# taz.de -- Frauenbewegungen in Chile: Erinnerung für heutige Kämpfe | |
> Den Kampf für Menschenrechte in Chile führten vor allem die Frauen im | |
> Leben der Verschwundenen und politischen Gefangenen. | |
Bild: Festnahme einer Frau in Santiago de Chile während Proteste am 02. Oktobe… | |
Der 23. Dezember 1983 ging in die Geschichte Chiles ein: Mehr als 10.000 | |
Frauen kamen im Theater von Caupolicán in Santiago zusammen, um unter dem | |
Motto „Heute und nicht morgen. Für das Leben!“ ihren entschiedenen | |
Widerstand gegen die zivilmilitärische Diktatur von Augusto Pinochet zum | |
Ausdruck zu bringen. Es war ein historischer Moment. | |
Aus Betroffenheit und Verzweiflung besetzten Frauen öffentliche Räume. Sie | |
hatten erkannt, dass das Persönliche politisch ist. Der Kampf für die | |
Menschenrechte im südlichen Südamerika wurde vor allem von Müttern, | |
Töchtern, Schwestern und Partnerinnen von Verschwundenen und politischen | |
Gefangenen geführt. | |
Frauen zeigten eins der größten revolutionären Potenziale: die Fähigkeit, | |
die Gesellschaft in konterrevolutionären Zeiten zu politisieren. Im Kontext | |
des [1][staatlichen Terrorismus] waren es sowohl in Chile als auch [2][in | |
Argentinien] Frauen, die die mutige Entscheidung trafen, öffentlich zu | |
protestieren, zunächst mit der Motivation, die verschwundenen Verwandten | |
und Genoss*innen zu finden. Aber bald entfaltete ihr Protest eine Kraft, | |
die mehr war als das: Sie kämpften, um die Demokratie wiederzuerlangen und | |
der Diktatur ein Ende zu setzen. | |
## Neue Welle der chilenischen Frauenbewegung | |
Parallel dazu begann sich Anfang der 1980er Jahre die zweite Welle der | |
chilenischen Frauenbewegung neu aufzustellen. Die Situation von Frauen | |
sollte auf politischer Ebene problematisiert und ernst genommen werden. | |
Ziel war es auch, die durch die neoliberalen Reformen des Militärregimes | |
angefachte Wirtschaftskrise zu bewältigen und den Autoritarismus, sowohl in | |
der diktatorischen Gesellschaft als auch in der Familie infrage zu stellen. | |
Über Organisationen wie MEMCH 83 (Bewegung für die Emanzipation der | |
chilenischen Frau) organisierten sich Frauen, um Aktionen, Konferenzen, | |
Großveranstaltungen und Proteste zu organisieren und Manifeste zu | |
erarbeiten. In diesem Kontext verschränkte sich der Kampf der Feministinnen | |
mit dem der Frauen für Menschenrechte, versinnbildlicht in der Forderung | |
„Demokratie im Land und zu Hause“, wie sie im Caupolicán-Theater erscholl. | |
Heute, 50 Jahre nach dem Putsch, fühlen wir vom Feministischen | |
Koordinationskomitee 8. März (CF8M) uns als Erbinnen jener Kämpfe. Wir | |
wissen, dass Feminismus sich nicht nur darauf beschränkt, eine | |
Geschlechterperspektive in das aktuelle Regime des neoliberalen | |
Kapitalismus einzubeziehen. Feminismus bedeutet auch die entschlossene | |
Verteidigung gegen jeden Ausdruck des Autoritarismus sowohl im Land als | |
auch in den eigenen vier Wänden. | |
Heute ist die extreme Rechte wieder auf dem Vormarsch, und [3][das macht | |
feministische Erinnerungsarbeit] unerlässlich. Sie ermöglicht es uns, die | |
perspektiv- und zukunftslos erscheinende Gegenwart zu überwinden und uns | |
die unvollendeten Kämpfe und Projekte aus anderen Zeiten wieder anzueignen. | |
Unsere Erinnerungen werden zu Utopiefabriken, zu neuen Vorstellungswelten, | |
neuen Ideen und Hoffnungen, in denen wir unsere Gegenwart wiedererobern und | |
um eine bessere Zukunft kämpfen. | |
Die Erinnerungen von uns lateinamerikanischen Frauen sind störend, wollen | |
sie doch die Gesellschaft in Zeiten eines autoritären und ultrarechten | |
Aufschwungs politisieren. Für uns ist das Erkennen und Erinnern der | |
Geschichte ein mächtiger Prozess der Veränderung. Erinnern ermöglicht es | |
uns zu verstehen, dass unsere Kämpfe nicht losgelöst von der Zeit sind: Das | |
Vermächtnis des diktatorischen und patriarchalen Systems von gestern ist | |
die Ursache für die Gewalt, mit der wir heute leben. Für uns ist Erinnerung | |
die Kraft der Gegenwart. | |
Aus dem [4][Spanischen]: Caroline Kim | |
Elisa Franco, Camila Olmos und Sofía Rodríguez sind Sprecherinnen der | |
Feministischen Koordinationsstelle 8. März (CF8M). | |
10 Sep 2023 | |
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[4] /Movimientos-feministas-en-Chile/!5958647 | |
## AUTOREN | |
Elisa Franco | |
Camila Olmos | |
Sofia Rodriguez | |
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