# taz.de -- Aktiv gegen die Klimakrise: Was heißt hier erfolgreich? | |
> Gegen den Klimawandel gibt es mehr als eine Strategie. Mitzi Jonelle Tan | |
> spricht in Paris vor 20.000 Leuten, Veronica Cabe in philippinischen | |
> Dörfern vor 15. | |
LAMAO UND ROSARIO taz | Wenn Mitzi Jonelle Tan auf Welttournee gegen die | |
Klimakrise geht, sind ihre Koffer oft drei Wochen vor der Abreise gepackt. | |
Zu jeder Reise legt sie ein Tabellendokument an. „Treffen mit König Charles | |
III.“ steht dort oder „Veranstaltung in Princeton“, dazu Notizen, an | |
welchem Tag sie bei welchen Freund:innen übernachtet, mit wem sie isst | |
und wann sie welches Outfit trägt. „Erfolg braucht Vorbereitung“, sagt Tan. | |
Schließlich [1][verfolgen knapp 18.000 Menschen ihre Auftritte auf | |
Instagram]. | |
Mitzi Jonelle Tan, 25, ist eine der international sichtbarsten | |
Klimaaktivist:innen Südostasiens. Vor fünf Jahren gründete sie | |
[2][den philippinischen Arm von Fridays for Future]. Allein in den letzten | |
zwölf Monaten sprach sie mehrmals in New York, London und Berlin, forderte | |
ein Ende des Klimaimperialismus, posierte vor den Pyramiden in Ägypten, | |
besuchte Lützerath und die Weltklimakonferenz, streikte mit Greta Thunberg | |
und beriet das Natural History Museum in London zu seiner Klimastrategie. | |
Tans Heimat, die Philippinen, ist einer der vom Klimawandel am stärksten | |
bedrohten Staaten der Welt. Knapp [3][20 Taifune] treffen das Land jedes | |
Jahr, es besteht aus 7.000 Inseln, hat 36.000 Kilometer Küste. Auch | |
deswegen sind die Philippinen ein guter Ort, um der Frage nachzugehen, was | |
erfolgreichen Klimaaktivismus ausmacht. | |
Wenn Fridays for Future am 15. September wieder [4][zum globalen | |
Klimastreik] aufruft, dann ist das ein Moment, um zu konstatieren, wie | |
sehr sie in einigen Ländern in den letzten fünf Jahren die Debatte geprägt | |
haben – aber auch, wie weit sie immer noch von ihren Zielen entfernt sind. | |
Angesichts der physikalischen Realität der Klimakrise und der politischen | |
Verschleppung einer echten Transformation scheint die Bewegung hilflos. | |
Kleinere, [5][radikalere Gruppen wie in Deutschland die Letzte Generation] | |
dominieren den Diskurs und lösen Reaktionen von Kopfschütteln bis zu | |
Gewaltausbrüchen aus. Die Klimabewegung steckt in einer strategischen | |
Sackgasse. | |
## Wie wird Aktivismus wirksam? | |
Auf der ganzen Welt fragen sich Menschen, die gegen die Klimakrise | |
arbeiten: Welcher Aktivismus wirkt? Wo sollte er ansetzen, um effektiv zu | |
sein? Bei den Entscheider:innen? Bei der breiten Bevölkerung? Gibt es so | |
etwas wie die eine richtige Strategie? | |
Sucht man nach Antworten auf diese Fragen, sollte man auf den Philippinen | |
nicht nur Mitzi Jonelle Tan zuhören, sondern auch einer anderen | |
Vollzeitaktivistin, die, wenn man oberflächlich hinschaut, wie ihr | |
Gegenteil wirkt. | |
Veronica Cabe [6][folgen auf der Plattform X, wie sich Twitter heute nennt, | |
94 Menschen]. Einer ihrer letzten Posts, das verwackelte Video eines | |
Kohlekraftwerks bei Nacht, hat nach einem Monat zwei Likes. | |
Wärend Tan um die Welt reist, lebt Cabe in einem kleinen Haus voller | |
Aktivist:innen in der Provinz Bataan, vier Stunden von Manila entfernt. | |
Sie schläft in einem geteilten Schlafzimmer mit Stockbetten und Matratzen. | |
Tagsüber fährt sie in die umliegenden Arbeiter- und Fischerorte und | |
versucht, sie für den Widerstand gegen den Kohleboom in der Region zu | |
