# taz.de -- Restitution von Kandinsky-Gemälde: Verfolgungsbedingt entzogen | |
> Eine Kommission empfiehlt, Kandinskys Gemälde „Das Bunte Leben“ an die | |
> Erben der ursprünglichen jüdischen Besitzer zurückzugeben. | |
Bild: Wassily Kandinskys „Das Bunte Leben“ von 1907 gilt als Hauptwerk des … | |
Das Münchner Lenbachhaus könnte schon bald um eine Attraktion ärmer sein. | |
Wassily Kandinskys berühmtes Gemälde „Das Bunte Leben“ von 1907 hängt do… | |
seit Jahrzehnten. Es handelt sich um eine Leihgabe der Bayerischen | |
Landesbank (BayernLB), die diese 1972 auf Wunsch des Museums erworben hat. | |
Am Dienstag hat die Beratende Kommission NS-Raubgut beschlossen, eine | |
Rückgabe des Bildes an die Erben der ursprünglichen jüdischen Besitzer zu | |
empfehlen. Denn, so schreibt die Kommission unter Vorsitz des ehemaligen | |
Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, das Bild sei | |
„verfolgungsbedingt entzogen worden“. | |
Die Entscheidung gilt als bindend. Die Bayerische Landesbank hat sich vorab | |
mit dem Verfahren einverstanden erklärt. Es kann überhaupt nur in Gang | |
kommen, wenn beide Seiten – also die potenziellen Erben und die Institution | |
der Bundesrepublik – sich damit einverstanden erklären. Am Dienstag | |
reagierte die Bank schmallippig: „Die BayernLB hat die Empfehlung der | |
Beratenden Kommission zur Kenntnis genommen und wird diese im Rahmen ihrer | |
Entscheidung über das weitere Vorgehen berücksichtigen“, erklärte deren | |
Pressesprecher Matthias Lücke der taz. Vor Beginn des Verfahrens hatte die | |
Bank gefordert, das Bild müsse in dem Museum bleiben, egal wie der Streit | |
ausgehe. | |
Das Verdikt könnte Auswirkungen [1][auf weitere strittige Fälle von | |
Raubkunst] haben. Denn die Kommission verweist in ihrer Entscheidung auf | |
die in diesem Fall geltende Umkehr der Beweislast. | |
## Eine feine Kunstsammlung aufgebaut | |
Amsterdam im Herbst 1940. Im Mai war die Wehrmacht in die Stadt eingezogen. | |
Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart plante, das „artverwandte germanische | |
Volk“ der Niederländer nach dem deutschen „Endsieg“ in ein Großgermanis… | |
Reich zu integrieren. Juden sollten dort keinen Platz haben. 1941 begann | |
ihre systematische Verfolgung bis zum Massenmord. | |
In einem Mietshaus am Bachplein 13 h in Amsterdam lebte Irma Lewenstein, | |
die als Jüdin aus Deutschland geflüchtet war. Ihr holländischer Mann | |
Robert, Erbe einer Nähmaschinenfabrik, hatte sich mit einer Freundin liiert | |
und war ausgezogen. 1940 befand er sich auf der Flucht vor den Nazis von | |
Frankreich über Portugal nach New York. Roberts Schwester Wilhelmine lebte | |
mit ihrem Mann in Mosambik. | |
Die verstorbenen Eltern von Wilhelmine und Robert Lewenstein hatten eine | |
feine Kunstsammlung aufgebaut, darunter waren mindestens zwei Gemälde des | |
Expressionisten Wassily Kandinsky. Eines dieser Bilder befand sich schon | |
lange als Leihgabe im Amsterdamer Stedelijk Museum: „Das bunte Leben“. | |
## Das Bild wurde 1940 versteigert | |
„Das bunte Leben“ könne als das Hauptwerk des Blauen Reiters gelten, | |
schreibt das Lenbachhaus heute. „Mit einer Fülle von altrussischen Figuren | |
breitet der Maler hier ein vielfältiges Panorama von Situationen des | |
menschlichen Lebens aus und zieht damit gleichsam eine Summe der | |
märchenhaft-phantastischen, rückwärts gewandten Motive seines Frühwerks.“ | |
Am 5. September 1940 kam der Bote eines Kunsthändlers in das Museum, wies | |
sich aus und nahm den Kandinsky mit. Am 9. Oktober desselben Jahres wurde | |
das Bild als eines von 82 Nummern bei einer Aktion versteigert. „Das bunte | |
Leben“ ging für 250 Gulden an einen Kunsthändler. Nach dessen Tod verkaufte | |
seine Witwe das Gemälde an die Bayerische Landesbank, die Hausbank des | |
Freistaats Bayern. | |
## Indizien sprechen für verfolgungsbedingten Entzug | |
Wer hatte den Kunsthändler Querido damit beauftragt, das Gemälde im Museum | |
abzuholen? Wie kam es auf die Versteigerung? Die Bayerische Landesbank hat | |
erklärt, dass dies offenbar auf Wunsch von Irma Lewenstein geschehen sei. | |
Im Übrigen habe die Familie nach dem Krieg niemals eine Restitution | |
betrieben – auch dies sei ein Zeichen dafür, dass der Kandinsky ganz legal | |
in den Handel gekommen sei. | |
