# taz.de -- Klimawandel in den Alpen: Bergsteigen wird gefährlicher | |
> Weil es in den Alpen schmilzt, kommen Felsen ins Rutschen. Das erhöht das | |
> Risiko von Steinschlägen. Aber die Gefahr scheint bisher überschaubar. | |
Bild: Man muss heutzutage den Berg immer weiter herauf wandern, um zum Gletsche… | |
LÄNGENFELD taz | Riesige Felsbrocken krachen mit lautem Getöse auf den | |
[1][Gletscher] – nur wenig entfernt von unserer Wandergruppe. Manche Steine | |
sind teils einige Meter groß und würden jeden Menschen erschlagen, den sie | |
treffen. Immer mehr Geröll breitet sich minutenlang auf dem als | |
Sulztalferner bekannten Gletscher in den österreichischen Alpen aus. Wie | |
ein Lavastrom arbeitet sich das grauschwarze Band von einer eisfreien | |
Bergspitze oberhalb des Gletschers Richtung Tal. Die Wucht dieses | |
Gröllabgangs, sein gewaltiger Lärm, seine Dauer flößen Respekt und manchen | |
auch Angst ein. Zum Glück ist über unserer Seite des Gletschers kein Fels | |
ohne Eisdecke. | |
„Die Stütze durchs Eis ist nicht mehr da“, erklärt unser Bergführer, war… | |
die Steine sich gelöst haben. „Das Eis, wenn es groß genug ist, stützt ja | |
ein bisschen. Anstatt dass da Schnee liegt, haben wir nun eine glänzende | |
Oberfläche.“ Und Boden, der früher vom Eis bedeckt und von diesem | |
zusammengehalten worden war, taut auf, weil der Gletscher ständig | |
schrumpft. Dass er schrumpft, liegt an den gestiegenen Temperaturen. Der | |
Schnee und das Eis schmelzen, ohne dass sich genügend Nachschub bildet. | |
Unter unseren Füßen sehen wir das Schmelzwasser abfließen, was im Sommer | |
auch vor dem Klimawandel passierte – aber nicht in diesem Ausmaß. Vor 130 | |
Jahren reichte der Sulztalferner bis in die Nähe der Amberger Hütte, bei | |
der unsere Wanderung begann. Heute mussten wir dreieinhalb Stunden laufen, | |
bis wir am Rand des Gletschers ankamen. | |
Das Eis schmilzt weltweit. Ein Team um Wissenschaftler David Rounce von der | |
Carnegie Mellon University im US-Bundesstaat Pennsylvania hat in der | |
Fachzeitschrift [2][Science] prognostiziert, dass Gebirgsgletscher bei | |
einem globalen Temperaturanstieg von 1,5 bis 4 Grad Celsius bis zum Jahr | |
2100 ein Viertel bis fast die Hälfte ihrer Masse verlieren werden. Dabei | |
seien Gebirgsgletscher für fast 2 Milliarden Menschen eine wichtige | |
Wasserressource. Zudem trägt ihr Schmelzen dazu bei, dass der Meeresspiegel | |
steigt. | |
## Forschende warnen vor mehr Risiken für Wandernde | |
Doch das sind für viele andere Menschen Gefahren, die ihnen als weit weg | |
erscheinen. Genauso wie andere Risiken durch die Erderhitzung. Aber wenn | |
vor den eigenen Augen lebensbedrohliche Felsen niedergehen, dann wirkt der | |
Klimawandel plötzlich ganz nah. Es geht nicht mehr „nur“ um ungesund hohe | |
Temperaturen in einigen Jahrzehnten, Überschwemmungen in weit entfernten | |
Orten, Dürren auf Feldern irgendwo, sondern um einen Fels, der einen hier | |
und jetzt erschlagen könnte. | |
Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften stellte 2021 in einer | |
vom Schweizer Bundesamt für Umwelt finanzierten [3][Studie] eine „Zunahme | |
der Gefahren für Wandernde“ in der Alpenrepublik durch den Klimawandel | |
fest. Das betreffe zum Beispiel die „oft spontanen, gravitativen | |
Naturgefahren“ wie Steinschlag oder Muren. Mit Muren sind Ströme von | |
Schlamm und Gesteinsschutt gemeint, die durch starken Regen oder | |
Schneeschmelze hervorgerufen werden. | |
„Die klimatischen Änderungen führen zum Auftauen von bindendem Eis | |
(Gletscher, Blockgletscher, Permafrost) und zur Übersättigung der Felsen | |
und Böden mit Wasser, was zu Instabilitäten des Untergrunds führen kann“, | |
erläutern die ForscherInnen. Aber auch die veränderten „meteorologischen | |
