# taz.de -- Öko-Tourismus in Jordanien: Nichts verläuft hier im Sand | |
> Das Wadi Rum ist seit 2011 Unesco-Erbe. Der boomende Wüstentourismus | |
> bringt den Beduinen Geld, doch die Natur ist in Gefahr. Kann es eine | |
> Balance geben? | |
WADI RUM taz | Grell scheint die Mittagssonne. Eine neonpinkfarbene | |
Plastiktüte hängt in einem Wüstenbusch. Abdullah Zalabieh bremst seinen | |
Jeep, steigt aus, entheddert die Tüte aus dem Gestrüpp und packt sie in | |
eine große Plastiktüte. Die hat er kurz zuvor aus dem Wüstensand gesammelt. | |
Eigentlich veranstaltet der Beduine eine Wüstentour, doch ab und an hält er | |
an, um Plastikflaschen, Kaffeebecher und Cola-Dosen einzusammeln. „Kannst | |
du dir vorstellen: Manchmal fahren wir mit Freunden durch die Wüste und | |
schauen nach Abfall. In ein paar Stunden füllen wir etwa zehn große | |
Müllsäcke.“ | |
Sandsteinlandschaften auf einer immensen Fläche von rund 740 | |
Quadratkilometern, rostroter Sand, schroffe Felsen. Das Wadi Rum im Süden | |
Jordaniens ist eine stark besuchte Wüsten-Attraktion. Zirka 350.000 | |
Menschen kamen in den ersten fünf Monaten dieses Jahres ins Tal, sagt die | |
für Wadi Rum zuständige [1][Behörde.] | |
„Der Tourismus stellt derzeit die größte Bedrohung dar“, [2][schreibt] die | |
Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) in ihrer Evaluierung | |
der Gefahrensituation für das Tal aus dem Jahr 2020. Unzureichend | |
regulierte Fahrten abseits der Straßen durch Reiseveranstalter, der Bau | |
illegaler Camps und unbeaufsichtigte Tourist*innen schädigten die | |
Vegetation. | |
Tourist*innen reiten Kamele, erklimmen Berge, übernachten in | |
Beduinen-Camps. Die Beduinen, was übersetzt Wüstenbewohner heißt, waren | |
einst Nomaden. Sie reisten mit Kamelen, lebten in Zelten, weideten Ziegen- | |
und Schafherden, kamen ohne Strom aus. T.E. Lawrence, britischer Offizier, | |
Geheimagent und Schriftsteller, begründete im 20. Jahrhundert das Klischee | |
des romantischen Lebens in der Wüste und einer Kultur, die der Moderne | |
trotzt. Die Wahrheit ist natürlich komplexer. | |
Doch das Bild trat den Tourismus los. Mit dem wachsenden Profit aus | |
Jeep-und Trekking-Touren sowie Filmproduktionen wuchsen auch die | |
Interessen: Die Regierung, lokale Behörden, Investor*innen, | |
Tourist*innen und die Beduinen – sie alle wollen nun in Wadi Rum | |
mitsprechen und am Boom im Tal verdienen. Der Tourismus ist aber eine | |
Gefahr für die fragile Wüstenlandschaft. Geldnot, Ressourcenknappheit und | |
Behördendruck lasten auf den Beduinen. Wie können sie eine gute Balance | |
finden zwischen Tradition, Tourismus und Umweltschutz? | |
„Na klar, der Tourismus ist gut! Er schafft Arbeit und die Leute verdienen | |
Geld“, erklärt Abdullah Zalabieh bei Zitronengrastee. Der Beduine hat seit | |
2014 ein eigenes Camp, in dem Gäste übernachten. Es hat einen großen | |
Gemeinschaftsraum und sechs Einzelkabinen. Die Räume bestehen aus | |
Metallgerüsten, die mit schwarz-weiß gestreiftem Textil aus Ziegen-und | |
Schafswolle umspannt sind. Ein Küchen- und ein Toilettenhäuschen sind aus | |
rotem Sandstein gebaut. | |
Das Camp liegt etwas versteckt unter einem hohen schroffen Felsen. „Es | |
macht Freude, den Menschen unseren wunderschönen Ort zu zeigen, die Wüste, | |
die Berge, unsere Kamele, Ziegen und Schafe. Wir sind sehr aufgeschlossen | |
gegenüber anderen Kulturen.“ | |
Wie die meisten hat auch Zalabieh von den Ausländer*innen Englisch | |
gelernt. Würden die Tourist*innen wegbleiben, sagt er, könnten die | |
