# taz.de -- Compilation Düsseldorf Tape-Underground: Stampfmaschine statt Auto… | |
> Das Label „Klar!80“ entstand im Düsseldorf der frühen 1980er in einem | |
> Laden, der ausschließlich Tapes verkaufte. Die Musik ist nun wieder | |
> zugänglich. | |
Bild: Cassettentäter: Das Duo Strafe für Rebellion, Anfang der 1980er | |
Um 1980 schien klar, das zukunftsweisende Medium des kreativen Undergrounds | |
ist die Kassette. Veröffentlichungen eigener Töne waren auf Tape in kleinen | |
Auflagen problemlos und kostengünstig daheim zu produzieren, und man konnte | |
sie unterwegs anhören, eroberte doch just der Walkman die Welt. | |
Der als Manager der Sex Pistols bekannt gewordene britische Popvisionär | |
Malcolm McLaren realisierte 1980 mit seinen damaligen Hoffnungsträgern, der | |
Band Bowwowwow die erste, allein im Magnetbandformat erhältliche Single. | |
Und in Düsseldorf eröffnete Rainer Rabowski im Stadtteil Bilk, wo | |
studentische auf Arbeiterkultur traf, einen Laden, in dem ausschließlich | |
Kassetten verkauft wurden. Legendär im Sortiment wurde dabei sein Label | |
KLAR! 80. Bis 1982 erschienen zwei Hände Tapes und eine Box mit drei | |
Vinylmaxisingles, diese ist inzwischen sehr gesucht. Die Tapes? – Träumen | |
Sie weiter. Dabei gäbe es auf ihnen so Tolles zu hören! | |
Bewegt von der Energie des Punks, verpackt in eine an Mail Art erinnernde | |
Ästhetik, erklangen experimentelle Skizzen und mutige Entwürfe neuer Musik. | |
13 Songs sind nun auf der Compilation „KLAR!80 – Ein Kassettenlabel aus | |
Düsseldorf 1980-1982“ wieder zugänglich gemacht worden. Da ist das | |
bedrohlich auf und abschwellende, nasale Dröhnen im Stück „Ralf & Ernie“ | |
des gleichnamigen Projekts, eine Anspielung auf das Album „Ralf & Florian“ | |
von Kraftwerk. | |
## Energie des Punks | |
Es evoziert schicksalhafte Bilder grauer Nachkriegstristesse. Vieles bei | |
„KLAR!80“ war Kampf mit und Befreiung von lähmender, kleinbürgerlicher | |
Idylle, von samstäglicher penibler Autowäsche, skeptischem Lugen hinter | |
Gardinen, aber auch vom Konservatismus langhaariger Rockprofis, die einen | |
nicht in ihrer Band haben wollten. | |
Die in jenen Tagen ebenfalls rasant voranschreitende Evolution des | |
Synthesizers (Mehr Möglichkeiten für weniger Geld!) spielte den | |
Heimaufnehmenden in die Hände und gestaltete völlig neue Klänge. Und doch | |
vernimmt man in vielen Stücken ein eigentümliches Schweben zwischen analog | |
und digital, Band und Projekt. Die künstlerischen Konstellationen hielten | |
meist nicht lang. | |
## Taktlose Klapperschlange | |
Eine Ausnahme waren Blässe, eine Band, in welcher auch der im Mai | |
verstorbene [1][österreichische Künstler und Autor Xao Seffecheque] | |
spielte. Er poltert pointiert den intensiven Beat, doch tanzt die „Taktlose | |
Klapperschlange“ dann zu Eva-Maria Gößlings Saxofon und der klirrenden | |
Gitarre im damals aktuellen New Yorker Stil. Auf der Höhe der Zeit im | |
Übungsraumsound. | |
Wo ich mich früher fragte, was daraus hätte werden können, erscheint nun | |
rückblickend alles als Symbiose von Ausdruck und Form, viel mehr komplettes | |
Kunstwerk, denn nur Dokument der Geschwindigkeit seiner Zeit. Zwischendrin | |
gelingt den, [2][aus dem Düsseldorfer Punk-NukleusCharley’s Girls] | |
hervorgegangenen Europa mit „Dein Zauber“ ein in Strenge schwelgender | |
Popsong. Ja, doch: Was hätte werden können? | |
Roter Stern Belgrad, das Projekt von Labelchef Rainer Rabowski, nahm | |
vielfach die elektronische Tanzmusik der kommenden Jahrzehnte vorweg, in | |
seinen ganz eigen klingenden Visionen. „Blas Dein Knie ein“ ist | |
mechanischer Gabber-Techno mit dem Charme einer Stampfmaschine. | |
## Die Zukunft, die nie kam | |
Bereits 2018 wurden auf der ebenfalls sehr empfehlenswerten Maxisingle | |
„Massa EP“ Tracks von Roter Stern Belgrad wiederveröffentlicht. Im | |
Raumklang improvisierter Studios entstand hier eine nun völlig autark | |
tönende akustische Welt einfallsreicher Nachvorneprescher. Und doch wirkten | |
sie bald schon so befremdlich, wie ihr Medium. | |
Der mit der Berlin-Düsseldorfer Band To Roccoco Rot und vielen Projekten | |
bekannt gewordene [3][Düsseldorfer Musiker Stefan Schneider] hat in eher | |
archäologischer, als den archivarischer Akkuratesse die Stücke | |
zusammengetragen, denn nicht mal Rabowski hatte noch alles Material seines | |
Labels auf Band verfügbar. Was waren das für Zeiten, in denen man mit | |
derart kreativer Energie so sorglos umgehen konnte? Nun hört man die | |
Zukunft, die nie kam. | |
26 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Oliver Tepel | |
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