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# taz.de -- Aktiv gegen die Klimakrise: Was heißt hier erfolgreich?
> Gegen den Klimawandel gibt es mehr als eine Strategie. Mitzi Jonelle Tan
> spricht in Paris vor 20.000 Leuten, Veronica Cabe in philippinischen
> Dörfern vor 15.
Lamao und Rosario taz | Wenn Mitzi Jonelle Tan auf Welttournee gegen die
Klimakrise geht, sind ihre Koffer oft drei Wochen vor der Abreise gepackt.
Zu jeder Reise legt sie ein Tabellendokument an. „Treffen mit König Charles
III.“ steht dort oder „Veranstaltung in Princeton“, dazu Notizen, an
welchem Tag sie bei welchen Freund:innen übernachtet, mit wem sie isst
und wann sie welches Outfit trägt. „Erfolg braucht Vorbereitung“, sagt Tan.
Schließlich [1][verfolgen knapp 18.000 Menschen ihre Auftritte auf
Instagram].
Mitzi Jonelle Tan, 25, ist eine der international sichtbarsten
Klimaaktivist:innen Südostasiens. Vor fünf Jahren gründete sie
[2][den philippinischen Arm von Fridays for Future]. Allein in den letzten
zwölf Monaten sprach sie mehrmals in New York, London und Berlin, forderte
ein Ende des Klimaimperialismus, posierte vor den Pyramiden in Ägypten,
besuchte Lützerath und die Weltklimakonferenz, streikte mit Greta Thunberg
und beriet das Natural History Museum in London zu seiner Klimastrategie.
Tans Heimat, die Philippinen, ist einer der vom Klimawandel am stärksten
bedrohten Staaten der Welt. Knapp [3][20 Taifune] treffen das Land jedes
Jahr, es besteht aus 7.000 Inseln, hat 36.000 Kilometer Küste. Auch
deswegen sind die Philippinen ein guter Ort, um der Frage nachzugehen, was
erfolgreichen Klimaaktivismus ausmacht.
Wenn Fridays for Future am 15. September wieder [4][zum globalen
Klimastreik] aufruft, dann ist das ein Moment, um zu konstatieren, wie
sehr sie in einigen Ländern in den letzten fünf Jahren die Debatte geprägt
haben – aber auch, wie weit sie immer noch von ihren Zielen entfernt sind.
Angesichts der physikalischen Realität der Klimakrise und der politischen
Verschleppung einer echten Transformation scheint die Bewegung hilflos.
Kleinere, [5][radikalere Gruppen wie in Deutschland die Letzte Generation]
dominieren den Diskurs und lösen Reaktionen von Kopfschütteln bis zu
Gewaltausbrüchen aus. Die Klimabewegung steckt in einer strategischen
Sackgasse.
## Wie wird Aktivismus wirksam?
Auf der ganzen Welt fragen sich Menschen, die gegen die Klimakrise
arbeiten: Welcher Aktivismus wirkt? Wo sollte er ansetzen, um effektiv zu
sein? Bei den Entscheider:innen? Bei der breiten Bevölkerung? Gibt es so
etwas wie die eine richtige Strategie?
Sucht man nach Antworten auf diese Fragen, sollte man auf den Philippinen
nicht nur Mitzi Jonelle Tan zuhören, sondern auch einer anderen
Vollzeitaktivistin, die, wenn man oberflächlich hinschaut, wie ihr
Gegenteil wirkt.
Veronica Cabe [6][folgen auf der Plattform X, wie sich Twitter heute nennt,
94 Menschen]. Einer ihrer letzten Posts, das verwackelte Video eines
Kohlekraftwerks bei Nacht, hat nach einem Monat zwei Likes.
Wärend Tan um die Welt reist, lebt Cabe in einem kleinen Haus voller
Aktivist:innen in der Provinz Bataan, vier Stunden von Manila entfernt.
Sie schläft in einem geteilten Schlafzimmer mit Stockbetten und Matratzen.
Tagsüber fährt sie in die umliegenden Arbeiter- und Fischerorte und
versucht, sie für den Widerstand gegen den Kohleboom in der Region zu
mobilisieren. Sechs Kohlenmeiler laufen derzeit in ihrer Provinz, fünf
weitere sind in Planung. Cabe ist 50 Jahre, seit 29 Jahren kämpft sie gegen
die Kohle.