Beduinen zwar wieder mehr von der Tierzucht leben, aber viele Leute seien | |
auf das Geld durch den Tourismus angewiesen. Vor allem, weil der | |
[3][menschengemachte Klimawandel] es immer schwerer macht, Gerste oder | |
Getreide anzubauen, außerdem belasten stark schwankende Temperaturen die | |
Tiere. Weniger Regen oder plötzlicher Starkregen sowie Dürre verringern die | |
eh schon knappen Ressourcen und zwingen die Beduinen dazu, andere | |
Einnahmequellen zu finden. | |
Die Pandemie, so der Beduine, habe deutlich gemacht, dass viele Beduinen | |
auf den Tourismus als Geldquelle angewiesen sind. „In dieser Zeit gab es | |
keine staatliche Hilfe. Wir leben in Stämmen und helfen einander. Viele | |
lebten von ihrem Ersparten, aber manche mussten ihre Tiere oder das Auto | |
verkaufen.“ Negatives über Tourist*innen fällt Zalabieh kaum ein – „aber | |
wir möchten sie bitten, vorsichtig mit der Natur umzugehen und ihren Abfall | |
in der Wüste zu minimieren“. | |
Abdullah Zalabiehs Familienstamm sind die Ureinwohner der Wüste. Er ist im | |
Wadi Rum geboren, vor 30 Jahren, als es kein Krankenhaus gab und die Frauen | |
sich bei Geburten gegenseitig halfen. Sein 78-Jähriger Großvater lebt hier, | |
sein Urgroßvater und Ururgroßvater lebten ebenfalls in Wadi Rum. Er könnte | |
das so weiter aufzählen, bis zu 500 Jahre reiche seine Familiengeschichte | |
im Tal zurück. | |
Mit 15 Jahren fing Zalabieh zu arbeiten an. Er machte Kameltouren und | |
wanderte mit Tourist*innen durch die Wüste. Zu dieser Zeit wohnte seine | |
Familie in einem Zelt. In den 90er Jahren wurde das „Wadi Rum Dorf“ gebaut; | |
später zogen sie dorthin, da es ihnen ermöglichte, zur Schule zu gehen. | |
Zalabieh hat ein Haus aus Betonsteinen. Mit Ausnahme von ein paar hundert | |
Menschen sind alle Beduinen in Betonhäuser gezogen. Näher an die Schule, an | |
Strom- und medizinische Versorgung und Arbeitsmöglichkeiten – als | |
Verkäufer, Elektriker, Tourguides. Am Kiosk steht ein Kühlschrank mit | |
Cola-Werbung, daneben hängt zum Verkauf die Kufiya, das traditionelle Tuch, | |
das vor der Sonne schützt. | |
An der Straßenseite im Dorf steht ein Metallmüllcontainer. Ein Autoreifen | |
liegt daneben, zwischen Tomaten und Plastikfetzen. „Zurzeit bringen alle | |
Campbesitzer den Müll hier ins Dorf“, erklärt Zalabieh. „Sie nutzen die | |
Straßencontainer, aber die sind nicht groß genug. Katzen reißen die Beutel | |
auf, der Müll fliegt mit dem Wind wieder raus und landet auf der Straße.“ | |
Als Lösung schlägt er eine große Müllstation vor, umringt von einem Zaun. | |
Dass nicht nur Zalabieh mit der Situation unzufrieden ist, zeigt eine | |
[4][Recherche des Netzwerks für Arabische Investigativ-Reporter*innen] | |
(ARIJ) im August 2022. Die Campbesitzer beschweren sich, weil sie selbst | |
für die Transportkosten aufkommen, um den Müll im Dorf zu entsorgen. Der | |
zuständige Beauftragte für Tourismus und Umwelt der Sonderbehörde von | |
Aqaba, Nidal al-Majali, erklärte jetzt, die Eigentümer seien | |
verantwortlich, die Abfälle zu einem Platz am Eingang des Dorfes zu | |
bringen, wo die Müllabfuhr sie täglich abhole. Ein Besitzer gab an, sein | |
Camp habe jeden Tag 200 Kilo Müll. Wie viel Abfall sein Camp produziert, | |
möchte Abdullah Zalabieh nicht sagen. „Kleine Camps produzieren täglich | |
zwei Müllsäcke voller Abfall, größere vielleicht zehn.“ | |
Bei der Infrastruktur sehen die Beduinen die Behörden in der Verantwortung. | |
„Der Staat möchte, dass wir alle in Häusern wohnen, aber dann muss er auch | |
