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# taz.de -- Die Wahrheit: Nützliches über Nützliches
> Alles zu einem Beruf, den wirklich jeder und jede braucht, den aber fast
> niemand kennt, geschweige denn kapiert.
Bild: Rein ins Material und es volle Kanne begutachten: der Probenentnehmer
Neulich erst im zugigen Berlin, der Hauptstadt von Wind und Bräsigkeit und
von allem, was der Rest der Republik an Klischees auf diesen, auf spürbar
Sand gebauten Ort projiziert: Da wandelt man, im Begriff, einen
Durchleuchtungstermin wahrzunehmen, auch MRT-Rendezvous genannt, durch eine
derart böige Passage nahe dem verpupten Friedrichstadt-Palast zu Mitte,
dass es einem den zu durchleuchtenden Lendenwirbelbereich schon vor dem
Termin aus der Hüfte schießt – und was erblickt das unkundige, ansonsten
noch gut sehende Auge?
An die bröckelnde Hauswand aus Ostbeständen (Achtung: Klischee!) kauert
sich buchstäblich ein Mann im Blaumann. Hübsch anzusehen ist er, weil er
sich ob der Kälte noch ein mausgraues Arbeitskurzmäntelchen übergeworfen
hat, und überhaupt ist er auch sonst ein nach den Maßstäben der
Attraktivitätsforschung (Achtung: Klischees!) schnieke anzusehender
Werktätiger.
Vor ihm befindet sich ein wackelig wirkender hölzerner Biertisch, darauf
diverse kleinere und größere Gefäße mit was drin. Dieses „mit was“ verk…
man aus der Ferne, aus der man anmarschiert, noch als eine kommerzielle
Heißgetränkemöglichkeit, an der man sich möglicherweise wärmen könnte. Do…
mitnichten, wie wir wenig später fröstelnd feststellen.
Der hübsche Mann im Blaumann samt mausgrauem Arbeitskurzmäntelchen ist
nicht dazu da, uns genusstechnisch zu bespaßen, nein, er nimmt
„Bodenproben“. Und „Gemäuerproben“ nimmt er auch. Und die platziert er…
auf den Biertisch vor sich und guckt sie aufmerksam an.
## Dilettantische bis dümmliche Fragen
Wir werden neugierig und gucken sie auch sehr aufmerksam an. Der Blaumann
ist zugewandt und auskunftsfreudig, weil wir aber keinen, noch nicht mal
blassen Schimmer davon haben, was zum Teufel das hier für ein Beruf ist und
was das alles hier in dieser böigen Passage aus Ostbeständen soll, fallen
unsere Fragen naturgemäß dilettantisch bis dümmlich aus.
Die einzig schließlich richtige, wenn auch platte Frage „Warum machen Sie
das hier?“ beantwortet der große Berufsunbekannte mit dem schwarzen
Baustellenschuh professionell korrekt: „Weil hier auf das Haus ein
Stockwerk mehr draufgesetzt werden soll, und wir müssen gucken, ob der
Erdboden und die Mauern das aushalten würden.“
Bingo! Da tut Expertise sowie engmaschige Boden- und Gemäuerbetreuung not,
das verstehen selbst wir. Nicht dass die Bude aus Ostbeständen noch
nachträglich einsackt, nicht auszudenken! Andächtig nicken wir mit dem
Kopf.
Ein Kollege stößt zum großen Berufsunbekannten mit dem schwarzen
Baustellenschuh dazu. Er hebt ein mittelgroßes durchsichtiges Plastikgefäß
hoch, schüttelt es, besieht es sich, kneift ein Auge zu, besieht es sich
nochmal. Die Spannung steigt, zumindest bei Fachunkundigen wie uns. Wird
das oberste Stockwerk nahe dieser zugigen Ost-Passage kommen, oder wird
schon vorher alles zusammenfallen, oder …?
## Das wird hier nix werden
„Wie ist denn die Bodenprobe so drauf?“, heben wir an, und dann besinnen
wir uns, da fällt uns doch glatt noch das passende Wort „beschaffen“ ein,
„also, wie ist denn die Bodenprobe so beschaffen?“ Der hübsche Werktätige
im Blaumann lächelt. „Das wird hier nix werden mit noch einem Stockwerk
drauf. Der Boden ist nicht locker genug, der klumpt und ist schwergängig.“
Wieder nicken wir andächtig. Da fällt uns plötzlich ein, dass wir vor
lauter großer Neugier um ein Haar unseren Durchleuchtungstermin gerissen
haben, hurtig also weitergehastet. Doch eine allerletzte Frage zur eigenen
Erleuchtung und Erbauung wollen wir noch rasch an die uns komplett
systemrelevant erscheinenden Werktätigen loswerden.
„Wie heißt eigentlich ihr Beruf?“ Der große Berufsunbekannte mit dem
schwarzen Baustellenschuh lächelt kundig: „Eigentlich sind wir
Brunnenbauer. Aber jetzt arbeiten wir in einem Baugrundbüro als
Probenentnehmer.“ Ehrfurchtsvoll ziehen wir von dannen.
8 Dec 2023
## AUTOREN
Harriet Wolff
## TAGS
Die Wahrheit
Berufe
systemrelevant
Bauen
Boden
Populismus
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Slowenien
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