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# taz.de -- Ausstellung zur Provenienzforschung: Wie ein Detektiv nach Büchern…
> In Deutschlands Bibliotheken stehen rund eine Million Bücher, die im
> "Dritten Reich" geraubt wurden. Die meisten davon sind nicht
> identifiziert. Auch Hamburgs Universitäts- und Staatsbibliothek hat
> keinen hauptamtlichen Provenienzforscher. Aber sie dokumentiert nun, wie
> mühsam die Recherche ist.
Bild: Manchmal "schenkte" die Gestapo ein paar Bände: Blick in ein Bibliotheks…
Wer Provenienzforschung betreiben will, muss geduldig sein. Detektivisch
muss vorgehen, wer herausfinden will, ob Kunstwerke oder Bücher einst ihren
jüdischen Eigentümern geraubt wurden. Und ob ein Museum, die Bibliothek
diese Schätze also zu Recht besitzt. Bei hochkarätigen Ölgemälden wird um
die Rückgabe immer wieder auch öffentlich gestritten - gestritten, weil die
Restitution an die Erben große finanzielle Belastungen für die betroffenen
Museen mit sich bringen kann. Das ist beim Großteil der von Nazis geraubten
Bücher nicht der Fall: Meist handelt es sich dabei um recht unspektakuläre
Bestände, nur selten von Wert.
Zunächst im ganzen Deutschen Reich, später auch in den besetzten Gebieten
stahl das nationalsozialistische Regime aber Bücher aus jüdischem Besitz,
um damit etwa das Reichshauptamt zu beliefern, Reichsleiter Alfred
Rosenberg oder weitere Nazi-Größen. Diente das zu Beginn des Zweiten
Weltkriegs auch dem Aufbau von Bibliotheken, ging es später darum,
zerstörte Bestände zu ersetzen.
Die angelieferten Bücher wurden in den Zugangsbüchern der Bibliotheken
unter Stichworten wie "Geschenk der Gestapo" verzeichnet. Manchmal, wie in
den Bremer Zugangsbüchern, die der Politologe Klaus von Münchhausen ab 1991
durchforstete, steht da "J. A." - Juden-Auktion. Dort wurde versteigert,
was zuvor jüdischen Emigranten abgenommen worden war.
Wenn solch deutliche Beschriftung in den Zugangsbüchern die einzigen
Hinweise auf Raubgut böte, hätten es die Forscher leicht mit Recherche und
Rückgabe. Dass es anders ist, davon erzählt die Ausstellung "Geraubte
Bücher" in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg: Viele Raubbücher
wurden schlicht als "Überweisung" oder "alter Bestand" eingetragen. Das
macht die Spurensuche schwer. "Außerdem haben Bibliotheken bundesweit
sowohl während des Dritten Reichs als auch danach kontinuierlich Bücher
ausgetauscht", sagt Bibliothekarin Maria Kesting, die die Hamburger
Ausstellung betreut, "sodass Raubgut inzwischen auf die ganze Republik
verteilt ist."
Schätzungen zufolge lagern eine Million geraubter Bücher in Deutschlands
Bibliotheken. Sie kamen ab 1933 teils direkt, teils auf Umwegen dorthin und
sind immer noch nicht gänzlich in die Kataloge eingearbeitet. Obwohl die
Bundesrepublik 1998 die "Washingtoner Erklärung" unterschrieb, der zufolge
Raubgut aufgefunden und restituiert werden soll, krankt die
Provenienzforschung in Museen und Bibliotheken an Personalmangel. Zwar hat
die Hamburger Kunsthalle eine hauptamtliche Provenienzforscherin, wie auch
die Gottfried Wilhelm Leibniz-Bibliothek in Hannover.
