ist ein gnadenloser,
ja begnadeter Hobby-Dozent. „Das hölzerne Steckenpferd trägt seinen Reiter
ja nirgendwohin, weil es in den Händen gehalten wird. Analog erwirtschaftet
das Hobby kein Einkommen und ist folglich kein Beruf.“
## Schlachtruf in der Pantryküche
Wir summen zustimmend das slowenische Nationalgedicht „Zdravljica“, zu
Deutsch „Prost“. Es ist in Strophe sieben die Hymne der hügeligen
Bergrepublik, es geht insgesamt viel um Rebensaft und weibliche
„Slowenenrosen“, um Feinde und noch mehr „flüss’ge Glut“, bis es hym…
heißt: „Ein Lebehoch den Völkern, die sehnend nach dem Tage schau’n, an
welchem aus dem Weltall verjaget wird der Zwietracht Grau’n; wo dem Freund
Freiheit scheint, und wo zum Nachbar wird der Feind.“
Ganz blümerant wird uns zumute, da hören wir Pütz plötzlich aus der im
rückwärtigen Bereich gelegenen Pantryküche pfeifen. Der dreifache Vater,
mit 76 Lenzen wurde der gebürtige Kölner noch einmal Senior einer Tochter,
intoniert gekonnt, also alles andere als laienhaft oder hobbyesk, den
einstigen Schlachtruf der „Hobbythek“: „Ich hab da mal was vorbereitet!“
Wir sind gespannt.
Ausgestattet mit einer brühheißen Tasse hauseigenen slowenischen
Brennnesseltees, entziffern wir aufmerksam die zum Teil unleserlich
beschrifteten Rücken der Leitzordner voll von Hobbys der Slowenen. „Zeit
totschlagen“, finden wir unter dem Buchstaben Z, und weiter „Zaubern von
Gerichten“. Das klingt ja mega! Pütz ist derweil kurzfristig doch nach
Gelsenkirchen abgereist. Er tritt überraschend am nächsten Tag als Horst
Lichter in „Bares für Rares“ auf. „Ein Freundschaftsdienst“, zwinkert …
lächelnd, als er sein selbstgebautes Fahrradschloss aus Knetgummi
aufschweißt, um zum Flughafen von Ljubljana zu radeln.
## Expertise zum Blumengießen
In der Pütz’schen Koča fragen wir uns dann schließlich beim intensiven
Aktenstudium, warum kein anderes Land in der Europäischen Union eine derart
heftige Dichte an mit Begeisterung betriebenen Hobbys aufweist. Am Rand von
Trimlini nahe der slowenisch-ungarischen Grenze hat Pütz etwa einen heute
63-Jährigen dokumentiert, der weltweit Fußballbegegnungen archiviert, in
denen insgesamt acht Tore gefallen sind. Wie kann das alles sein? Das haben
wir den Altmeister der Freizeitbeschäftigung doch glatt vergessen zu
fragen, bevor er nach Gelsenkirchen abdüste. Und jetzt ist es zu spät.
Prost!
Außerdem sind wir qua unserer Expertise auch zum Blumengießen hier in Jean
Pütz' Koča verdonnert. Mit unserer journalistischen Expertise können wir
wieder mal nur mutmaßen, warum es so ist, wie es sich verhält in Slowenien.
Und zuvor wenigstens die slowenische Statistik bemühen: Von den rund 2,1
Millionen dortigen Einwohnern gehen über 2,9 Millionen einem sie gänzlich
erfüllendem Hobby nach. Das ist nun „wirklich ein klarer Beweis für die
slowenische Einstellung zum Hobby“, wie es in einem Hochglanzmagazin aus
der Jelovec Voćanski in der Gespanschaft Varaždin heißt, und weiter: Hobby
tut gut! Freizeit macht den Meister! Samo mora biti! Prosti čas je popoln!
Pütž!
20 Oct 2023
## AUTOREN
Harriet Wolff
## TAGS
Slowenien
öffentlich-rechtliches Fernsehen
Hobby
Populismus
Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Die Wahrheit
Die Wahrheit
Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Sahra im Tagebuchland
„Cherax wagenknechtae“ und Pralinen mit Dosenfleisch – exklusive,
ungeschminkte und hochaktuelle Einblicke in das Wesen der BSW-Gründerin.
Die Wahrheit: Nützliches über Nützliches
Alles zu einem Beruf, den wirklich jeder und jede braucht, den aber fast
niemand kennt, geschweige denn kapiert.
Die Wahrheit: Verkehr mit Menschen
An der Schnittstelle von Schlimm-Schlimm-Neukölln und
Nicht-Kreuzberg-ist-Deutschland-Kreuzberg ergibt sich in Berlin so manch
bizarre Situation.
Die Wahrheit: Alle Sehnen, alle vollgedehnt
Die 347.240ste Wahrheitklubvorstandssitzung auf der Frankfurter Buchmesse
sprengte erwartungsgemäß den Rahmen. Hier das Wichtigste.
Die Wahrheit: Unbehost und ohne Trost
Die XVI. Weltbischofssynode in Rom tagt den ganzen Oktober mit Laien wie
Frauen und viel, viel Baccara. Ein Ortsbesuch.
Die Wahrheit: Klamm, klammer, am klammsten
Das einstige Wirtschaftswunderland Deutschland ist nicht mal mehr im Traum,
sondern nur noch in einem Themenpark zu retten.
Die Wahrheit: Danke für die gute Zusammenarbeit
Bis die Realität der Realität im Kasten ist, kann es dauern. Und nach einem
Deep Dive in das Postidentverfahren der Deutschen Post AG noch länger …
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.