mobilisieren. Sechs Kohlenmeiler laufen derzeit in ihrer Provinz, fünf | |
weitere sind in Planung. Cabe ist 50 Jahre, seit 29 Jahren kämpft sie gegen | |
die Kohle. | |
Auch wenn Tan und Cabe auf ähnliche Ziele hinarbeiten, sind die Bühnen, die | |
sie für ihr Engagement wählen, grundverschieden. Die eine spricht vor dem | |
Eiffelturm in Paris vor 20.000 Menschen, die andere auf philippinischen | |
Dorfplätzen vor 15 Leuten auf Plastikstühlen. Was kann man von ihnen über | |
erfolgreichen Klimaaktivismus lernen? | |
Ende März steht Mitzi Jonelle Tan im Weltsaal des Bundesaußenministeriums | |
in Berlin, man kann sich die [7][Aufzeichnung der Rede auf Youtube] | |
ansehen. Vor ihr hat sich die grüne Wirtschafts- und Politikelite Europas | |
versammelt, jährlich trifft man sich zum Berlin Energy Transition | |
Dialogue. Tan gehört neben Außenministerin Annalena Baerbock und dem | |
Präsidenten von Kenia, William Ruto, zu den Keynote-Speakern. | |
Tans weißes Kostümoberteil erinnert ein wenig an eine Rüstung, auf ihren | |
Schultern prangen die Slogans „Social Justice“ und „Climate Justice“. S… | |
steht vor einem schimmernden Edelstahlpult, vor ihr in der ersten Reihe | |
sitzt Robert Habeck neben Sultan Al Jaber, Präsident der diesjährigen | |
Klimakonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Vorsitzender des | |
zwölftgrößten Ölkonzerns der Welt. | |
Die Philippinen seien das Land, das in den letzten 20 Jahren die meisten | |
Extremwetterereignisse getroffen hat, sagt Tan. Sie fordert einen | |
Schuldenerlass für stark klimabetroffene Länder, als Reparation für | |
Jahrhunderte des Kolonialismus. Die Schulden fühlten sich an „wie ein | |
Autounfall, bei dem ihr in uns reingefahren seid, aber wir euch jetzt Geld | |
für die Reparatur unseres Autos schulden“, sagt Tan. Eine Formulierung, für | |
die sie auf einer Demo Zwischenapplaus bekommen hätte. Hier klatscht | |
niemand. | |
Greta Thunberg aus Schweden, Vanessa Nakate aus Uganda, Luisa Neubauer aus | |
Deutschland – Mitzi Jonelle Tan gehört mit zu einer Generation von | |
internationalen Klimaaktivist:innen, die sich über fehlende Aufmerksamkeit | |
von Politiker:innen und Wirtschaftsbossen nicht beklagen kann. Aber | |
hört man ihnen wirklich zu? Oder sind sie nur ein netter Programmpunkt im | |
Business as usual der Konferenzwelt? | |
„Einige laden mich ein, weil sie sich greenwashen wollen“, sagt Tan. | |
„Schaut her, wir hören dem Globalen Süden zu. Was mich daran so wütend | |
macht: Die Klimaaktivist:innen aus dem eigenen Land, die sie direkt | |
kritisieren würden, laden sie nicht ein.“ Deswegen versucht sie sich vorher | |
mit Menschen vor Ort zu connecten. In Berlin spricht sie über die | |
Milliardeninvestitionen der Bundesregierung in fossile Gasinfrastruktur. | |
Und manche Einladungen von Unternehmen beantworte sie einfach nicht. | |
Ihre Reisen erfüllen einen Zweck, sagt Tan. „Die Zentren der Macht | |
[8][liegen immer noch im Globalen Norden].“ | |
10.000 Kilometer von Berlin entfernt steigt Veronica Cabe auf den | |
Philippinen auf einer staubigen Landstraße aus dem Bus. Es ist ein heißer | |
Sommertag, vor ihr liegt ein enger Weg, überschattet von Bäumen und | |
Bananenstauden. Cabe biegt auf einen Hof ab. Unter einem Wellblechdach auf | |
Bambuspfeilern warten bereits rund 15 Menschen auf sie. Das Treffen heute | |
ist seit Wochen geplant. Die Männer und Frauen hier sind Fischer, Bauern, | |
Kioskbesitzer. Einige sind arbeitslos. Rechtlich besitzt keiner von ihnen | |
