| # taz.de -- Werben für das Handwerk: Zur Discomusik Holzbretter sägen | |
| > Beim Azubi-Marketing spielen die sozialen Medien eine wachsende Rolle. | |
| > Influencer:innen versuchen zu vermitteln, wie cool das Handwerk ist. | |
| Bild: Handwerksbetriebe suchen auf neuen Wegen Nachwuchs, zum Beispiel auf Inst… | |
| Julian-Benedikt ist Schreiner und mit 44.000 Followern Gold wert für das | |
| Handwerk, das händeringend Auszubildende für die Betriebe sucht. „Ich war | |
| im 6. Semester an der Uni und ich war so unglücklich mit dem Studium“, | |
| [1][verkündet] er in seiner Werkstatt in einem Video auf Instagram. | |
| Eigentlich wusste er schon „seit der 10. Klasse“, dass er Schreiner werden | |
| wollte. Aber ein Verwandter habe ihm eingetrichtert: „Eh, wie dumm kann man | |
| sein! [2][Im Handwerk machst du dich doch kaputt.“] | |
| Aber Julian schmiss sein Studium, ist heute Schreiner und Influcencer und | |
| froh, dass er „auf sein Herz“ gehört hat, wie er sagt. Zur Dancefloor-Musik | |
| sägt er Holzbretter mit wirklich komplizierten Maschinen und zeigt im | |
| Fitnessstudio seinen muskulösen Körper. | |
| Diverse Influencer:innen werben derzeit für das Handwerk. Wenn das | |
| Rollenmodell dann auch noch Abitur hat und sich trotzdem wie | |
| Julian-Benedikt gegen ein Studium und für eine betriebliche Ausbildung | |
| entscheidet, zielt er damit auf eine große Gruppe: [3][Fast die Hälfte der | |
| jungen Leute zwischen 18 und 21 Jahren hat heute die Hoch- oder | |
| Fachhochschulreife.] Experten vom [4][Bundesinstitut für Berufsbildung | |
| (BIBB)] wissen, dass es auch die Eltern sind, die wollen, dass der | |
| Nachwuchs nach dem Abi studiert, und denen es peinlich wäre zu sagen, dass | |
| Sohn oder Tochter „nur“ Handwerker sind. In einer noch unveröffentlichten | |
| Studie zur Berufsorientierung des BIBB erklären 60 Prozent der befragten | |
| Gymnasiast:innen, dass sie davon ausgehen, dass ihre Eltern die Aufnahme | |
| eines Studiums von ihnen erwarten. | |
| Nicht nur Influencer:innen betreiben einen Imagewandel auf Instagram | |
| und Co, auch die Betriebe selbst suchen nach Wegen, darüber Nachwuchs für | |
| ihre Lehrstellen zu finden. „Die sozialen Medien spielen bei der Werbung um | |
| Azubis eine wachsende Rolle“, sagt Christian Henke, Geschäftsführer der | |
| Handwerkskammer Düsseldorf. Auf seinem Schreibtisch landen jede Woche | |
| mehrere Angebote von Berater:innen, die Betriebe und Verbände dabei | |
| unterstützen wollen, sich auf den sozialen Medien am besten zu | |
| positionieren. Diese Kanäle sind für suchende Betriebe attraktiv, weil sie | |
| erstens das Gebiet sind, wo sich junge Leute aufhalten und weil sie | |
| zweitens über viele Daten der User:innen verfügen, die es ihnen erlauben, | |
| den Unternehmen ein spezifisches Zielgruppenmarketing anzubieten. | |
| ## Zielgruppengenau ausspielen | |
| „Bei Schaltung einer Anzeige zur Werbung von Azubis in den sozialen Medien | |
| kann man nach eigenen Suchbegriffen oder unter Nutzung einer zur Verfügung | |
| stehenden Liste differenzieren und so die Zielgruppe ganz individuell | |
| gestalten, nach Interessen, Hobbys, Schulabschluss und so weiter“, | |
| berichtet Henke. Nur bei der Werbung um Minderjährige setze der Gesetzgeber | |
| Grenzen, dort dürfte etwa nicht nach Alter, Geschlecht und Interessen | |
| differenziert werden. | |
| Wer also etwa eine:n Azubi für seinen Betrieb im Elektrohandwerk in | |
| Düsseldorf sucht, muss nur nach jungen Leuten in derselben Region in einer | |
| bestimmten Altersgruppe mit einem Interesse für Technik und etwas | |
| Sportlichkeit fahnden lassen, um eine Anzeige zielgruppengenau ausspielen | |
| zu können. | |
| Die Preise für die Stellenangebote seien „erschwinglich“ sagt Henke. Wenn | |
| die Anzeige 1.000-mal User:innen aus der Zielgruppe ausgespielt wird, | |