Auch wenn Tan und Cabe auf ähnliche Ziele hinarbeiten, sind die Bühnen, die
sie für ihr Engagement wählen, grundverschieden. Die eine spricht vor dem
Eiffelturm in Paris vor 20.000 Menschen, die andere auf philippinischen
Dorfplätzen vor 15 Leuten auf Plastikstühlen. Was kann man von ihnen über
erfolgreichen Klimaaktivismus lernen?
Ende März steht Mitzi Jonelle Tan im Weltsaal des Bundesaußenministeriums
in Berlin, man kann sich die [7][Aufzeichnung der Rede auf Youtube]
ansehen. Vor ihr hat sich die grüne Wirtschafts- und Politikelite Europas
versammelt, jährlich trifft man sich zum Berlin Energy Transition
Dialogue. Tan gehört neben Außenministerin Annalena Baerbock und dem
Präsidenten von Kenia, William Ruto, zu den Keynote-Speakern.
Tans weißes Kostümoberteil erinnert ein wenig an eine Rüstung, auf ihren
Schultern prangen die Slogans „Social Justice“ und „Climate Justice“. S…
steht vor einem schimmernden Edelstahlpult, vor ihr in der ersten Reihe
sitzt Robert Habeck neben Sultan Al Jaber, Präsident der diesjährigen
Klimakonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Vorsitzender des
zwölftgrößten Ölkonzerns der Welt.
Die Philippinen seien das Land, das in den letzten 20 Jahren die meisten
Extremwetterereignisse getroffen hat, sagt Tan. Sie fordert einen
Schuldenerlass für stark klimabetroffene Länder, als Reparation für
Jahrhunderte des Kolonialismus. Die Schulden fühlten sich an „wie ein
Autounfall, bei dem ihr in uns reingefahren seid, aber wir euch jetzt Geld
für die Reparatur unseres Autos schulden“, sagt Tan. Eine Formulierung, für
die sie auf einer Demo Zwischenapplaus bekommen hätte. Hier klatscht
niemand.
Greta Thunberg aus Schweden, Vanessa Nakate aus Uganda, Luisa Neubauer aus
Deutschland – Mitzi Jonelle Tan gehört mit zu einer Generation von
internationalen Klimaaktivist:innen, die sich über fehlende Aufmerksamkeit
von Politiker:innen und Wirtschaftsbossen nicht beklagen kann. Aber
hört man ihnen wirklich zu? Oder sind sie nur ein netter Programmpunkt im
Business as usual der Konferenzwelt?
„Einige laden mich ein, weil sie sich greenwashen wollen“, sagt Tan.
„Schaut her, wir hören dem Globalen Süden zu. Was mich daran so wütend
macht: Die Klimaaktivist:innen aus dem eigenen Land, die sie direkt
kritisieren würden, laden sie nicht ein.“ Deswegen versucht sie sich vorher
mit Menschen vor Ort zu connecten. In Berlin spricht sie über die
Milliardeninvestitionen der Bundesregierung in fossile Gasinfrastruktur.
Und manche Einladungen von Unternehmen beantworte sie einfach nicht.
Ihre Reisen erfüllen einen Zweck, sagt Tan. „Die Zentren der Macht
[8][liegen immer noch im Globalen Norden].“
10.000 Kilometer von Berlin entfernt steigt Veronica Cabe auf den
Philippinen auf einer staubigen Landstraße aus dem Bus. Es ist ein heißer
Sommertag, vor ihr liegt ein enger Weg, überschattet von Bäumen und
Bananenstauden. Cabe biegt auf einen Hof ab. Unter einem Wellblechdach auf
Bambuspfeilern warten bereits rund 15 Menschen auf sie. Das Treffen heute
ist seit Wochen geplant. Die Männer und Frauen hier sind Fischer, Bauern,
Kioskbesitzer. Einige sind arbeitslos. Rechtlich besitzt keiner von ihnen
das Land, auf dem sie seit Jahrzehnten leben.
Cabe nennt sich Community-Organizerin. Sie ist heute hier, weil sie mit
ihnen über das laute Brummen sprechen will, das seit sieben Jahren, Tag und
Nacht, die Geräuschkulisse des Dorfes bildet. Geht man an Büschen und
Bäumen vorbei rund 100 Meter hinter das Haus, bekommt das Brummen eine
Gestalt: ein riesiges Kohlekraftwerk, inklusive angrenzendem Kohledepot.