die Ressourcen wie Strom oder Wasser dafür bereitstellen“, sagt Zalabieh. | |
Die Stromkabel im Dorf beispielsweise hängten gefährlich niedrig, sodass | |
sich Kinder beim Spielen verletzen können. | |
## Arbeitsplätze mit Geldern der Weltbank | |
Der Staat möchte das Wadi Rum weiterentwickeln. [5][Mit Geldern der | |
Weltbank] wurden Arbeitsplätze im Tourismussektor geschaffen, Straßen, | |
Abwasserleitungen und ein Besuchszentrum gebaut. Der Tourismus spült auch | |
Geld in die Kassen der Regierung, durch Visagebühren, Entwicklungsgelder | |
für Infrastrukturprojekte oder Genehmigungen für Filmproduktionen. | |
Von den Gästen profitieren Hotels, Restaurants, Taxifahrer, Guides und | |
Souvenir-Shops. Der jordanische König Abdullah II. sagte im Januar bei | |
einer Pressekonferenz, „die Qualität der Dienstleistungen und Aktivitäten | |
im Wadi Rum“ sollen verbessert werden, um „ein einzigartiges | |
Tourismusprodukt zu schaffen“. | |
Abdullah Zalabieh ist stolz darauf, dass er Vize-Vorsitzender einer | |
Kooperative ist, die die Familien gegründet haben. Sie sprechen sich ab, um | |
ihre Interessen vertreten zu können, wenn es um Entwicklungshilfen oder | |
Regierungspläne geht. Einerseits vertritt Zalabieh seine Gemeinschaft und | |
hält sich mit Kritik gegen Behörden nicht zurück. Andererseits betont er | |
die Loyalität und Dankbarkeit gegenüber dem Königreich. | |
Der Konflikt ergibt sich aus der Geschichte: Für die Zalabiehs war die | |
Wüste schon ihre Heimat, bevor es den Staat Jordanien gab. Die Beduinen | |
halfen Prinz Faisal und dem britischen Offizier T.E. Lawrence, 1917 und | |
1918 gegen die Osmanen zu kämpfen. Sie lebten im Wadi Rum, als Emir | |
Abdullah im Jahr 1921 das erste zentralisierte Regierungssystem im heutigen | |
Jordanien aufbaute, Transjordanien dann im Jahr 1923 unter britischem | |
Mandat gegründet und schließlich 1946 unabhängig und zum Haschemitischen | |
Königreich wurde. | |
Der Mann in der Wüste und der Diener der Regierung – die Beduinen | |
verhandeln beide Männlichkeitsbilder. Das schreibt die Sozialanthropologin | |
Katerina Marinaki. Sie hat für ihre 2021 veröffentlichte Doktorarbeit 22 | |
Monate bei dem Zalabieh-Stamm gelebt. Der damalige König Hussein habe es | |
geschafft, sie als „seine Beduinen“ zu betrachten, „um die Stabilität und | |
politische Macht des neuen jordanischen Staates zu sichern. | |
Die Beduinen waren und sind immer noch loyale Anhänger der herrschenden | |
haschemitischen Familie.“ Mindestens 75 Prozent der männlichen Bevölkerung | |
von Rum im Alter zwischen 30 und 40 Jahren dienten in der Armee, waren bei | |
der Polizei oder Geheimpolizei. Einige hätten einen hohen Rang, der bei | |
Verhandlungen mit den Behörden helfe. | |
„Ich möchte dir eines der schrecklichen Luxuscamps für Touristen zeigen“, | |
sagt Abdullah Zalabieh auf der Fahrt im Auto. Er hält vor Häusern mit roten | |
Dachziegeln, dazwischen glänzen silberne Halbkugeln. „Das sind ganze | |
Gebäude, die sind riesig und nicht wirklich hübsch.“ Die Beduinenzelte mit | |
ihren schwarz-weißen Mustern aus Tierhaar könne man hingegen von Weitem | |
nicht sehen. | |
Durch Fotos auf Instagram sind besonders die „Bubble Camps“ beliebt. Die | |
„Seifenblasen“ haben oft eine Klimaanlage im Zimmer, betrieben mit Diesel. | |
Weil Filme wie „Star Wars“ im Wadi Rum gedreht wurden, werden die | |
Plastikkugeln als „Marsianer Kuppel“ beworben. Glamping auf dem Mars. | |
In solch ein Camp möchte Takahiro Nakamura. Der 29-Jährige kommt aus Japan, | |