Doch so einfach könne man das nicht sehen, schreibt die Kommission in ihrer | |
der taz vorliegenden Begründung. „Zahlreiche Indizien“ sprächen „für e… | |
verfolgungsbedingten Entzug“, heißt es. Und dann wird es grundsätzlich. | |
Denn nach den Prinzipien der Kommission, die in einer so genannten | |
Handreichung fixiert sind, obliegt es dem heutigen Besitzer, eine Vermutung | |
der verfolgungsbedingten Abgabe zu widerlegen. | |
Die Kommission hält fest: „In dieser grundsätzlichen Umkehr der Beweislast | |
zugunsten der früheren Eigentümer spiegelt sich wider, welcher | |
Verfolgungsdruck auf den Verfolgten des NS-Regimes lastete. Dies gelte auch | |
für von den Deutschen besetzte Staaten. Es sei zu berücksichtigen, „dass | |
die jüdische Bevölkerung in den Niederlanden die systematische Ausgrenzung, | |
Entrechtung und Enteignung der deutschen Juden im Nachbarland seit Jahren | |
beobachten konnte und nach dem Einmarsch täglich mit vergleichbaren | |
Maßnahmen rechnen musste“. | |
## Irma Lewenstein gelang die Flucht vor der Gestapo | |
Die Jüdin Irma Lewenstein hat unter dramatischen Umständen in Amsterdam | |
überlebt. Mehrfach wurde sie nach eigener Aussage verhaftet, einmal gelang | |
ihr die Flucht vor der Gestapo. Irma starb 1983. Die Ehefrau ihres Bruders | |
wurde in Auschwitz ermordet. | |
Die Versteigerung im Oktober 1940 war nicht irgend eine Auktion, | |
argumentiert die Kommission. Zum Aufruf kam dort erstmals die „arisierte“ | |
Sammlung der Kunsthandlung J. Goudstikker, die sich unter anderem Hermann | |
Göring unter den Nagel gerissen hatte. „Die Annahme, dass Irma den Nachlass | |
ausgerechnet in diese Auktion eingeliefert haben soll, ist nicht besonders | |
wahrscheinlich“, schreibt die Kommission. | |
Aber war sie überhaupt die berechtigte Erbin des Gemäldes? Einem Testament | |
ihrer Schwiegermutter zufolge sollte das Erbe in zwei gleiche Teile für die | |
Kinder Robert und Wilhelmine aufgeteilt werden. Ob es dazu je gekommen ist, | |
bleibt unklar. Ob davon auch die Kunstsammlung betroffen war, ebenfalls. Ob | |
es einen Ehevertrag zwischen Robert und Irma gab? Man weiß es nicht. Aber, | |
so argumentiert die Kommission NS-Raubgut, es sei „denkbar, dass die | |
Kunstsammlung an Robert und Irma gefallen ist“. Das genüge. Die heutige | |
Erbengemeinschaft hat sich auf eine Aufteilung des möglichen Erlöses des | |
Gemäldes bei einem Verkauf geeinigt. | |
## Nur im Einverständnis mit beiden Parteien | |
Die Entscheidung der Kommission könnte weitreichende Folgen haben – wenn | |
die Bundesregierung endlich die Fesseln der Entscheidungsbefugnis lösen | |
würde. Denn bisher lautet die Regel, dass eine Mediation durch die | |
Beratende Kommission NS-Raubgut – früher Limbach-Kommission genannt – nur | |
im Einverständnis mit beiden Parteien – also den möglichen Nachkommen | |
Verfolgter und beispielsweise einem Museum – erfolgen kann. Verweigert sich | |
aber die institutionelle Seite, kommt das Verfahren gar nicht erst in Gang. | |
Ein Gang vor Gericht verspricht da wenig Erfolg, denn die Fristen zur | |
Restitution gelten als schon lange verjährt. Und deshalb wird belohnt, wer | |
sich verhält wie die Bayerische Staatsgemäldesammlung. Diese hat sich einem | |
Verfahren lange genug verweigert, bei dem es um Picassos Gemälde „Madame | |
Soler“ ging, das in der in der Neuen Pinakothek in München bewundert werden | |
kann. Bis in die 1930er Jahre gehörte es dem jüdischen Bankier Paul von | |
Mendelssohn-Bartholdy. Unter dubiosen Umständen kam es in den Handel. | |
## Die Kommission soll reformiert werden | |
Erst kürzlich hat Bernhard Maaz, der Direktor der Münchner | |
Staatsgemäldesammlung, einer Reform der Kommission NS-Raubgut zugestimmt. | |
Diese müsse auch Entscheidungen treffen dürfen, wenn nur eine Seite der | |
Mediation zustimmt, sagte er. | |
Nur für „Madame Soler“ solle das bitte nicht gelten. Denn es sei schon zu | |
viel Zeit, Kraft und Geld in die Angelegenheit investiert worden. „Damit | |
ist die Chance eigentlich im Moment nicht gegeben, damit zur Beratenden | |
Kommission zu gehen.“ | |
13 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Raubkunst-im-Juedischen-Museum/!5175579 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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