Gefahren“ wie vermehrte oder stärkere Stürme oder Gewitter nähmen zu. | |
Steinschläge würden „insbesondere in Gebieten mit Permafrost“ und bei | |
Starkregen häufiger stattfinden. Felsstürze, bei denen noch mehr | |
Gesteinsmasse als bei Steinschlägen fällt, würden nicht nur häufiger, | |
sondern auch größer werden. Auch wird es der Prognose zufolge mehr Muren | |
geben. | |
## Im Hochgebirge fehlt der Eiskleber | |
„Das Wandern in den hochalpinen Regionen der Alpen wird gefährlicher“, | |
sagte Tirols Landesgeologe Thomas Figl der taz. Steinschläge und Felsstürze | |
habe es auch schon früher gegeben. „Aber es kommt eben vor allem in | |
hochalpinen Bereichen immer öfter zu derartigen Ereignissen.“ In | |
unbewachsenen und felsigen Hochgebirgslandschaften, in denen nun der | |
Eiskleber fehlt, sei die Gefahr naturgemäß höher als in Regionen des | |
niedrigeren bayerischen Alpenvorlands, in denen Gras und Bäume den Boden | |
halten. | |
„Gerade für Hochtourengeher sind die Folgen der Erderhitzung und die damit | |
verbundenen, erhöhten Risiken in den (noch) vergletscherten Regionen | |
dramatisch“, räumt sogar der Österreichische Alpenverein ein, der den | |
Bergsport fördert. „Wir müssen uns aber der zunehmend größeren, objektiven | |
Gefahren bewusst werden und der Tatsache ins Auge blicken, dass manche | |
Touren anspruchsvoller werden, manche nur mehr in einem kleinen Zeitfenster | |
machbar sein werden und manche Touren gar nicht mehr unter einem | |
vertretbaren Risiko begangen werden können.“ | |
Vom Wandern in den Alpen will aber keiner der von der taz befragten | |
Experten generell abraten. „Man kann weiter sicher wandern“, sagt zum | |
Beispiel Permafrost-Forscher Alexander Bast vom Institut für Schnee und | |
Lawinenforschung in der Schweiz. Die Behörden würden Wanderwege sperren, | |
auf denen das Risiko etwa für Steinschlag zu hoch sei. | |
Tatsächlich ist das Risiko durch Ereignisse wie Steinschläge überschaubar, | |
die durch den Klimawandel zunehmen können: In Österreich kam 2022 nur 1 | |
Mensch bei einem Alpinunfall durch Steinschlag um, aber 96 durch Absturz, | |
Ausrutschen, Ausgleiten oder Stolpern und 70 durch eine | |
Herz-Kreislauf-Störung. Das teilte das Österreichische Kuratorium für | |
Alpine Sicherheit der taz mit. | |
26 der 109 Menschen, die 2022 laut Schweizer Alpen-Club im dortigen Gebirge | |
beim Bergsport ums Leben kamen, starben durch Spalteneinbruch auf | |
Gletschern, Steinschlag, Eisschlag oder Lawinen. 79 dagegen stürzten. | |
## Lieber keine Pause unter einer hohen Felswand | |
„Aber man muss einfach wissen: Es kann etwas passieren, und deshalb muss | |
man aufpassen“, sagt Permafrostexperte Bast. Unterhalb einer hohen Felswand | |
etwa sollte man nicht Pause machen, sondern zügig gehen, um das | |
Steinschlagrisiko zu reduzieren. | |
„Früher war eine Begehung der Eiger-Nordwand bei winterlichen Bedingungen | |
außergewöhnlich, heutzutage ist dies aufgrund der herrschenden | |
Steinschlaggefahr [4][im Sommer] ein absolutes Muss“, rät der | |
Österreichische Alpenverein. Im Grunde müssten jetzt die meisten Hochtouren | |
vom Spätherbst bis zum Frühjahr begangen werden, sofern die Routen | |
überhaupt noch existieren, so Gerhard Mössmer, Bergsportexperte der | |
Organisation. Und: „Wurde der Steinschlaghelm auf Hochtour früher noch | |
belächelt, ist er heute Standard.“ | |
17 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Gletscher-in-Patagonien/!5958619 | |
[2] https://www.science.org/doi/10.1126/science.abo1324 | |
[3] https://www.nccs.admin.ch/dam/nccs/de/dokumente/website/massnahmen/projekte… | |
[4] /Deutscher-Wetterdienst-zieht-Bilanz/!5953407 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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