In der Hamburger Universitätsbibliothek dagegen müssen solche Recherchen
"nebenbei" erledigt werden. So veröffentlichte 2002 der Bibliothekar
Otto-Ernst Krawehl den Aufsatz "Erwerbungen der Bibliothek der Hansestadt
Hamburg aus ehemals jüdischem Besitz von 1940 bis 1944". Die aktuelle
Ausstellung speist sich unter anderem aus den Forschungen einer
Diplomandin, die weiter ins Detail ging. Das war nicht leicht, denn von den
5.000 Titeln in den Zugangsbüchern fanden sich nur 1.100 überhaupt auch
wirklich im Depot. 430 davon waren tatsächlich die während des "Dritten
Reichs" angelieferten Exemplare. 125 von diesen trugen einen
Besitzervermerk, der weitere Nachforschungen erlaubt.
Einige dieser Bände haben die Hamburger Bibliothekare herausgegriffen.
Exemplarisch schlüsselt die Ausstellung etwa das Leben der 1942 in
Auschwitz ermordeten Maria May Reiss auf. Die Rekonstruktion war
unproblematisch: Ihr Neffe hatte eine Suchanzeige in die Datenbank der
Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eingegeben. Tragisches über
Reiss Vita kam heraus - etwa, dass die Familie eigentlich nach Südamerika
auswandern wollte. Aber man konnte sich nicht entschließen, zögerte, bis es
zu spät war. Einige Familienmitglieder starben in Auschwitz, andere in
Theresienstadt.
Geblieben sind die unspektakulären Bücher von ideellem Wert. Der Neffe
wollte sie gar nicht wiederhaben. "Er war der Meinung, dass sie hier, als
Mahnung für die Nachwelt, besser aufgehoben wären", sagt Kesting. In der
Tat bemüht sich die Bibliothek um Redlichkeit: Der Katalog weist jedes als
Raubgut identifizierte Buch aus.
Schwieriger gestaltet sich die Recherche, wenn ein Buch keinen Namen eines
früheren Besitzers trägt und auch nicht unter [1][www.lostart.de] geführt
wird, der offiziellen deutschen Datenbank zur Raub- und Beutekunst. "In
welche Richtung soll man recherchieren, wenn man bloß Initialen oder zum
Beispiel den Vornamen Nelly findet?", fragt Kesting. "In solchen Fällen
wenden wir uns meist ans Staatsarchiv." Von 1937 an waren die Finanzämter
befugt, potenziell auswanderungswilligen Juden Sicherungsanordnungen
aufzuerlegen, um die "Verschiebung" von Vermögen zu verhindern. Konkret
mussten bestimmte Geldbeträge auf gesperrte Konten eingezahlt werden. Die
Höhe des verbleibenden Betrags, über den die Menschen verfügen konnten,
legten auch die Finanzämter fest. Wer zusätzlich Geld brauchte, musste dort
vorsprechen. "Hier finden sich oft Details über die finanziellen
Verhältnisse jüdischer Familien, manchmal auch über Buchbestände, die uns
weiterhelfen", sagt Kesting.
Eine mühevolle Arbeit, mit der man sich überdies nicht immer beliebt macht:
Der Göttinger Referendar Arno Barnert etwa bekam, als er 2007 auf
Spurensuche gehen wollte, massive Schwierigkeiten - weil er den Dienstweg
nicht eingehalten habe. Zudem soll ihm nahegelegt worden sein, seine
Abschlussarbeit besser nicht über das Nazi-Raubgut zu schreiben.
Sich der Erforschung zu verschließen, wäre im Falle der Bibliotheken
absurd, denn es geht hierbei selten um finanzielle Werte. Sondern um
ideelle - und darum, Angehörigen eventuell einzige Erinnerungsstücke an
ermordete Verwandte zurückzugeben. Darum, ehrlich über die Wege zu
informieren, auf denen Bücher in die Bestände gelangten. Und zu
dokumentieren, wie weit die NS-Enteignungspolitik bis heute in Gesellschaft
und Institutionen hereinreicht.
"Geraubte Bücher - NS-Raubgut in der Staats- und Universitätsbibliothek
Hamburg": bis 1. 2. 2009, ebendort
28 Dec 2008
## LINKS
[1] http://www.lostart.de/
## AUTOREN
Petra Schellen
Petra Schellen
## TAGS
NS-Raubkunst
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