macht seinen Master in Entwicklungsstudien in London. Er fährt mit dem Bus | |
aus der Hauptstadt Amman nach Wadi Rum. Seine japanischen Freunde haben ihm | |
die Unterkunft empfohlen, er hat sie über eine Online-Plattform gebucht. | |
„Es ist eine Art Zelt-Hotel, Wadi Rum Bubble Tent & Beduin Style“, ließt er | |
aus der Beschreibung vor. „Besonders eine funktionierende Toilette ist | |
wichtig für mich.“ Auf den Fotos des Anbieters ist eine Holzplattform zu | |
sehen, darauf eine Halbkugel, geformt aus dreieckigen Metallgerüsten, | |
umzogen mit einer transparenten Plane. | |
„Eine Person sagte mir: ‚Leben Beduinen in der Wüste denn in Plastik?‘�… | |
erzählt Tatiana Haddad. Die Anthropologin hat 2022 für ihre Bachelorarbeit | |
an einer Universität im texanischen Houston die Beduinen im Wadi Rum | |
ausführlich interviewt. „Es stört sie und es ist ein bisschen beleidigend, | |
eine so fremde, invasive Art von Camp in ein Gebiet zu bringen, das so eng | |
mit ihrer Geschichte und ihrer Kultur verbunden ist – und vor allem in eine | |
Tourismusindustrie, die sie von Grund auf aufgebaut haben.“ | |
Die Blasen werden vordergründig von Beduinen betrieben. Doch ein | |
Beduinencamp-Besitzer habe Haddad erzählt, einige Camps seien von | |
Hotelketten oder Bauträgern aus Amman und Petra finanziert worden. „Das war | |
definitiv eine der großen Ängste, die ich wahrgenommen habe: dass | |
ausländische Investoren Wadi Rum übernehmen könnten.“ Die Beduinen sähen | |
auch Landsleute als Ausländer, da man sich früher mit dem Stamm | |
identifizierte. Deshalb ist schwer nachzuvollziehen, welche „ausländischen“ | |
Gelder fließen. | |
Laut der Naturschutzorganisation IUCN wurden zwischen 2012 und 2020 sieben | |
neue Camps ohne Lizenzen der Verwaltungsbehörde errichtet. Die Verwaltung | |
habe eine umfassende Klage gegen alle sieben illegalen Lager vorbereitet | |
und eingereicht. Es ist unklar, ob Beduinen ohne Papiere bauen, weil sie | |
das Land als ihr Eigentum ansehen, oder ob Korruption hinter den Bauten | |
steckt. | |
Das Land gehört seit den 1920er Jahren dem Staat. Die Anthropologin Haddad | |
sagt, die Beduinen hätten keine gesetzlich verankerten Eigentumsrechte, | |
doch hätten sie durch ihre langjährige Stammeszugehörigkeit Anspruch | |
darauf, das Land von der Regierung zu pachten. Die Behörden waren auf | |
taz-Anfrage nicht zu erreichen. | |
Nur Beduinen dürften in der Wüste ein Camp aufmachen, erklärt Abdullah | |
Zalabieh. Haddad sagt, sie wisse nicht, ob das eine offizielle Regelung | |
ist. „Aber ich habe nicht ein einziges Camp gesehen, in dem der öffentliche | |
Eigentümer ein Nicht-Beduine war.“ Doch die Leute fühlten, dass der Gewinn | |
besonders bei großen Camps ins Ausland fließe. „Und die meisten Arbeiter in | |
den Lagern sind keine Beduinen. Fast alle die kochen oder die Camps instand | |
halten, sind aus Ägypten, Syrien oder dem Sudan.“ | |
## Auf die Natur hören | |
Zalabieh hat Angst, dass ausländische Arbeiter, die Tourist*innen | |
herumführen. Tourist*innen sollten mit den lokalen Guides in die Wüste | |
kommen, weil die Beduinen am besten wüssten, welche Wege sie fahren, | |
welches Holz sie sammeln könnten. Und sie hörten auf die Natur. | |
Die Beduinen wollen den ökologischen Fußabdruck klein halten, bestätigt | |
Haddad. „Jedes Camp und jede Familie verfolgt einen anderen Ansatz. Viele | |
Camps sind auf Solarpanele umgestiegen, sie versuchen, den übermäßigen | |
Einsatz von Generatoren zu vermeiden.“ Auch möchten sie Brennholz „auf | |
ethische Weise beschaffen – aus ressourcenschonender, lokaler Produktion | |
