| # taz.de -- UN-Resolution zum Krieg in Nahost: Baerbocks unlösbares Dilemma | |
| > Deutschland hat sich bei der UN-Resolution zur humanitären Waffenruhe in | |
| > Gaza enthalten. Israels UN-Botschafter sprach vom „Tag der Schande“. | |
| Bild: Annalena Baerbock am 24. Oktober beim UN-Sicherheitsrat in New York | |
| Annalena Baerbocks Dilemma im Nahostkrieg zeigte sich an diesem Wochenende. | |
| Nach tagelangem Ringen verabschiedete die UN-Vollversammlung in New York | |
| mit großer Mehrheit eine Resolution, die eine „sofortige humanitäre | |
| Waffenruhe“ im Gazastreifen forderte. [1][Deutschland – mit | |
| Außenministerin Baerbock als höchster diplomatischer Vertreterin – enthielt | |
| sich.] Und mit Deutschland 43 weitere Staaten. Bei der | |
| Dringlichkeitssitzung stimmten von den insgesamt 193 Mitgliedstaaten der | |
| Vereinten Nationen 121 Staaten für die Resolution, 14 votierten dagegen. | |
| Der Text war von Jordanien eingebracht und von 44 vor allem arabischen | |
| Staaten unterstützt worden. | |
| Die Resolution forderte neben einer anhaltenden humanitären Waffenruhe auch | |
| die ungehinderte Lieferung lebensrettender Hilfsgüter für die | |
| Zivilbevölkerung. Diese sei nach israelischen militärischen Bodeneinsätzen | |
| und verstärkter Bombardierung „gefangen“ im Gazastreifen, heißt es dort. | |
| Die Resolution ist nicht bindend, aber ein politisches Signal der | |
| Staatengemeinschaft, die erstmals mehr als drei Wochen nach der brutalen | |
| Attacke der Terrormiliz Hamas auf Israel auf formaler Ebene reagiert. | |
| Außenministerin Baerbock erklärte nach der Abstimmung, dass man gemeinsam | |
| mit Partnern intensiv darauf hingearbeitet hätte, zu einer ausgewogenen | |
| Nahost-Resolution zu kommen. „Wir alle schauen von unserem jeweils eigenen | |
| Standpunkt aus und vor dem Hintergrund unserer jeweiligen Geschichte auf | |
| diesen Konflikt“, teilte die Grünen-Politikerin über das Auswärtige Amt | |
| mit. Man habe erreichen können, dass eine klare Verurteilung aller | |
| Terrorakte und zumindest ein Ruf nach Freilassung der Geiseln enthalten | |
| seien. | |
| Allerdings benennt die Resolution die Hamas als Aggressor nicht explizit – | |
| und auch nicht das Selbstverteidigungsrecht Israels. Ein Vorstoß Kanadas, | |
| die Terrorattacke der Hamas scharf zu verurteilen und die Geiseln auch als | |
| solche zu benennen – und nicht als Gefangene – sowie deren sofortige und | |
| bedingungslose Freilassung zu fordern, erreichte nicht die nötige | |
| Zweidrittelmehrheit der UN-Generalversammlung. Dagegen waren, wenig | |
| verwunderlich, etliche arabische Staaten wie Katar, Saudi-Arabien, Syrien, | |
| Jordanien, Ägypten und die Türkei. Aber auch China und Russland. | |
| Eine Zustimmung war damit aus deutscher Sicht unmöglich, obwohl die | |
| verabschiedete Resolution sich starkmacht für humanitäre Hilfe für die | |
| Zivilbevölkerung in Gaza. Ein Anliegen, das auch die Außenministerin sowie | |
| Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier | |
| öffentlich mehrfach forderten. Zuletzt mit Baerbocks Aussage zu humanitären | |
| „Fenstern“, damit [2][Hilfsorganisationen Lebensmittel und Trinkwasser | |
| liefern oder medizinische Hilfe] leisten könnten. | |
| Baerbock erklärte die Nichtzustimmung Deutschlands so: „Weil die Resolution | |
| den Hamas-Terror nicht klar beim Namen nennt, die Freilassung aller Geiseln | |
| nicht deutlich genug gefordert und das Selbstverteidigungsrecht Israels | |
| nicht bekräftigt, haben wir mit vielen unserer europäischen Partner | |
| entschieden, der Resolution am Ende nicht zuzustimmen.“ Für ein Nein, wie | |
| das Israels, der USA, der EU-Staaten Österreich, Kroatien, Tschechien oder | |
| Ungarn, reichte dies aber ebenso nicht. Vermutlich war es auch nur schwer | |
| aushaltbar, dass ausgerechnet die Terrormiliz Hamas als eine der Ersten | |
| die Resolution begrüßte. | |
| Eine Enthaltung wirkt wie ein „Wegducken“, wie ein Zeichen der | |
| Gleichgültigkeit. So wurde Baerbocks Entscheidung, sich Kanada, Italien, | |
| Großbritannien, Litauen, Estland, Lettland, Griechenland und Polen | |
| anzuschließen, auch gewertet. Etwa vom israelischen UN-Botschafter Gilad | |
| Erdan, der von einem „Tag der Schande“ sprach. „Warum wird die Hamas nicht | |
| zur Verantwortung gezogen?“ Für den Präsidenten des Zentralrats der Juden | |
| in Deutschland, Josef Schuster, ist die Haltung der Bundesregierung eine | |
| „Enttäuschung für die Juden in Deutschland“. | |
| Frankreich hatte der Resolution zugestimmt und den UN-Sicherheitsrat | |
| aufgefordert, zu einer gemeinsamen Haltung zu kommen, um einer sich | |
| verschärfenden Lage vorzubeugen. Ausgerechnet Deutschlands engster Partner | |
| auf EU-Ebene setzt sich im Nahost-Kontext deutlich ab. Die Zerrissenheit | |
| der Weltgemeinschaft hatte sich wenige Tage zuvor bereits [3][beim | |
| EU-Gipfel gezeigt]. Stundenlang kämpfte Kanzler Scholz um die Einigung auf | |
| humanitäre Korridore. Die Sicherheit Israels ist unbenommen deutsche | |
| Staatsräson, aber dies gilt eben nicht für die EU-Staaten. Das Dilemma | |
| setzte sich nun bei der Abstimmung über eine gemeinsame UN-Resolution fort. | |
| Wie tief die Gräben sind, ist auch Baerbock bewusst. „Das ist Drehbuch und | |
| Kalkül der Terroristen, die einen Keil des Hasses zwischen uns treiben | |
| wollen“, so die deutsche Außenministerin. Ob die Enthaltung Deutschlands | |
| Verhandlungsspielräume mit arabischen Staaten schafft, um die Geiseln zu | |
| befreien oder einen weiteren Flächenbrand in der Region und auf deutschen | |
| Straßen eine Eskalation zu verhindern, bleibt offen. Fakt ist, dass sich | |
| Mehrheiten in der EU, also auch in den UN deutlich verschoben haben. | |
| 29 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tanja Tricarico | |
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