# taz.de -- Abschiebung in Sachsen: Sprung in den Tod | |
> In der Kleinstadt Hainichen ist ein Asylbewerber bei einer Abschiebung | |
> ums Leben gekommen. Flüchtlingsrat kritisiert die „inhumane“ | |
> Abschiebepraxis. | |
Bild: Aus diesem Haus in Hainichen ist ein abgelehnter Asylbewerber in den Tod … | |
LEIPZIG taz | In der sächsischen Kleinstadt Hainichen, rund 20 Kilometer | |
von Chemnitz entfernt, hat sich am Montagmorgen ein Asylbewerber während | |
einer Abschiebung in den Tod gestürzt. Wie die Landesdirektion Sachsen | |
mitteilte, sollte der 33 Jahre alte Nigerianer im [1][Rahmen des | |
sogenannten Dublin-Verfahrens] in die Niederlande zurückgeschickt werden. | |
Beim Packen seiner persönlichen Gegenstände sei der junge Mann unvermittelt | |
zum Balkon seines Zimmers im 5. Stock der Asylunterkunft gelaufen und | |
hinunter gesprungen, teilte die Landesdirektion Sachsen mit. Einer der | |
eingesetzten Polizeibeamten habe den Mann noch am Arm greifen, den | |
tödlichen Sturz in rund 15 Meter Tiefe aber nicht verhindern können. Trotz | |
sofort eingeleiteter medizinischer Maßnahmen sei der Asylbewerber noch vor | |
Ort verstorben. | |
„Der Mann reiste eigenen Angaben zufolge im Februar 2023 in die | |
Bundesrepublik Deutschland ein und stellte im März 2023 einen förmlichen | |
Asylantrag“, sagte die Sprecherin der Landesdirektion Sachsen, Valerie | |
Eckl, der taz. Seit Juni habe der Asylbewerber in der | |
Gemeinschaftsunterkunft in Hainichen gewohnt. | |
Der Asylantrag sei am 1. August abgelehnt worden, weil die Niederlande „auf | |
Grund eines bereits zuvor erteilten niederländischen Visums“ für die | |
Bearbeitung des Antrags verantwortlich gewesen seien. Die Dublin-Verordnung | |
besagt, dass jeweils der EU-Staat für einen Asylbewerber zuständig ist, den | |
dieser zuerst betreten hat. Eckl zufolge sei der Mann am 8. August per | |
Brief über die Abschiebung in die Niederlande informiert worden, auf | |
Deutsch und auf Englisch. Der genaue Abschiebetermin sei dem Asylsuchenden | |
nicht bekannt gewesen. | |
## Kritik an Abschiebungspolitik | |
„Es waren fünf Polizeibeamte vor Ort und aufgrund seiner | |
Hepatitis-Erkrankung auch vorsorglich ein Rettungssanitäter“, erklärte | |
Eckl. Ein Dolmetscher jedoch sei nicht dabei gewesen. Ob der Mann wusste, | |
warum er abgeschoben wird und wohin, bleibt unklar. | |
„Wir sind extrem bestürzt, aber leider kaum überrascht“, sagte Dave | |
Schmidtke vom sächsischen Flüchtlingsrat der taz. „Erst vor einigen Wochen | |
wollte sich ein junger Mensch aus Pakistan bei einer Abschiebung in | |
Eberswalde auf die gleiche Weise das Leben nehmen und überlebte nur | |
schwerverletzt.“ Vergangenes Jahr hätten [2][in einer | |
Geflüchtetenunterkunft in Hoyerswerda zwei Menschen binnen weniger Monate | |
Suizid begangen] – aus Angst vor einer Abschiebung. | |
„Diese Praxis bleibt inhuman und kann immer tödlich enden“, so Schmidtke. | |
„Wer also [3][heute auf der politischen Bühne nach mehr Abschiebungen | |
schreit], sollte morgen nicht von einer Tragödie sprechen und | |
Krokodilstränen vergießen.“ | |
Für Petra Čagalj Sejdi, die asylpolitische Sprecherin der Grünenfraktion im | |
sächsischen Landtag, zeige der Vorfall in Hainichen sehr deutlich, „wie | |
belastend und manchmal auch auswegslos“ Abschiebungen und Rückführungen | |
nach dem Dublinverfahren für die Betroffenen seien. Vor allem psychisch | |
belastete und traumatisierte Menschen seien dabei in Gefahr. | |
## Forderung nach Aufklärung des Vorfalls | |
„Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf die Einführung eines | |
Clearingverfahrens geeinigt, um besondere Schutzbedürftigkeit frühzeitig zu | |
erkennen und psychisch kranken Menschen von Beginn an Hilfe und Begleitung | |
bieten zu können“, sagte die Grünen-Politikerin. „Leider wurde dies bis | |
heute durch das sächsische Innenministerium nicht entsprechend umgesetzt.“ | |
Die Ereignisse vom Montag zeigten einmal mehr, wie wichtig psychologische | |
Betreuung und das Wissen um besondere Schutzbedürftigkeit seien. | |
Albrecht Pallas von der sächsischen SPD-Fraktion bezeichnete den Tod des | |
Asylbewerbers als „tragisch“, betonte aber, dass er „keinem der beteiligt… | |
Beamten die Schuld dafür geben“ möchte. Es müsse jedoch geprüft werden, ob | |
seitens der Behörden alle notwendigen Schutzmaßnahmen getroffen wurden. | |
Auch die asylpolitische Sprecherin der Linksfraktion im sächsischen | |
Landtag, Juliane Nagel, teilte mit, dass „die Hintergründe dieses Falles | |
und seine Beweggründe“ aufgeklärt werden müssten. „Es ist tragisch, dass | |
der Betroffene offensichtlich keinen anderen Ausweg mehr sah als in den Tod | |
zu springen“, sagte Nagel. | |
Nach Angaben der in Berlin ansässigen „Antirassistischen Initiative“ haben | |
2022 in Sachsen 34 Geflüchtete versucht, sich das Leben zu nehmen, neun | |
Personen starben. Seit 30 Jahren veröffentlicht die Initiative den Report | |
[4][„Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“.] | |
Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sollten Sie von | |
Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. | |
Bei der Telefonseelsorge finden Sie rund um die Uhr Ansprechpartner, | |
anonym. Rufnummern: (0800)1110111 und (0800) 1110222. | |
17 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Faeser-und-die-Fluechtlingsverteilung/!5957957 | |
[2] https://www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/de/2022/09/09/zwei-suizide-binn… | |
[3] /Gesetzentwurf-von-Innenministerin-Faeser/!5962720 | |
[4] https://www.ari-dok.org/dokumentation/ | |
## AUTOREN | |
Rieke Wiemann | |
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