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# taz.de -- Olympische Geografie: Als Böhmen noch bei Olympia war
> Hedwig Rosenbaum hat 1900 bei den Spielen in Paris zwei Mal Bronze im
> Tennis gewonnen. Das Länderkürzel, unter dem sie antrat, ist längst
> Geschichte.
Bild: Hedwig Rosenbaum, Olympiasiegerin für Böhmen
Jeder Sportfan kennt die Kürzel FRA oder GBR, Frankreich und
Großbritannien. Beim Akronym ANZ wird es schon schwieriger. So wurde in den
olympischen Jahren 1908 und 1912 das gemeinsame Team von Neuseeland und
Australien abgekürzt, eine Reisegruppe namens Australasien, die immerhin
zwölf Medaillen holte. Rätsel gibt auch die Abkürzung SAA auf, [1][die es
in die olympischen Geschichtsbücher geschafft hat]. Die SAA-Mannschaft ging
bei den Olympischen Spielen im Jahre 1952 an den Start. Ihre Flagge sah
fast so aus wie die der norwegischen Delegation. Die 36 Sportler blieben
freilich medaillenlos. Für das beste Resultat sorgte der Einer-Ruderer
Günther Schütt mit Platz acht. Na, gelöst?
In Helsinki traten seinerzeit Athleten aus dem Saarland an. Das Nationale
Olympische Komitee des unter französischen Protektorat stehenden Fleckens
war schon 1950 vom Internationalen Olympischen Komitee anerkannt worden. Im
Jahr 1956, bei den Spielen in Melbourne, gingen die Saarländer in der
gesamtdeutschen Mannschaft EUA (United Team of Germany) auf. So ist die
olympische Geschichte immer auch eine Geschichte von topographischen
Veränderungen und politischen Umwälzungen.
[2][Pierre de Coubertin] entwickelte schon 1911 das Konzept einer
spezifischen „Sportgeographie“ – und stellte fest, dass die sich eben
manchmal von einer „politischen Geographie“ unterscheiden kann. Die Kürzel
NBO (Nordborneo) und TCH (Tschechoslowakei) sind ebenso verschwunden von
der Landkarte wie YUG (Jugoslawien) oder BWI (Athleten aus
[3][Britisch-Westindien aka Barbados, Trinidad und Tobago sowie Jamaika]).
Verschwunden ist auch jenes BOH, das in den Jahren 1900, 1908 und 1912 in
den Olympiapässen der Delegation aus Böhmen stand.
Das Mehlspeisparadies Böhmen, ein Teil der heutigen Tschechischen Republik,
[4][damals autonomer Teil der österreichisch-ungarischen k.u.k.-Monarchie],
gewann vier Medaillen, und die erste Plakette für Böhmen baumelte
ausgerechnet am Hals einer Frau: Hedwig Rosenbaum, Tennisspielerin. Sie war
wohl auch die erste jüdische Sportlerin, die bei den Olympischen Spielen
aufs Siegerpodest stieg.
## Lehrwerk über Rasentennis
Die geborene Austerlitz war Teil der deutschsprachigen jüdischen Gemeinde
in Prag. 1886 heiratete sie den Sportjournalisten Siegfried „Bim“
Rosenbaum, dem der Schriftsteller Friedrich Torberg ein kleines Denkmal
gesetzt hat. Bim Rosenbaum schrieb nicht nur im Prager Tagblatt, sondern
sportelte selbst wie besessen. Kaum eine Herausforderung ließ er aus.
Er riss seine Frau mit. Auch sie wurde zur Autorin, schrieb in Sport im
Bild über Mädchentennis. Mit ihrem Mann konvertierte sie zum
römisch-katholischen Glauben, nannte sich fortan Hedwig Raabe. Zusammen
übersetzten sie Pembroke Arnold Vailes Buch „Modernes Rasentennis“ (1905).
Angesichts eines anglophilen Spleens gilt es als wahrscheinlich, dass
Hedwig Rosenbaum manchmal unter dem Namen O. Wilkins spielte.
In Prag war ihr Mixed-Partner T. H. Nash, und bei den Olympischen Spielen
trat sie an der Seite von Archibald Warden aus Großbritannien an. Rosenbaum
wurde Zweite beim ersten österreichischen Rasentennisturnier, das 1894 in
Prag ausgetragen wurde. Zunächst wurden diese Wettbewerbe von Hedwigs
Ehemann und einer Handvoll seiner Freunde organisiert. Im Jahr 1897 wurde
die Organisation vom neu gegründeten Prager Rasen-Tennis-Club übernommen.
Hedwig Rosenbaum reiste nur ein Mal zu den Spielen, 1900, und offiziell war
sie auch nicht Teil der Böhmischen Mannschaft. Sie, bereits 36 Jahre alt,
bezahlte auf eigene Kosten die Startgebühr von 10 Francs für den
Einzel-Wettbewerb und fünf Francs fürs Doppel. Vergessen von der Sportwelt
starb sie mit 75 in Prag, kurz nach dem Einmarsch der Nazis in Böhmen.
22 Sep 2023
## LINKS
[1] https://odf.olympictech.org/2022-Beijing/codes/HTML/pg_cc/NPC.htm
[2] /Pierre-de-Coubertins-Notizen/!5660078
[3] /Koloniale-Vergangenheit-des-Empire/!5938958
[4] https://www.youtube.com/watch?v=MbQ9du0R5vQ
## AUTOREN
Markus Völker
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