oder aus dem Norden Jordaniens.“ | |
Abdullah Zalabieh nutzt ebenfalls Solarenergie für sein Camp. Auf der Fahrt | |
dorthin macht er keine Schlenker. „Ich fahre nur in den Spuren, die bereits | |
durch andere Reifen im Sand sind.“ Die Beduinen würden den Naturschutz sehr | |
ernst nehmen. „Wir wissen genau, was wir von der Natur nehmen können. Komm, | |
ich zeige dir, wie wir erkennen, ob wir das Holz zum Feuermachen nehmen | |
können.“ | |
Er knickt zwei Äste von einem Busch ab. „Hör mal.“ Es macht ein knackendes | |
Geräusch beim ersten. Dann zerteilt er den zweiten Ast, doch das Brechen | |
erzeugt kaum ein Geräusch. Der trockene Ast mache ein lautes Geräusch, | |
außerdem seien die Fasern innen braun, während der mit Leben gefüllte Stamm | |
innen grünlich ist. Er sammelt nur die trockenen Äste; falls er Brennholz | |
übrig hat, bleibt es an der Feuerstelle. So können es andere nach ihm | |
benutzen. | |
Auch wenn die Wüste karg wirkt, beherbergt sie eine Vielfalt an Pflanzen | |
und Tieren: Steinböcke und Sandkatzen, Brandfüchse und Grauwölfe sowie 120 | |
verschiedene Vogelarten wie Adler, Geier, Bussarde und Spatzen. Seit 2011 | |
ist das [6][Wadi Rum Natur- und Kulturerbe der Unesco.] Verwaltet wird es | |
von einer Behörde im 75 Kilometer entfernten Aqaba, der Aqaba Special | |
Economic Zone Authority (ASEZA). Deren Angaben zufolge sind lokale Beduinen | |
Mitarbeitende des Besuchszentrums. Wie es mit dem Management aussieht, ist | |
unklar. | |
„In den Augen der Zalabieh eignen sich diese Bürokraten die Wüste an und | |
verhalten sich autoritär an einem Ort, wo sie nicht hingehören, und die | |
Bewohner reagieren mit Ungehorsam“, [7][schreibt die Sozialanthropologin | |
Marinaki.] Im Mai gab der Direktor für die Region Wadi Rum bekannt, dass | |
die Behörde umgerechnet fast vier Millionen Euro für Entwicklungsprojekte | |
dort bereitgestellt. Unter anderem soll die Straße, die nach Wadi Rum | |
führt, ausgebessert werden. Wie werden die Beduinen in Entscheidungen | |
einbezogen? Weder ASEZA noch das Tourismusministerium waren für eine | |
Stellungnahme per Mail, telefonisch oder vor Ort verfügbar. | |
## Wohin gehen die Eintrittsgelder? | |
Am Eingang zum Wadi Rum Village hat die Behörde ein Besuchszentrum gebaut, | |
dort zahlen ausländische Tourist*innen fünf jordanische Dinar, | |
umgerechnet zirka 6 Euro Eintrittsgeld. Es gibt Toiletten, Souvenirshops, | |
hier ist der Startpunkt für Jeep-Touren. Auf der Webseite heißt es: „Ein | |
Teil des Eintrittsgeldes geht direkt an die lokalen Tourismuskooperativen.“ | |
Wie viel und wie das Geld verteilt wird, steht dort nicht. Laut Zalabieh | |
sind es rund ein Euro pro Besucher*in. Die Jeep-Fahrer stammten aber aus | |
der lokalen Gemeinschaft und bekämen entsprechenden Lohn. | |
Um die Natur zu schützen, hat ASEZA das Wadi in zwei Zonen eingeteilt, eine | |
mit freiem Zugang und eine „Wildniszone“, in der Besuchsaktivitäten | |
kontrolliert werden sollen. Nur wenige Fahrzeuge dürfen in diese Zone, | |
Camping und Klettern sind eingeschränkt. Laut Zalabieh wird dieser Teil der | |
Wüste von den Beduinen seit Jahrzehnten den Nomaden überlassen. Das sehe | |
man an den vielen Büschen, die dort wachsen. | |
Er sieht dort einen älteren Mann mit seiner Ziegenherde, stoppt sein Auto, | |
läuft zu ihm, schenkt dem Hirten Wasser und Sesamkekse. Sein eigener | |
Großvater zöge noch immer mit seinem Holzzelt und Herde durch das Tal. Als | |
Zalabieh an einem neueren Camp vorbeikommt, sagt er, dieses sei illegal | |