## Der Kohlestaub ist allgegenwärtig
Cabe fährt mit ihrem Finger über eine Plastikplane und zeigt den Staub, der
sich dabei sammelt. Seit Jahren klagen die Anwohner:innen über
Atemwegsbeschwerden, Hautausschläge und Ernteeinbußen durch die
Luftverschmutzung des Kraftwerks.
Ein 30-seitiger Bericht des Gesundheitsministeriums bestätigte 2019 den
allgegenwärtigen Kohlestaub und fasste die eindeutige, internationale
Studienlage zur Schädlichkeit von Kohlekraftwerken für unmittelbare
Anwohner:innen zusammen. Direkte Konsequenzen folgten daraus jedoch
keine. Überhaupt könnte man meinen, dass Cabes Engagement vor Ort bisher
wenig erreicht hat. Seit 29 Jahren ist sie aktiv, doch auf den Phillippinen
boomt die Kohle weiter. Auch an der Situation der Anwohner*innen in
Lamao hat sich, 9 Jahre nachdem sie begonnen hat mit ihnen zu arbeiten,
wenig geändert. Man könnte das Ausdauer nennen. Oder das verblendete
Festhalten an Ansätzen, die nicht funktionieren.
Was treibt Sie an, Frau Cabe?
„Wut“, sagt sie. Es gibt einen Tag, der Cabe mit mehr Wut zurückließ als
jeder andere. Am 26. September 2009 fällt in Manila innerhalb von 24
Stunden der Regen eines Monats. Bis zu sechs Meter hohe Fluten schwappen
durch die Straßen.
Veronica Cabes Familie lebt damals in einem chronisch von Überflutungen
bedrohten Stadtteil. Ihre Eltern, ihre Schwester und deren Kinder wollen
gerade zu Mittag essen, als das Wasser in ihr Haus eindringt. Sie retten
sich in den zweiten Stock, doch das Wasser steigt rasend schnell weiter.
Ihr Vater nimmt einen Hammer und schlägt ein Loch in die Holzwand des
Hauses. Durch das Loch klettert die Familie hinaus in den schweren Regen
und aufs Dach.
Cabe erfährt all das live per SMS. Sie selbst ist in einem Büro in
Sicherheit. Verzweifelt kontaktiert sie Freund:innen in NGOs, Politiker
unter ihren Kontakten. Doch kein Durchkommen. Sie kann nichts für sie tun.
Der [9][Taifun „Ondoy“ geht als einer der schwersten] in die Geschichte von
Manila ein. Der Sturm tötet knapp 700 Menschen und verwüstet 80 Prozent der
Hauptstadt. Die Zahl der besonders zerstörerischen Supertaifune hat sich
auf den Philippinen in den letzten Jahren vervielfacht. Grund dafür ist vor
allem eine erhöhte Temperatur der Meeresoberfläche.
Mitzi Jonelle Tan ist gerade mal 12 Jahre alt, als der Taifun „Ondoy“
kommt. Sie lebt in einem höher gelegenen Stadtteil, die Wassermassen fluten
bei ihr zu Hause das Erdgeschoss. In den Wochen darauf träumt Tan davon, in
ihrem eigenen Schlafzimmer zu ertrinken. Anders als Cabe ist Tan in einer
Mittelschichtfamilie aufgewachsen, ihr Vater Geschäftsmann, ihre Mutter
Hausfrau. Sie weiß, wie sie auftreten muss, damit die Entscheider im
Globalen Norden ihr zuhören. Aber auch sie will raus aus ihrer Blase, will
wie Veronica Cabe an der Seite marginalisierter Menschen kämpfen.
Ein Fischerdorf in der Stadtgemeinde Rosario, zwei Stunden südlich von
Manila. Es ist kurz vor Mitternacht, und in der Dunkelheit weicht Mitzi
Jonelle Tan trittsicher Schlammpfützen und Plastiktüten aus, um sich einen
Weg zum nächtlichen Fischmarkt zu bahnen. Hinter ihr ein Dutzend
Studierende in Flipflops mit Umhängetaschen vor der Brust. Immer wieder
schaut Tan sich nach ihnen um. Viele von ihnen kommen aus der
Mittelschicht, sie sind das erste Mal in einem solchen Umfeld.
