# taz.de -- 60 Jahre Kompaktkassette: Duftender Bandsalat | |
> Die Kassette feiert Geburtstag. Zeit, sich an die eigenen Mixtapes zu | |
> erinnern – und an die Enttäuschung, wenn sie auf Partys nicht ankamen. | |
Bild: Man würde es nicht vermuten, aber sie riecht ganz fantastisch: eine fris… | |
Der Geruch, der verströmte, wenn man mit dem roten Plastikbändchen das | |
Cellophan um eine neue [1][Kassette] öffnete, war ganz typisch. Leicht | |
süßlich und mit Plastik-Note, doch ohne Kopfschmerzen verursachende | |
Schärfe. Neu und irgendwie magnetisch anziehend. Der Geruch bedeutete | |
Verheißung, ich sog ihn tief ein: Denn mein jugendliches Ich konnte nun | |
endlich wieder volle 60, 90, später auch 120 Minuten Musik nach eigenen | |
Wünschen zusammenstellen. | |
Ich bediente mich an Reggae-Acts wie Althea & Donna oder Musical Youth, den | |
Achtziger-Ikonen von [2][Madonna] bis Prince oder Interpreten der | |
aufbrandenden Neuen Deutschen Welle. Das Ergebnis war meist für mich selbst | |
oder einen Menschen, dem ich besondere Zuneigung entgegenbringen wollte. | |
Manchmal auch zusammengestellt als Soundtrack für die nächste Party in der | |
Schule oder bei einem Freund im Keller. | |
Wie stolz ich war, wenn eine von mir kuratierte Compilation auf Feiern wie | |
diesen eine ganze Seite lang durchlief, wie enttäuscht, wenn sie schon nach | |
zwei Liedern wieder durch eine Kassette von jemand anderem ersetzt wurde. | |
So viel Zeit und Arbeit steckten in einer Aufnahme. | |
Damit sich das aufgerollte schmale Tonband beim Transport nicht lockerte, | |
waren im Boden der Hülle kleine Kunststoffsporne befestigt. Ein lockeres | |
Tonband äußerte sich durch leiernde Melodien, einer Art Hilferuf der | |
Kassette. Denn ihr drohte ein Bandsalat, und damit schlimmstenfalls der | |
Tod. | |
## Das Kreuz schmerzte, die Ohren schwitzten | |
Das Band ließ sich mit dem kleinen Finger oder einem Bleistift | |
straffziehen. Eine routinierte Handbewegung, mit der ich vor Beginn einer | |
Aufnahme sicherging, bloß kein bisschen des kostbaren Magnetbands zu | |
verschwenden. Dabei orientierte ich mich an einem winzigen | |
Schaumstoffklötzchen, das den Kontakt von Band und Tonkopf herstellte. | |
Ordentlich gestrafft steckte ich die Kassette in den Rekorder und begann | |
mit der Operation: Um Knackgeräusche zu umgehen, drückte ich zunächst die | |
Pausetaste, senkte dann den Tonarm des Plattenspielers an den Beginn des | |
Liedes ab, bis er hörbar aufsetzte, um im richtigen Moment die Pausetaste | |
ganz vorsichtig wieder loslassen. Wenn das Stück zu Ende war, drückte ich | |
sie ähnlich behutsam wie am Anfang – Erschütterungen waren hörbar und daher | |
zu vermeiden. | |
Viele Stunden saß ich so mit rundem Rücken auf dem Teppich in meinem Zimmer | |
und trug dabei meine mit gelbem Schaumstoff bespannten Hi-Fi-Kopfhörer. Das | |
Kreuz schmerzte, die Ohren schwitzten. Aber das Ergebnis war’s wert. | |
Mich selbst nahm ich nie auf, der ungewohnte Klang meiner Stimme war mir | |
unerhört peinlich. Ganz stolz hingegen machten mich die Mixtapes: In | |
Verbindung mit meinem Walkman war die Kompaktkassette das Spotify meiner | |
Jugend. In dieser Woche wurde sie 60 Jahre alt. Und [3][Spotify] riecht | |
nach nichts. | |
1 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Robert Philips | |
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