das Land, auf dem sie seit Jahrzehnten leben. | |
Cabe nennt sich Community-Organizerin. Sie ist heute hier, weil sie mit | |
ihnen über das laute Brummen sprechen will, das seit sieben Jahren, Tag und | |
Nacht, die Geräuschkulisse des Dorfes bildet. Geht man an Büschen und | |
Bäumen vorbei rund 100 Meter hinter das Haus, bekommt das Brummen eine | |
Gestalt: ein riesiges Kohlekraftwerk, inklusive angrenzendem Kohledepot. | |
## Der Kohlestaub ist allgegenwärtig | |
Cabe fährt mit ihrem Finger über eine Plastikplane und zeigt den Staub, der | |
sich dabei sammelt. Seit Jahren klagen die Anwohner:innen über | |
Atemwegsbeschwerden, Hautausschläge und Ernteeinbußen durch die | |
Luftverschmutzung des Kraftwerks. | |
Ein 30-seitiger Bericht des Gesundheitsministeriums bestätigte 2019 den | |
allgegenwärtigen Kohlestaub und fasste die eindeutige, internationale | |
Studienlage zur Schädlichkeit von Kohlekraftwerken für unmittelbare | |
Anwohner:innen zusammen. Direkte Konsequenzen folgten daraus jedoch | |
keine. Überhaupt könnte man meinen, dass Cabes Engagement vor Ort bisher | |
wenig erreicht hat. Seit 29 Jahren ist sie aktiv, doch auf den Phillippinen | |
boomt die Kohle weiter. Auch an der Situation der Anwohner*innen in | |
Lamao hat sich, 9 Jahre nachdem sie begonnen hat mit ihnen zu arbeiten, | |
wenig geändert. Man könnte das Ausdauer nennen. Oder das verblendete | |
Festhalten an Ansätzen, die nicht funktionieren. | |
Was treibt Sie an, Frau Cabe? | |
„Wut“, sagt sie. Es gibt einen Tag, der Cabe mit mehr Wut zurückließ als | |
jeder andere. Am 26. September 2009 fällt in Manila innerhalb von 24 | |
Stunden der Regen eines Monats. Bis zu sechs Meter hohe Fluten schwappen | |
durch die Straßen. | |
Veronica Cabes Familie lebt damals in einem chronisch von Überflutungen | |
bedrohten Stadtteil. Ihre Eltern, ihre Schwester und deren Kinder wollen | |
gerade zu Mittag essen, als das Wasser in ihr Haus eindringt. Sie retten | |
sich in den zweiten Stock, doch das Wasser steigt rasend schnell weiter. | |
Ihr Vater nimmt einen Hammer und schlägt ein Loch in die Holzwand des | |
Hauses. Durch das Loch klettert die Familie hinaus in den schweren Regen | |
und aufs Dach. | |
Cabe erfährt all das live per SMS. Sie selbst ist in einem Büro in | |
Sicherheit. Verzweifelt kontaktiert sie Freund:innen in NGOs, Politiker | |
unter ihren Kontakten. Doch kein Durchkommen. Sie kann nichts für sie tun. | |
Der [9][Taifun „Ondoy“ geht als einer der schwersten] in die Geschichte von | |
Manila ein. Der Sturm tötet knapp 700 Menschen und verwüstet 80 Prozent der | |
Hauptstadt. Die Zahl der besonders zerstörerischen Supertaifune hat sich | |
auf den Philippinen in den letzten Jahren vervielfacht. Grund dafür ist vor | |
allem eine erhöhte Temperatur der Meeresoberfläche. | |
Mitzi Jonelle Tan ist gerade mal 12 Jahre alt, als der Taifun „Ondoy“ | |
kommt. Sie lebt in einem höher gelegenen Stadtteil, die Wassermassen fluten | |
bei ihr zu Hause das Erdgeschoss. In den Wochen darauf träumt Tan davon, in | |
ihrem eigenen Schlafzimmer zu ertrinken. Anders als Cabe ist Tan in einer | |
Mittelschichtfamilie aufgewachsen, ihr Vater Geschäftsmann, ihre Mutter | |
Hausfrau. Sie weiß, wie sie auftreten muss, damit die Entscheider im | |
Globalen Norden ihr zuhören. Aber auch sie will raus aus ihrer Blase, will | |
wie Veronica Cabe an der Seite marginalisierter Menschen kämpfen. | |
