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# taz.de -- Gesellschaftliche Sprechverbote: Einfach mal die Klappe halten
> Im Jahr 2052 hat Political Correctness gesiegt – in Deutschland darf man
> gar nichts mehr sagen. Weil niemand mehr spricht, ist es erstaunlich
> ruhig.
Bild: Keiner traut sich mehr zu sprechen
Wir schreiben das Jahr 2052. Was keine für möglich gehalten hätte, ist
eingetreten: Man darf im Grunde überhaupt nichts mehr sagen. Jahrzehntelang
war es bloß ein ironischer Running Gag in meiner Blase bürgerlicher
Salonlinker gewesen: Immer wenn wackere Rechtsintellektuelle prophezeiten,
dass man bald bestimmt gar nichts mehr sagen dürfe, hatten wir unter uns
überheblich gespottet, und die Mahner mit alberner Stimme nachgeäfft.
„Buhuu, buhuu, man darf gar nichts mehr sagen – sonst gibt es ja
Widerspruch, ojemine!“ Dazu hoben wir jaulend den rechten Arm, oder
pantomimisierten uns mit zwei Fingern Hitlerbärtchen unter die Nase. Und
wie die Freunde über diese verächtliche Farce dann lachten! Jetzt schäme
ich mich entsetzlich, sobald ich nur daran denke.
Nun lacht nämlich keiner mehr. Lachen ist ebenso verboten wie praktisch
auch alles andere, was Spaß macht. Fleisch essen, Flugreisen, Tiere quälen,
Wälder anzünden. Man darf auch keine Witze mehr machen, also zumindest
nicht die guten, die auf Menschengruppen abzielen, die sowieso keiner mag:
Dicke, Transen, Linkshänder.
Sagen darfst du auch nichts mehr, du darfst nicht einmal mehr das Kind ganz
normal beim Namen nennen, „geh weg, du Drecksau, du stinkst, geh sterben,
ich hasse dich“. Das alles geht nicht, ein ehrliches Wort ist nicht
erwünscht. Wer ausspricht, wie die Dinge sind, kann schon mal Zahnbürste
und Schlafanzug fürs Besserungslager in den Teddyrucksack packen.
## Erzwungene Umbenennungen
Dabei hatten sie uns doch unentwegt gewarnt, die mutigen, selbstlosen und
vor allem weitsichtigen Journalisten von NZZ, Welt und Cicero, die wir in
unserer Hybris fälschlich als Agendaalarmisten, Taschenspieler und
niederträchtige Sozialdarwinisten diffamiert hatten. Was für ein
himmelschreiendes Unrecht, denn längst ist klar: Sie wollten stets nur
unser Bestes. Wir aber wollten nicht hören, dass sich der Faschismus gerne
mal auf leisen Sohlen nähert: Heute wird vielleicht „nur“ ein Schnitzel mit
Soße umbenannt, doch schon morgen wechselt dann ein ganzes Land
erzwungenermaßen seinen Namen. Aus Deutschland wird die Islamistische
Klimarepublik Wokistan (IKW). Wehret den Anfängen!
Aber natürlich hat die Schweigepflicht auch ihre unbestrittenen Vorteile.
„Wenn keiner spricht, ist es nicht so laut“, fasst sie mein Futurologe
Zbigniew in seiner stillen, und dabei doch unnachahmlich trockenen Art
zusammen. Wenn es die meiste Zeit über ruhig ist, können sich die Leute
besser erholen, und es passieren auch weniger Fehler, weil nicht so viel
falsches Zeug dahergelabert wird.
29 Oct 2023
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
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