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# taz.de -- Rückgaben von NS-Raubkunst: Restitution soll leichter werden
> Deutsche Museen sollen nicht länger Rückerstattungen von NS-Raubkunst
> blockieren können. Das verlangt die zuständige Kommission.
Bild: Wassily Kandinskys Gemälde „Das bunte Leben“ soll den Erben zurückg…
Berlin taz | Die ursprünglichen Besitzer und ihre Nachfahren von
Nazi-Raubkunst sollen künftig leichter zu ihrem Recht kommen. Die vor 20
Jahren eingerichtete [1][Ständige Kommission NS-Raubgut] empfiehlt in einem
aktuellen Memorandum „strukturelle Mängel“ für die Bearbeitung von
Raubkunstfällen zu beheben.
Zugleich zeigt sich die Ampelregierung zu Reformen bereit. Aus Kreisen des
Staatsministeriums für Kultur und Medien war zu erfahren, dass sich
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) am Rande der
[2][Regierungsklausur in Meseberg] mit Finanzminister Christian Lindner
(FDP) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) auf Kernpunkte für eine
veränderte Verjährungsregelung, einen Herausgabeanspruch und einen
einheitlichen Gerichtsstand verständigt hat.
In einem am Montag veröffentlichten gemeinsamen Positionspapier von Bund,
Ländern und kommunalen Spitzenverbänden heißt es zudem, das 20-jährige
Bestehen der Beratenden Kommission gebe Anlass, „Ausgestaltung,
Organisation und Verfahren der Beratenden Kommission daraufhin zu prüfen“,
ob sie den internationalen Prinzipien in dieser Frage entsprechen. Die
Rahmenbedingungen sowohl für Provenienzforschung als auch die
[3][Restitutionspraxis] sollten weiter verbessert werden.
Die Ständige Kommission wurde gegründet, um bei Streitfällen zu Objekten,
die sich im öffentlichen Besitz befinden, mit den Nachfahren von während
der NS-Zeit Verfolgten eine Lösung herbeizuführen. Als „Haupthemmnis“ für
eine erfolgreiche Arbeit bezeichnen Kommissionspräsident Hans-Jürgen Papier
und sämtliche weitere Mitglieder in dem am Montag veröffentlichen
Memorandum die Tatsache, dass ein solches Verfahren nur im Konsens möglich
ist. Nicht nur die Nachfahren der Verfolgten, sondern auch die Museen
müssen einer Anrufung der Kommission zustimmen, bevor diese tätig werden
kann.
## Washingtoner Abkommen wird nicht gefolgt
Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier und seine
Kollegen beklagen, dass dieses Verfahren den Prinzipien des Washingtoner
Abkommens zur Restitution von unter den Nazis gestohlenen Werken
widerspricht. Laut diesen Prinzipien sollen die Vorkriegseigentümer und
deren Erben dazu ermutigt werden, ihre Ansprüche anzumelden.
Sie führen als Beispiel Picassos „Madame Soler“ auf. Bei dem Gemälde
verweigere die Bayerische Staatsgemäldesammlung seit zehn Jahren die
Teilnahme an dem Verfahren. Sie begründe dies damit, dass es sich bei dem
Kunstwerk nicht um Raubkunst handele. „Die Feststellung, ob das Kunstwerk
als Raubkunst anzusehen ist, wäre aber gerade die Aufgabe der Kommission
und nicht der von dieser Feststellung betroffenen Institution“, schreibt
die Kommission. Dieses „Vetorecht“ sei aus Sicht der Opfer und ihrer
Nachfahren „unzumutbar und unangebracht“.
Staatsministerin Roth (Grüne) will in diesem Punkt der Kommission offenbar
entgegenkommen. Aus Kreisen ihres Staatsministeriums heißt es, Roth
befürworte eine einseitige Anrufbarkeit und eine frühere Befassung der
Beratenden Kommission. Sie werde in den kommenden zwei Wochen entsprechende
Vorschläge erarbeiten.
Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es dazu, die Regierung werde „die
Restitution von NS-Raubkunst verbessern, indem wir die Verjährung des
Herausgabeanspruchs ausschließen, einen zentralen Gerichtsstand anstreben
und die ‚Beratende Kommission‘ stärken“. Geschehen ist in dieser
Angelegenheit aber nichts.
## Nur 23 Kunstwerke bisher restituiert
Die aus zehn Personen bestehende Kommission hat in ihrer 20-jährigen
Existenz nach eigenen Angaben in 23 Fällen Raubkunstfälle entschieden –
zuletzt verfügte sie im Juni, dass [4][Wassily Kandinskys Gemälde „Das
bunte Leben“] an die Erben der ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden
solle. Eine Ursache für die wenigen Fälle sieht die Kommission darin, dass
die gemeinsame Anrufung dafür Voraussetzung ist. Dem stünden jedoch
Zehntausende ungeklärter Ansprüche gegenüber.
Bei der staatlich finanzierten Provenienzforschung bemängelt die Ständige
Kommission, dass bisher nahezu ausschließlich Museen mit entsprechenden
Fördermitteln bedacht werden. Dies habe zur Folge, dass Museen „erst dann
auf die Problematik ihrer Bestände reagieren, wenn Erben der Geschädigten
eigene Forschung anstellen und Ansprüche vorbringen“, beklagt das
Memorandum und verlangt, dass entsprechende Mittel zur Provenienzforschung
auch an ein unabhängiges Forschungsinstitut gehen sollten. Auch hier
signalisierte Claudia Roth Entgegenkommen.
Bisher betrifft die Restitution von NS-Raubkunst in aller Regel nur Werke
im öffentlichen Besitz. Bei von den Nationalsozialisten gestohlener Kunst
in heutigem Privatbesitz existiert dagegen keine besondere gesetzliche
Regelung – mit der Folge, dass Eigentumsansprüche in aller Regel verjährt
sind. Die Ständige Kommission regt daher ein „umfassendes
Restitutionsgesetz“ an, „das neue, originäre Herausgabeansprüche“ begr�…
soll. Den gegenwärtigen Zustand nennt die Kommission „unbefriedigend“.
Eine Reform, die auch im Privatbesitz befindliche in der NS-Zeit den
Eigentümern gestohlen Gegenstände berücksichtigen würde, wäre allerdings
ein gewaltiger Schritt. Die Bundesregierung hat sich hierzu bisher nicht
geäußert. Zehntausende Kunstgegenstände vom Porzellanteller bis zum
Ölgemälde, vom Buch bis zum silbernen Kerzenhalter, die zwischen 1933 und
1945 insbesondere Jüdinnen und Juden gestohlen wurden, dürften sich heute
noch im Privatbesitz befinden.
Jedermann konnte solche Gegenstände, aber auch Stühle, Betten und jedweden
Hausrat ab 1941 bei öffentlichen Versteigerungen von „Judenhaushalten“ im
Deutschen Reich erwerben. Die enteigneten Besitzer wurden in den Tod
deportiert, der Erlös der Versteigerungen floss in die Taschen des
zuständigen Oberfinanzpräsidenten und damit des Nazi-Staats.
4 Sep 2023
## LINKS
[1] /BGH-staerkt-Datenbank-zu-NS-Raubkunst/!5948805
[2] /Regierungsklausur-in-Schloss-Meseberg/!5953332
[3] /Restitution/!t5039323
[4] /Restitution-von-Kandinsky-Gemaelde/!5937579
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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