Ein Fischerdorf in der Stadtgemeinde Rosario, zwei Stunden südlich von | |
Manila. Es ist kurz vor Mitternacht, und in der Dunkelheit weicht Mitzi | |
Jonelle Tan trittsicher Schlammpfützen und Plastiktüten aus, um sich einen | |
Weg zum nächtlichen Fischmarkt zu bahnen. Hinter ihr ein Dutzend | |
Studierende in Flipflops mit Umhängetaschen vor der Brust. Immer wieder | |
schaut Tan sich nach ihnen um. Viele von ihnen kommen aus der | |
Mittelschicht, sie sind das erste Mal in einem solchen Umfeld. | |
Tan und ihre Gruppe nennen diese Besuche Immersionen – also Eintauchen. Mit | |
ihnen wollen sie die Kämpfe verschiedener Milieus verbinden, die der | |
urbanen Studierenden und die der ruralen Fischer. Tan wird heute das erste | |
Mal die Nacht in einem Fischerdorf verbringen. | |
Auf dem Markt ziehen oberkörperfreie Männer im Scheinwerferlicht mit | |
riesigen Metallhaken Plastikbottiche voll Fisch über den Asphalt. Ein Mann | |
wartet im warmen Wasser auf anlandende Fischerboote, ein anderer Mann | |
schläft auf der Motorhaube eines Jeeps. Auf der Kaimauer sitzen ein Dutzend | |
weitere und warten auf Arbeit. | |
Selbstbewusst stellt Tan den Fischern Fragen. In den letzten Jahren sei ihr | |
Fang um 80 Prozent zurückgegangen, sagt einer. Die Ursache sehen die | |
Fischer vor allem in riesigen Spezialschiffen, die den Meeresboden | |
aufgraben, um Material für Landgewinnungsprojekte entlang der Küste zu | |
sammeln. Dort sollen neue Casinos, Malls und ein Flughafen entstehen. Das | |
Wort Klimakrise erwähnt er nicht. | |
Während sie sprechen, umkreist ein vierköpfiges Filmteam aus den USA Mitzi | |
Jonelle Tan. Eine New Yorker Jungregisseurin begleitet sie diesen Sommer | |
für einen Dokumentarfilm. | |
Tans Onlineauftritt hat sich in den letzten sieben Jahren stark verändert. | |
Noch 2016 schrieb sie in einem Blogeintrag, ihr Traum sei es, Model zu | |
werden, und postete auf Instagram Werbung für Fashionlabels. Zur Highschool | |
ging sie in einer katholischen Mädchenschule, zu ihren Mitschülerinnen | |
gehörten Töchter von Familien, die ganze Provinzen zu ihrem Landbesitz | |
zählen. Heute sieht man Tan auf Instagram im [10][pinken Kleid für das Ende | |
des Imperialismus] demonstrieren. | |
Tan sagt, entscheidend für ihre Transformation war die Begegnung mit | |
indigenen Aktivist:innen. Sie hatten ein Protestcamp an ihrer Hochschule | |
aufgeschlagen. Einer ihrer Anführer erzählte Tan seine Geschichte: von | |
Vertreibung, von Schüssen während des Unterrichts, von der Drohung des | |
damaligen philippinischen Präsidenten Duterte, Bomben auf ihre Schulen zu | |
werfen. | |
„Ich habe damals verstanden, dass Aktivist sein für viele Menschen keine | |
Entscheidung ist, sondern ein Werkzeug zum Überleben“, sagt Tan heute. | |
Während sie selbst zögerte, bevor sie auf ihre erste Demonstration ging, | |
[11][blieb den indigenen Menschen keine Wahl]. „Das war der Moment, wo ich | |
entschieden habe, dass ich Aktivistin werde“, sagt Tan. Ihre Erfahrung als | |
Fashionbloggerin, auch ihre Erfahrung als Jugendleiterin in der Kirche – | |
all das nutzt sie heute dafür, dass ihr Aktivismus erfolgreicher wird. | |
## Die 3,5-Prozent-Regel für Erfolg | |
[12][3,5 Prozent der Bevölkerung müssen Teil einer Bewegung werden], damit | |
sich politisch ernsthaft etwas bewegt – auf diese Zahl beziehen sich | |
Protestgruppen wie etwa Extinction Rebellion. Die Zahl stammt [13][aus dem | |
Buch „Why Civil Resistance Works“], das internationale Proteste zwischen | |
1900 und 2006 untersuchte. | |
