# taz.de -- Buch über israelische Gesellschaft: Zusammenleben ohne Hass | |
> Es gibt sie, die jüdisch-arabische Kooperation in Israel. Igal Avidan hat | |
> mit unterschiedlichen Menschen gesprochen, die der Gewalt entgegentreten. | |
Bild: Israelisch-arabisches Paar am Strand von Akko | |
Uri Jeremias hätte allen Grund, wütend zu sein. Sie haben sein Hotel | |
zerstört. Sein Restaurant ging in Flammen auf. Seine Existenz war bedroht. | |
Aber Jeremias, genannt Uri Buri und einer der bekanntesten Köche Israels, | |
bleibt sanftmütig wie ein Lamm. | |
Sachlich berichtet er, dass die Polizei unterbesetzt gewesen sei in jener | |
Nacht zum 11. Mai 2021, als der Krawall begann. Dass Kriminelle die Lage | |
genutzt hätten und Brandsätze geworfen und geplündert hätten. Und dass er, | |
Uri Buri, selbstverständlich weitermachen werde und alles wieder aufbaut. | |
Uri Jeremias lebt in Akko, einer gemischt jüdisch und arabisch besiedelten | |
Stadt im Norden Israels. [1][Die Bilder seines zerstörten Restaurants | |
gingen vor gut zwei Jahren um die Welt.] Es waren Tage der Aufruhr: Meist | |
junge jüdische und arabische Israelis griffen einander an, warfen Steine, | |
zündeten Autos und Häuser an, demolierten Wohnungen, plünderten und töteten | |
– und das nicht irgendwo in den besetzten Gebieten, sondern mitten in | |
Israel. | |
Warum ist das geschehen? So lautet eine Ausgangsfrage von [2][Igal Avidan] | |
in seinen Reportagen aus den Städten, die damals im Zentrum der Gewalt | |
lagen. Und, so die zweite Frage, gibt es Menschen, die sich dieser Gewalt | |
und dem Hass entgegenstellen? | |
## Hoffnung machen | |
Avidan begibt sich auf eine Art Städtetrip. Seine Reise führt ihn nicht nur | |
zu touristischen Highlights wie der Altstadt von Akko. Es geht auch | |
dorthin, wohin sich kein Urlauber verirrt, in heruntergekommene Viertel in | |
Lod oder Ramle etwa. Avidan trifft dort auf Gesprächspartner, die Hoffnung | |
machen, Menschen wie Jeremias, die an ein friedliches Zusammenleben | |
glauben, an Kooperation und Gemeinsamkeit aller Israelis. | |
Gemeinsamkeit beginnt mit Identität und Geschichte. Ein zentrales Element | |
jüdisch-israelischer Identität ist die Erinnerung an den Holocaust. Für | |
viele muslimische und arabische Israelis spielt der deutsche Massenmord | |
dagegen kaum eine Rolle. „Wir lernten die Antworten auf die möglichen | |
Fragen auswendig, mehr nicht“, sagt Noha Khatib rückblickend über den | |
Unterricht an ihrer Schule. | |
Doch heute arbeitet die muslimische Araberin am Haus der Ghettokämpfer im | |
Norden Israels. Hier, am Zentrum für humanistische Bildung, bringt sie | |
arabischen Jugendlichen den Holocaust näher. „Jeder bringt seinen Schmerz | |
in die Diskussionsrunde, auch die Nakba“, die Katastrophe der Vertreibung | |
arabischer Menschen in Israel 1948. Man könne den Vergleich nicht | |
verbieten, sagt Noha Khatib. | |
Wer die Angreifer und Plünderer damals vor zwei Jahren in israelischen | |
Städten waren, kann auch Avidan nicht aufklären. Nationalreligiöse jüdische | |
Jugendliche und junge Erwachsene waren darunter, arabische junge Männer | |
ohne Perspektiven, wohl auch Kriminelle, Hasserfüllte. Dieses Buch bemüht | |
sich vielmehr, diejenigen Menschen auf beiden Seiten zu Wort kommen zu | |
lassen, die der Gewalt die Stirn bieten. | |
## Grenzen der Kooperation | |
Da ist Avichai Tabak, ein jüdischer Israeli, der in Lod eine | |
Internetzeitung betreibt. Lod, das ist die Stadt, in der 2021 unter anderem | |
Synagogen in Flammen aufgingen und zwei Menschen auf der Straße starben, | |
ein Jude und ein Araber. Die Gewalt schockierte Tabak, der „unser gutes | |
Zusammenleben in Flammen aufgehen“ sah. „Wir müssen einen Weg finden, | |
zusammenzuleben“, sagt er. | |
Hanadi Basel leitet im jüdisch-arabischen Kulturzentrum von Lod mit dem | |
Namen „Chicago“ die arabische Abteilung. Sie beklagt, dass jede Gruppe ihre | |
eigenen Veranstaltungen durchführt. Ein Chanukka-Leuchter neben einem | |
Weihnachtsbaum? „Es wäre die Erfüllung eines Traums“, sagt Basel. Noam | |
Dreyfus leitet die jüdische Abteilung. Aufklärung und Frieden sind Dreyfus | |
wichtig, aber zu viele Gemeinsamkeiten lehnt er ab, „wegen der | |
Assimilation“. Das sind sie, die Grenzen der Kooperation. | |
Igal Avidan hat ein Buch geschrieben, das Mut machen kann. Mut, dass der | |
schier endlose Konflikt zwischen Arabern und Juden in Israel doch friedlich | |
zu lösen wäre, wenn Menschen wie Hanadi Basel, Avichai Tabak, Noha Khatib | |
und Uri Jeremias sich durchsetzten würden. | |
3 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Eskalation-der-Gewalt-in-Israel/!5766401 | |
[2] /Widerstand-gegen-Nationalsozialismus/!5499576 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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