| kostet das den sogenannten Cost-Per-Mille-Preis (CPM), der stark variiert. | |
| Bei Instagram kann er zum Beispiel 5 Euro betragen, wie die Beraterfirma | |
| Advertace in einem Beispiel im Internet vorrechnet. | |
| Wenn das Angebot den User:innen mindestens zweimal gezeigt werden soll, | |
| bedeutet das bei einer regional eingegrenzten Zielgruppe von vielleicht | |
| 10.000 jungen Leuten, dass mindestens 20.000 Sichtkontakte, sogenannte | |
| Impressions, nötig sind. Damit werden 100 Euro an Kosten fällig. Klickt | |
| jeder 100. der angepeilten User:innen auf das Angebot, um auf die | |
| Karriereseite des Unternehmens weitergeleitet zu werden, so liegt die | |
| Click-Through-Rate (CTR) bei eins. Entscheidend ist, wie viele Leute dann | |
| tatsächlich eine Bewerbung schicken. | |
| ## Organisch verbreitete Auftritte | |
| „Bei 100 Klicks auf die Website ist eine Conversionrate von ab 2 Prozent in | |
| Ordnung“, sagt Nadine Strein. Strein berät Unternehmen beim | |
| Azubi-Recruiting im Netz. Schicken 2 Prozent eine Bewerbung, würde das im | |
| genannten Beispiel bedeuten, jede Bewerbung, über die sozialen Medien | |
| gewonnen, kostete 25 Euro an Werbebudget, etwas schematisch gerechnet. Wer | |
| dann tatsächlich eine Lehre beginnt, ist damit natürlich noch lange nicht | |
| gesagt. | |
| Die Berater:innen beim Azubi-Recruiting helfen den Betrieben meist mit | |
| einem Gesamtpaket. Zuerst geht es darum, den Auftritt der Unternehmen im | |
| Netz zu optimieren. Denn der Auftritt der Betriebe bei Facebook, Instagram | |
| oder Tiktok sollte sich erst mal „organisch“ verbreiten, wie es in der | |
| Branche heißt, also ohne bezahlte Anzeigen, sondern nur durch das | |
| Ausspielen über den Algorithmus, der den Post als relevant für bestimmte | |
| Zielgruppen erkennt. Strein hilft den Betrieben unter anderem beim Aufbau | |
| der Texte und der Formulierung des Ausbildungsangebots, damit das | |
| Unternehmen „besser im Internet gefunden werden kann“, sagt sie. Bezahlte | |
| Anzeigen zu schalten, ist dann der nächste Schritt. | |
| Die Deutsche Industrie- und Handelskammer [5][(DIHK)] startete gerade auf | |
| Tiktok eine Imagekampagne für Lehrstellen in Industrie und Handel. In dem | |
| Video „Ein Tag an der Berufsschule“ sieht man, wie sich die Azubis morgens | |
| fröhlich begrüßen (Untertitel: „meet and greet“), dann während des | |
| Unterrichts irgendwas aufschreiben, in der Pause „coole Tiktok-Videos | |
| checken“, am Nachmittag „irgendwas mit Computern“ machen“, bevor es | |
| „endlich wieder Freiheit“ gibt. Die Azubi-Kampagne vermittele „jungen | |
| Leuten das Lebensgefühl Ausbildung“, sagt Mathias Rabenau, Referatsleiter | |
| bei der DIHK. Inwieweit allzu sehr auf cool getrimmte Werbung allerdings | |
| hilft bei der Lehrlingsakquise, das ist die Frage. | |
| Eine Befragung von rund 4.300 Schüler:innen und Auszubildenden zu den | |
| „Azubi-Recruiting-Trends 2023“, durchgeführt von der Beratungsfirma | |
| HR-Präsenz, ergab, dass bei etwa der Hälfte der Befragten die sozialen | |
| Medien bei der Lehrstellensuche keine Rolle spielten. Die | |
| Teilnehmer:innen erklärten, dass ihnen Betriebsbesichtigungen, | |
| Berufsmessen und [6][Schüler:innenpraktika] nach wie vor sehr wichtig | |
| seien. „Man muss vorher ein möglichst reales Bild von der Wirklichkeit im | |
| Beruf haben, sonst brechen die jungen Leute die Ausbildung ab“, sagt Henke. | |
| 24 Oct 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.instagram.com/benberg.er/ | |
| [2] /Diskriminierung-im-Handwerk/!5907355 | |
| [3] /Schulabschluesse-in-Deutschland/!5956731 | |
| [4] /Imagekampagne-fuer-Handwerksberufe/!5630304 | |
| [5] https://www.dihk.de/de/aktuelles-und-presse/aktuelle-informationen/das-lebe… | |
| [6] /Praktikumsoffensive-nach-Corona/!5852105/ | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
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