Die Klimabewegung ist von dieser Zahl noch weit entfernt. Die | |
US-amerikanische Protestforscherin Dana Fisher meint: Ohne einen externen | |
Schock, eine Katastrophe, die die Gefahr der Klimakrise offensichtlich | |
macht, werden sie nicht erreicht. Doch selbst wenn so ein Schock ein | |
politisches Möglichkeitsfenster öffnen sollte, bräuchte es auch die nötigen | |
Mobilisierungsstrukturen, um die entstehende Angst in kollektives Handeln | |
zu kanalisieren. Wie mobilisiert man Wut? | |
Im Kohleort Lamao zieht Veronica Cabe ihren Plastikstuhl zur Seite und | |
stellt sich in den Stuhlkreis der 15 Anwohner:innen. Es ist heiß unter dem | |
Wellblechdach, zwei Hunde liegen seitlings auf dem Boden. Cabe ist heute | |
hier, weil sie für den Besuch einer Anhörung mobilisieren will, auf die sie | |
seit sechs Jahren hinarbeitet. Sie könnte endlich wirklich etwas verändern | |
für die Menschen von Lamao. | |
2017 entdeckten Cabe und ihre Verbündeten eine Besonderheit in der | |
Finanzierung des Kohlekraftwerks. Den Kredit stellte zwar eine | |
philippinische Bank – doch an der hatte sich zuvor die International | |
Financial Corporation, kurz IFC, mit insgesamt 228 Millionen Dollar | |
beteiligt. | |
Als Tochterfirma der [14][Weltbank] wird die IFC mit öffentlichem Geld der | |
Staatengemeinschaft finanziert. Die Nachhaltigkeitsstrategie des IFC | |
verpflichtet Geldempfänger zu Prüfungen ihrer sozial-ökologischen | |
Wirkungen, inklusive Konsultationen von möglicherweise betroffenen | |
Communitys. In Lamao gab es keine solchen Gespräche. | |
Also reichte die Community gemeinsam mit einem breiten Bündnis 2017 | |
Beschwerde beim IFC ein. Nun, sechs Jahre später, werden die Menschen von | |
Lamao zum ersten Mal direkt angehört. | |
Kurz bevor Cabe mit der Arbeit an der Beschwerde begann, töteten zwei | |
maskierte Motorradfahrer eine enge Freundin von ihr, die lautstark gegen | |
das Kohlekraftwerk mobilisiert hatte. Sie war Großmutter von über einem | |
Dutzend Enkeln. | |
Dass Cabe mit 50 noch Vollzeitaktivistin ist, ist ungewöhnlich. Als sie in | |
der Unizeit anfing, engagierten sich viele ihrer Freund:innen auch. Doch | |
nach und nach verabschiedeten sie sich – in besser bezahlte Jobs ins | |
Ausland oder nach Manila. Doch Cabe blieb. Vor sieben Jahren versuchte das | |
Büro einer internationalen NGO in Manila, ihr eine Stelle als Campaignerin | |
anzubieten. Cabe überlegte kurz, aber: „Aus einem klimatisierten Büro | |
heraus kann ich nicht wirklich mit den Menschen kämpfen.“ Sie lehnte ab. | |
Und machte weiter direkt bei den Betroffenen. „Hier frage mich nie, für wen | |
ich diesen Kampf eigentlich führe“, sagt sie. | |
## Den Erfolg von Klimabewegungen messen | |
Wie sollte man den Erfolg einer Klimagerechtigkeitsbewegung messen? Die | |
eine relevante Maßeinheit: Treibhausgase. [15][Kommt es hier zu einer | |
dauerhaften Reduktion]? Die zweite: [16][das Geld]. Wie viel davon zahlt | |
der Globale Norden an den Globalen Süden zur Begleichung seiner | |
ökologischen Schulden? | |
Mitzi Jonelle Tans Reisen sind immer auch Fundraising. Das Bewegungshaus | |
ihrer Organisation, die kleinen Aufwandsentschädigungen für die | |
Vollzeitaktivist:innen: all das finanzieren derzeit ausländische Geldgeber. | |
Und auch Veronica Cabes Beschwerde zu dem Kohlekraftwerk könnte Geld nach | |
Lamao bringen. | |
Es ist bereits nach Mitternacht, als die Studierenden von Mitzi Jonelle | |
Tans Gruppe am Fischmarkt erste Zeichen der Erschöpfung zeigen. Der | |