Tan und ihre Gruppe nennen diese Besuche Immersionen – also Eintauchen. Mit
ihnen wollen sie die Kämpfe verschiedener Milieus verbinden, die der
urbanen Studierenden und die der ruralen Fischer. Tan wird heute das erste
Mal die Nacht in einem Fischerdorf verbringen.
Auf dem Markt ziehen oberkörperfreie Männer im Scheinwerferlicht mit
riesigen Metallhaken Plastikbottiche voll Fisch über den Asphalt. Ein Mann
wartet im warmen Wasser auf anlandende Fischerboote, ein anderer Mann
schläft auf der Motorhaube eines Jeeps. Auf der Kaimauer sitzen ein Dutzend
weitere und warten auf Arbeit.
Selbstbewusst stellt Tan den Fischern Fragen. In den letzten Jahren sei ihr
Fang um 80 Prozent zurückgegangen, sagt einer. Die Ursache sehen die
Fischer vor allem in riesigen Spezialschiffen, die den Meeresboden
aufgraben, um Material für Landgewinnungsprojekte entlang der Küste zu
sammeln. Dort sollen neue Casinos, Malls und ein Flughafen entstehen. Das
Wort Klimakrise erwähnt er nicht.
Während sie sprechen, umkreist ein vierköpfiges Filmteam aus den USA Mitzi
Jonelle Tan. Eine New Yorker Jungregisseurin begleitet sie diesen Sommer
für einen Dokumentarfilm.
Tans Onlineauftritt hat sich in den letzten sieben Jahren stark verändert.
Noch 2016 schrieb sie in einem Blogeintrag, ihr Traum sei es, Model zu
werden, und postete auf Instagram Werbung für Fashionlabels. Zur Highschool
ging sie in einer katholischen Mädchenschule, zu ihren Mitschülerinnen
gehörten Töchter von Familien, die ganze Provinzen zu ihrem Landbesitz
zählen. Heute sieht man Tan auf Instagram im [10][pinken Kleid für das Ende
des Imperialismus] demonstrieren.
Tan sagt, entscheidend für ihre Transformation war die Begegnung mit
indigenen Aktivist:innen. Sie hatten ein Protestcamp an ihrer Hochschule
aufgeschlagen. Einer ihrer Anführer erzählte Tan seine Geschichte: von
Vertreibung, von Schüssen während des Unterrichts, von der Drohung des
damaligen philippinischen Präsidenten Duterte, Bomben auf ihre Schulen zu
werfen.
„Ich habe damals verstanden, dass Aktivist sein für viele Menschen keine
Entscheidung ist, sondern ein Werkzeug zum Überleben“, sagt Tan heute.
Während sie selbst zögerte, bevor sie auf ihre erste Demonstration ging,
[11][blieb den indigenen Menschen keine Wahl]. „Das war der Moment, wo ich
entschieden habe, dass ich Aktivistin werde“, sagt Tan. Ihre Erfahrung als
Fashionbloggerin, auch ihre Erfahrung als Jugendleiterin in der Kirche –
all das nutzt sie heute dafür, dass ihr Aktivismus erfolgreicher wird.
## Die 3,5-Prozent-Regel für Erfolg
[12][3,5 Prozent der Bevölkerung müssen Teil einer Bewegung werden], damit
sich politisch ernsthaft etwas bewegt – auf diese Zahl beziehen sich
Protestgruppen wie etwa Extinction Rebellion. Die Zahl stammt [13][aus dem
Buch „Why Civil Resistance Works“], das internationale Proteste zwischen
1900 und 2006 untersuchte.
Die Klimabewegung ist von dieser Zahl noch weit entfernt. Die
US-amerikanische Protestforscherin Dana Fisher meint: Ohne einen externen
Schock, eine Katastrophe, die die Gefahr der Klimakrise offensichtlich
macht, werden sie nicht erreicht. Doch selbst wenn so ein Schock ein
politisches Möglichkeitsfenster öffnen sollte, bräuchte es auch die nötigen
Mobilisierungsstrukturen, um die entstehende Angst in kollektives Handeln
zu kanalisieren. Wie mobilisiert man Wut?
