# taz.de -- Nach der Überschwemmung in Libyen: Das Misstrauen bleibt | |
> Die Katastrophe im Osten Libyens hat die Stadt Darna besonders getroffen. | |
> Die Überlebenden leiden nicht nur unter dem Verwesungsgeruch. | |
Bild: Was zurückblieb: Berge aus Schlamm, Beton und Metall | |
MARRAKESCH taz | Auch eine Woche nach der Flutkatastrophe in Ostlibyen ist | |
die Zahl der Opfer noch immer unklar. Mehr als 12.000 Tote konnten die | |
lokalen Behörden bisher bergen; mehrere Tausend gelten noch als vermisst. | |
In Darna, einer Stadt mit 250.000 Einwohnern, hat eine laut Augenzeugen bis | |
zu elf Meter hohe Flutwelle ganze Straßenzüge ins Mittelmeer geschwemmt. | |
Der Fotograf Mohamed Mneina berichtet: „35 Prozent des [1][Stadtgebiets | |
sind letzten Sonntag einfach verschwunden].“ Von einer Anhöhe aus | |
beobachtete der 38-Jährige, wie nach dem Bruch eines oberhalb der Stadt | |
gelegenen Damms eine Welle alles zerstört hat. „Es klang wie ein Erdbeben, | |
die Welle war hingegen still und so schnell, dass in drei Minuten alles | |
unter Wasser stand. Nach zwei Stunden war es wieder aus der Stadt | |
geflossen, aber die Katastrophe hält an.“ | |
Rettungsteams aus der Türkei, Tunesien, Malta, Italien und den Vereinigten | |
Arabischen Emiraten suchen Überlebende in den Bergen aus Schlamm, Beton und | |
Metall. Die libysche Armee hat die zwischen einem Hochplateau und dem Meer | |
liegende Stadt abgesperrt. Selbst die in den höher gelegenen westlichen | |
Teil geflohenen Bewohner dürfen nicht mehr in Wohnungen zurückkehren. | |
Wegen der Toten, die unter der bis zu einem Meter hohen Schlammschicht | |
begraben liegen, raten die Behörden davon ab, das Trinkwasser zu nutzen. | |
Die Medizinstudentin Lobna Almustari erzählt: „Überall liegt | |
Verwesungsgeruch in der Luft.“ Sie ist in Darna aufgewachsen. Nun lebt sie | |
zusammen mit ihren Geschwistern und ihrer Mutter bei den Großeltern. „Wir | |
haben weder Möbel, Kleidung noch genug zu essen“, sagt Almustari. Sie | |
arbeitet außerdem seit zwei Jahren für eine NGO, die Minen und Blindgänger | |
räumt. Diese bereiten ihr besonders Sorgen. | |
## Die Warnung ignoriert | |
Der sogenannte Islamische Staat hatte Darna bis 2017 besetzt. Im Krieg | |
zwischen ihm und der Armee von Chalifa Haftar kam es zu schweren Gefechten | |
um die Stadt. „Mit der Flut sind nicht explodierte Minen in die Stadt | |
geschwemmt worden“, sagt Lobna Almustari. | |
Am Freitagmorgen gab Osama Hammad, Premierminister der ostlibyschen | |
Regierung, bekannt, alle von der Flut betroffenen Gebiete evakuieren zu | |
wollen. Das soll die mögliche Ausbreitung von Seuchen verhindern. Seine | |
Autorität ist international nicht anerkannt. Jetzt hat seine Regierung auch | |
das Vertrauen der Bürger Ostlibyens verloren. Ebenso wie die von den | |
Vereinten Nationen anerkannte Regierung im westlibyschen Tripolis. Mit den | |
politischen Krisen der vergangenen Jahre verbreiteten sich Korruption und | |
Vetternwirtschaft. | |
Fotograf Mohamed Mneina sagt: „Viele von uns geben sich daher nur ungern in | |
die Hände der Regierenden.“ Er harrt derzeit mit seiner Familie auf einer | |
Farm oberhalb der Stadt aus. Gehen will er nicht. „Wenn wir alle über das | |
Land verteilt werden, wird Darna wohl nicht mehr aufgebaut“, fürchtet er. | |
Schon vor der Flut war das Misstrauen groß. Bewohner der Hafengebiete | |
ignorierten die [2][Warnung der Hilfsorganisation „Roter Halbmond“] und | |
blieben in ihren Wohnungen. Misstrauen weckt auch die Ankunft erster | |
Einheiten der ägyptischen Armee. „Die Cyrenaika-Provinz ist ölreich und | |
boomt“, sagt Mohamed Mneina. „Die Hilfe wird nicht ohne Bedingungen | |
kommen.“ | |
Während die [3][internationale Unterstützung langsam] anläuft, brechen aus | |
ganz Libyen private Hilfskonvois in das Katastrophengebiet auf. Nicht nur | |
Darna ist betroffen. In der 80 Kilometer westlich liegenden Großstadt | |
al-Baida steht das Wasser immer noch meterhoch. Auf den Dörfern der | |
Umgebung sitzen Menschen auf Dächern, hoffen auf Rettung. | |
[4][Amaal Elhaj ist Frauenaktivistin]. Nun nutzt sie aber ihre Kontakte, um | |
obdachlos gewordenen Familien ein provisorisches Zuhause zu vermitteln. | |
„Die Spendenbereitschaft ist im ganzen Land enorm“, sagt sie. „Doch den | |
Behörden und uns fehlt jegliche Erfahrung mit den Folgen eines solchen | |
Ereignisses.“ Europa hilft zwar mit Zelten, Decken oder Stromgeneratoren. | |
Experten aus Europa fehlen aber bisher. „Doch gerade die brauchen wir“, | |
sagt Amala Elhaj. „Geld, um Material zu kaufen, hat Libyen doch genug.“ | |
15 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Wetterkatastrophe-in-Libyen/!5956735 | |
[2] /Ueberschwemmungen-in-Libyen/!5956885 | |
[3] /Flutkatastrophe-in-Libyen/!5960284 | |
[4] https://www.sueddeutsche.de/politik/libyen-elhaj-gaddafi-rat-libyscher-frau… | |
## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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