gebaut worden – trotz der Wildnisregelung. | |
Auf der Webseite der Behörde in Aqaba steht, sie nehme ihre ökologische | |
Verantwortung ernst. Ranger achteten darauf, dass Verhaltensregeln für die | |
Besucher*innen eingehalten werden. Die taz-Anfrage, solch einen Ranger | |
begleiten zu dürfen, blieb unbeantwortet. Die Regeln der Behörde lauten: | |
Tourist*innen sollen den Fahrer anweisen, nur auf ausgewiesenen Strecken | |
zu fahren; keine Pflanzen, Steine, Artefakte oder Brennholz zu sammeln oder | |
Tiere zu jagen. „Nehmen Sie Ihren Müll mit: Halten Sie das Gebiet sauber. | |
Verbrennen Sie Toilettenpapier oder verwenden Sie Wasser. Minimieren Sie | |
den Lärmpegel; verzichten Sie auf laute Musik. Respektieren Sie die | |
Lebensweise der Einheimischen; tragen Sie angemessene Kleidung und fragen | |
Sie, bevor Sie Fotos machen.“ | |
Welche Rechte und Pflichten haben die Menschen, die das Wadi Rum besuchen? | |
Zalabieh hat in dieser Nacht keine Gäste. In dem Camp seines Bruders aber | |
übernachten Matteo Gazzerro und Clothilde Perot. Er ist IT-Berater, sie | |
arbeitet im Personalmanagement. „Der interessanteste Teil am Reisen ist für | |
uns, mit Einheimischen zu sprechen, um ihre Denkweise, ihre Gewohnheiten zu | |
verstehen“, sagt der 32-jährige Gazzerro. „Wenn du umherziehst und mit | |
anderen Menschen sprichst, verstehst du, dass es viele Denkweisen gibt – | |
und deine ist nicht die einzige oder beste.“ | |
## Mit Wolldecken unter dem Sternenhimmel | |
Bei ihrer Unterkunftssuche haben die beiden die „Bubbles“ ausgeschlossen, | |
„weil sie nicht authentisch sind“, sagt die 30-jährige Perot. „Wir haben | |
nicht mal das Zelt gebucht, sondern eine Nacht draußen“, ergänzt Gazzerro. | |
Sie schlafen mit Wolldecken auf Matratzen unter dem Sternenhimmel. Für | |
Perot ist der Jeep-Aspekt ökologisch ein Problem. „Aber es geht nicht ohne | |
Jeep. Ich habe mir einige Trekkingpfade angesehen. Da wir nur einen Tag | |
Zeit hatten, möglichst viel sehen wollten und die Sonne sehr stark ist, | |
haben wir uns doch für ihn entschieden.“ | |
Für all diese Reisen werden Ressourcen benötigt, Flüge, Autos, Busse. Wiegt | |
die persönliche Erfahrung den ökologischen Fußabdruck auf? „Es ist schon | |
individualistisch zu reisen“, überlegt Perot. „Wir teilen unsere | |
Erfahrungen und Fotos von der Reise mit Familie und Freunden, vielleicht | |
ist das eine Verantwortung? Es kann ihnen helfen, Dinge globaler zu sehen. | |
Nicht nur die Unterschiede, sondern Gemeinsamkeiten. Oder interessante | |
Ideen.“ | |
Gazzerro ergänzt: „Wir sind nicht aktiv in den sozialen Medien, es ist | |
absolut für uns selbst.“ Daheim sei es einfacher, den ökologischen | |
Fußabdruck zu reduzieren. Beide glauben daran, dass Reisen hilft, nicht | |
rassistisch zu sein und sich mit anderen zu verbinden. „Aber ja, für diese | |
Vorteile verpestet man auch die Umwelt.“ | |
27 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.jordannews.jo/Section-109/News/JD3-million-has-been-allocated-f… | |
[2] https://worldheritageoutlook.iucn.org/explore-sites/wdpaid/555542337 | |
[3] https://www.aljazeera.com/news/2023/5/26/jordans-bedouins-take-on-the-strug… | |
[4] https://arij.net/projects/Who-is-responsible-en/reports/rep46.html | |
[5] https://documents1.worldbank.org/curated/es/156821468273337378/pdf/34554.pdf | |
[6] https://whc.unesco.org/en/list/1377/ | |
[7] https://hal.science/hal-00338452/document | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
## TAGS | |
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