Im Kohleort Lamao zieht Veronica Cabe ihren Plastikstuhl zur Seite und
stellt sich in den Stuhlkreis der 15 Anwohner:innen. Es ist heiß unter dem
Wellblechdach, zwei Hunde liegen seitlings auf dem Boden. Cabe ist heute
hier, weil sie für den Besuch einer Anhörung mobilisieren will, auf die sie
seit sechs Jahren hinarbeitet. Sie könnte endlich wirklich etwas verändern
für die Menschen von Lamao.
2017 entdeckten Cabe und ihre Verbündeten eine Besonderheit in der
Finanzierung des Kohlekraftwerks. Den Kredit stellte zwar eine
philippinische Bank – doch an der hatte sich zuvor die International
Financial Corporation, kurz IFC, mit insgesamt 228 Millionen Dollar
beteiligt.
Als Tochterfirma der [14][Weltbank] wird die IFC mit öffentlichem Geld der
Staatengemeinschaft finanziert. Die Nachhaltigkeitsstrategie des IFC
verpflichtet Geldempfänger zu Prüfungen ihrer sozial-ökologischen
Wirkungen, inklusive Konsultationen von möglicherweise betroffenen
Communitys. In Lamao gab es keine solchen Gespräche.
Also reichte die Community gemeinsam mit einem breiten Bündnis 2017
Beschwerde beim IFC ein. Nun, sechs Jahre später, werden die Menschen von
Lamao zum ersten Mal direkt angehört.
Kurz bevor Cabe mit der Arbeit an der Beschwerde begann, töteten zwei
maskierte Motorradfahrer eine enge Freundin von ihr, die lautstark gegen
das Kohlekraftwerk mobilisiert hatte. Sie war Großmutter von über einem
Dutzend Enkeln.
Dass Cabe mit 50 noch Vollzeitaktivistin ist, ist ungewöhnlich. Als sie in
der Unizeit anfing, engagierten sich viele ihrer Freund:innen auch. Doch
nach und nach verabschiedeten sie sich – in besser bezahlte Jobs ins
Ausland oder nach Manila. Doch Cabe blieb. Vor sieben Jahren versuchte das
Büro einer internationalen NGO in Manila, ihr eine Stelle als Campaignerin
anzubieten. Cabe überlegte kurz, aber: „Aus einem klimatisierten Büro
heraus kann ich nicht wirklich mit den Menschen kämpfen.“ Sie lehnte ab.
Und machte weiter direkt bei den Betroffenen. „Hier frage mich nie, für wen
ich diesen Kampf eigentlich führe“, sagt sie.
## Den Erfolg von Klimabewegungen messen
Wie sollte man den Erfolg einer Klimagerechtigkeitsbewegung messen? Die
eine relevante Maßeinheit: Treibhausgase. [15][Kommt es hier zu einer
dauerhaften Reduktion]? Die zweite: [16][das Geld]. Wie viel davon zahlt
der Globale Norden an den Globalen Süden zur Begleichung seiner
ökologischen Schulden?
Mitzi Jonelle Tans Reisen sind immer auch Fundraising. Das Bewegungshaus
ihrer Organisation, die kleinen Aufwandsentschädigungen für die
Vollzeitaktivist:innen: all das finanzieren derzeit ausländische Geldgeber.
Und auch Veronica Cabes Beschwerde zu dem Kohlekraftwerk könnte Geld nach
Lamao bringen.
Es ist bereits nach Mitternacht, als die Studierenden von Mitzi Jonelle
Tans Gruppe am Fischmarkt erste Zeichen der Erschöpfung zeigen. Der
Anführer des Fischerdorfes führt durch die riesige Markthalle vorbei an
Thunfischkadavern, Sauerstoffpumpen und abgetrennten Fischköpfen. Die
Vorstellung von fließendem Wasser und klimatisierten Zimmern scheint
plötzlich sehr reizvoll. „Ich weiß, das ist unglaublich privilegiert, aber
ich bin einfach nicht gemacht für dieses Umfeld“, sagt eine Bekannte von
Tan, die sie beim Tauchunterricht kennengelernt und spontan eingeladen hat.
Für die Studierenden sind zwei Zimmer mit Holzplatten vorbereitet, auf
denen sie versuchen zu schlafen. Es ist heiß, die Luft steht, sie
schwitzen. Plötzlich brechen laute Schreie einer Frau die Stille der Nacht.