Anführer des Fischerdorfes führt durch die riesige Markthalle vorbei an | |
Thunfischkadavern, Sauerstoffpumpen und abgetrennten Fischköpfen. Die | |
Vorstellung von fließendem Wasser und klimatisierten Zimmern scheint | |
plötzlich sehr reizvoll. „Ich weiß, das ist unglaublich privilegiert, aber | |
ich bin einfach nicht gemacht für dieses Umfeld“, sagt eine Bekannte von | |
Tan, die sie beim Tauchunterricht kennengelernt und spontan eingeladen hat. | |
Für die Studierenden sind zwei Zimmer mit Holzplatten vorbereitet, auf | |
denen sie versuchen zu schlafen. Es ist heiß, die Luft steht, sie | |
schwitzen. Plötzlich brechen laute Schreie einer Frau die Stille der Nacht. | |
Ein Kind beginnt zu weinen. Eine wütende Männerstimme ertönt. Ratlos | |
schauen sich die Studierenden an. Die Schreie werden immer lauter. Am | |
nächsten Morgen ist die Aktivist:innengruppe um eine Person | |
geschrumpft. Ihre Eltern hatten sie in der Nacht abgeholt. Tan wiederholt | |
einen Satz immer wieder: „Es ist hart, aber das ist die Realität.“ | |
Während sie später auf einem umgedrehten Eimer sitzt und Fische ausnimmt, | |
sagt sie: „Dort, wo die Unterdrückung am größten ist, ist der Widerstand am | |
stärksten.“ | |
Aber stimmt das? In Tans Feststellung steckt auch ein Stück Wunschdenken, | |
dass Betroffene sich organisieren. Gleichzeitig sind es konkrete | |
Erfahrungen wie die der Fischer, die ihre Einnahmequelle verlieren, und die | |
der Kinder, die Kohlestaub einatmen, die die Dramatik der Lage | |
verbildlichen. Besonders wenn es gelingt, dass die Verursacher der | |
Klimakrise in Berlin und New York auch von ihnen hören. | |
Die Chancen, dass die Anwohner:innen des Kohlekraftwerks in Lamao durch | |
ihre Beschwerde gegen die Weltbanktochter entschädigt werden könnten, | |
stehen nicht schlecht. Veronica Cabe hat 29 Jahre lang durchgehalten, nun | |
könnte ein später Erfolg bevorstehen. Erkennt die Tochterfirma der Weltbank | |
die Verletzung der eigenen Standards an, könnte das bedeuten, dass die | |
Emissionen regelmäßig überprüft werden, die Menschen hier Zugang zu guter | |
Gesundheitsversorgung bekommen und den Fischern, die nicht mehr vor dem | |
Kraftwerk fischen können, alternative Arbeit angeboten wird. „Wir wollen, | |
dass der IFC und die Kraftwerksbetreiber Verantwortung für ihren Müll | |
übernehmen“, sagt Cabe. | |
Was ist Erfolg für Veronica Cabe, was für Mitzi Jonelle Tan? | |
Tan reagiert auf die Frage fast genervt. Ja, es gab eine globale Kampagne | |
mit Fridays for Future, mit der sie eine große Bank dazu brachte, ihre | |
Strategie zur Finanzierung von Kohleprojekten zu überarbeiten. Ein Treffen | |
mit König Charles III., mit dem sie einer wenig beachteten Öltanker-Havarie | |
vor den Philippinen Aufmerksamkeit verschaffen konnte. Ein Foto mit Popstar | |
Billie Eilish, das bei der Suche nach zwei vermissten Umweltaktivisten | |
half. | |
„Meine größten Erfolge sind andere“, sagt sie. Wenn ein streikender | |
Arbeiter ihr sagt, wie sie ihm Hoffnung gebe. Oder eine Followerin ihr | |
schreibt, wie sie ohne Tans Instagrambeiträge vielleicht ihren Aktivismus | |
aufgegeben hätte. | |
Veronica Cabe wird sagen, dass ihre stolzesten Momente die sind, wenn | |
andere Verantwortung übernehmen. Dann sei es Zeit für sie, weiterzuziehen, | |
zum nächsten Stuhlkreis, ins nächste Dorf. Weil sich neue | |
Anführer:innen auftun. | |
11 Sep 2023 | |
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