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# taz.de -- Jaimie-Branch-Album aus dem Nachlass: Dokument einer Leerstelle
> „Fly Or Die Fly Or Die Fly Or Die ((world war))“: Musik, an der
> US-Jazztrompeterin Jaimie Branch vor ihrem Tod arbeitete, ist nun
> veröffentlicht.
Bild: Im Zentrum immer die Trompete
Fangen wir mit dem Finale an, auch weil dieses Album ungewollt ein
Abschiedsalbum geworden ist. „World War ((Reprise))“ beginnt mit einer
simplen, trägen, melancholischen Trompetenmelodie, darunter die
Kinderzimmerambientsounds eines Fisher-Price-Spielzeuginstruments.
Und dann singt die US-Jazzmusikerin Jaimie Branch: „Publicize, televise,
capitalize / On revolution’s eyes / What the world could be / If only you
could see / Their wings are false flags / On our wings, they all rise“.
Das Bild der Revolution taucht immer wieder auf in den Texten von Branchs
dritten und nun letzten, posthum erschienenen Album mit ihrem
Fly-or-Die-Ensemble: „Fly Or die Fly Or die Fly Or die ((World War))“. Die
Aufnahmen hatte Branch vor ihrem unerwarteten Tod noch abschließen können.
## Letzte Abmischungen
Um die letzten Abmischungen kümmerten sich nun Freunde und
Mitstreiter:innen. Man kann nur ahnen, was der US-Trompeterin und
Multiinstrumentalistin auf den kommenden Alben noch mit ihrer Stimme und
ihrem Gesang alles angestellt hätte. [1][Erfahren wird man es nicht, Jaimie
Branch ist im August 2022 im Alter von 39 Jahren gestorben.]
Im Zentrum steht aber nach wie vor die Trompete, immer virtuos und zugleich
simpel klingend gespielt. Jazz, das Einfache, das schwer zu machen ist,
sozusagen, um mal Bertolt Brecht zu beklauen.
Die Musik auf „Fly Or die Fly Or die Fly Or die ((World War))“ ist auf
Krawall gebürstet. „Believe me / The future lives inside us / Don’t forget
to fight“, singt Branch im Stück „Burning Grey“, und man möchte ihr das…
wie diese Musik klingt, sofort versprechen, hoch und heilig. Bei der von
Punk und Sun Ra infizierten Single „Take Over the World“ ist eine große
Unruhe zu spüren.
## Gospelartiger Blues
Andere Stücke sind wiederum von einem großen inneren Frieden getragen, zum
Beispiel „The Mountain“, ein gospelartiger Blues und ein Cover des Stücks
„Comin’ Down“ des [2][US-Psychedelic-Postpunk-Trios Meat Puppets].
Derartige Verknüpfungen fanden im musikalischen Denken Jaimie Branchs mit
einer selbstverständlichen Leichtigkeit zusammen.
Überhaupt fließen auch auf dem dritten Fly-or-Die-Album wieder Dinge aus
unterschiedlichen, aber eigentlich bereits verwandten Quellen ineinander:
New Orleans-Bigbandsound, Latinjazz, die grenzerweiternden Ecken von Fusion
und Freejazz, freier Improvisation, aber auch die Chicagoer
Postrock-Tradition von Bands wie Tortoise.
Das neunminütige „Baba Louie“ hätte auch auf einem Do-Make-Say-Think-Album
Sinn gemacht, inklusive der dubbigen letzten vier Minuten. Das geht auch
deswegen so formvollendet und wie von selbst, weil mit dem Cellisten Lester
St. Louis, dem Bassisten Jason Ajemian und dem Schlagzeuger Chad Taylor
drei Musikerkollegen die Grundlage für Branchs Trompete und Stimme legen,
die intuitiv jede ihrer Bewegungen in den Stücken mitvollziehen können.
Durch den frühen Tod von Branch ist „Fly Or die Fly Or die Fly Or die
((World War))“ ein Album geworden, das eine Leerstelle dokumentiert.
Zugleich wollen diese neun Stücke mit aller Kraft ins Offene und immer
wieder neu beginnen und ausgreifen. Kämpferischer, zeitgemäßer und
entstaubter klang diese große Musik, die ihre Wurzeln primär im Jazz hat,
schon lange nicht mehr. In der Spannung zwischen intensiver Präsenz und
Verlustgefühl ist die Musik auf dem unwiederbringlich letzten Album von
Jaimie Branch sehr berührend und euphorisierend zugleich.
15 Sep 2023
## LINKS
[1] /Jazztrompeterin-Jaimie-Branch/!5876923
[2] https://www.youtube.com/watch?v=VD6u-g7s-Ik
## AUTOREN
Benjamin Moldenhauer
## TAGS
Jazz
USA
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Musik
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