Ein Kind beginnt zu weinen. Eine wütende Männerstimme ertönt. Ratlos
schauen sich die Studierenden an. Die Schreie werden immer lauter. Am
nächsten Morgen ist die Aktivist:innengruppe um eine Person
geschrumpft. Ihre Eltern hatten sie in der Nacht abgeholt. Tan wiederholt
einen Satz immer wieder: „Es ist hart, aber das ist die Realität.“
Während sie später auf einem umgedrehten Eimer sitzt und Fische ausnimmt,
sagt sie: „Dort, wo die Unterdrückung am größten ist, ist der Widerstand am
stärksten.“
Aber stimmt das? In Tans Feststellung steckt auch ein Stück Wunschdenken,
dass Betroffene sich organisieren. Gleichzeitig sind es konkrete
Erfahrungen wie die der Fischer, die ihre Einnahmequelle verlieren, und die
der Kinder, die Kohlestaub einatmen, die die Dramatik der Lage
verbildlichen. Besonders wenn es gelingt, dass die Verursacher der
Klimakrise in Berlin und New York auch von ihnen hören.
Die Chancen, dass die Anwohner:innen des Kohlekraftwerks in Lamao durch
ihre Beschwerde gegen die Weltbanktochter entschädigt werden könnten,
stehen nicht schlecht. Veronica Cabe hat 29 Jahre lang durchgehalten, nun
könnte ein später Erfolg bevorstehen. Erkennt die Tochterfirma der Weltbank
die Verletzung der eigenen Standards an, könnte das bedeuten, dass die
Emissionen regelmäßig überprüft werden, die Menschen hier Zugang zu guter
Gesundheitsversorgung bekommen und den Fischern, die nicht mehr vor dem
Kraftwerk fischen können, alternative Arbeit angeboten wird. „Wir wollen,
dass der IFC und die Kraftwerksbetreiber Verantwortung für ihren Müll
übernehmen“, sagt Cabe.
Was ist Erfolg für Veronica Cabe, was für Mitzi Jonelle Tan?
Tan reagiert auf die Frage fast genervt. Ja, es gab eine globale Kampagne
mit Fridays for Future, mit der sie eine große Bank dazu brachte, ihre
Strategie zur Finanzierung von Kohleprojekten zu überarbeiten. Ein Treffen
mit König Charles III., mit dem sie einer wenig beachteten Öltanker-Havarie
vor den Philippinen Aufmerksamkeit verschaffen konnte. Ein Foto mit Popstar
Billie Eilish, das bei der Suche nach zwei vermissten Umweltaktivisten
half.
„Meine größten Erfolge sind andere“, sagt sie. Wenn ein streikender
Arbeiter ihr sagt, wie sie ihm Hoffnung gebe. Oder eine Followerin ihr
schreibt, wie sie ohne Tans Instagrambeiträge vielleicht ihren Aktivismus
aufgegeben hätte.
Veronica Cabe wird sagen, dass ihre stolzesten Momente die sind, wenn
andere Verantwortung übernehmen. Dann sei es Zeit für sie, weiterzuziehen,
zum nächsten Stuhlkreis, ins nächste Dorf. Weil sich neue
Anführer:innen auftun.
11 Sep 2023
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/mitzijonelle
[2] https://yacap.org/
[3] /Sieben-Tote-in-den-Philippinen/!5951493
[4] /Schwerpunkt-Fridays-For-Future/!t5571786
[5] /Letzte-Generation/!t5833405
[6] https://twitter.com/DerekCabe13
[7] https://www.google.com/url?q=https%3A%2F%2Fyoutu.be%2Fwyfde_uEbNc
[8] /Klimaaktivist-ueber-globalen-Sueden/!5892279
[9] /Tropensturm-Ondoy/!5155279
[10] https://www.instagram.com/p/CvExd73PUi1/?img_index=1
[11] /Aktivismus-in-Kolumbien/!5923314
[12] /Radikalitaet-der-Klimabewegung/!5789719
[13] http://cup.columbia.edu/book/why-civil-resistance-works/9780231156820
[14] /Weltbank/!t5012300
[15] /Aktuelle-Daten-zum-Klimawandel/!5942731
[16] /Modell-Staatsschulden-fuer-das-Klima/!5915018
## AUTOREN
Mitsuo Iwamoto
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ist das oft gut gemeint. Es spiegelt aber womöglich koloniales Wohlwollen.
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